Montag, 16. Juni 2025

Operngespräche im Herbst

Am 17. September geht es wieder los mit den Operngesprächen. Die Berliner Opernhäuser haben die Spielzeit 2025/26 fertig geplant und auch anderswo kann man Pläne einsehen. Hier können Sie sehen, was so gespielt wird. (Jetzt funktioniert der Link, auch im vorangehenden Post.) Es fehlen mir nur noch Angaben aus Brandenburg, Schwerin, Stralsund/Greifswald und Würzburg. Natürlich werden wir uns in erster Linie mit den Werken befassen, die in Berlin gezeigt werden, aber wie immer möchte ich Ihnen auch unbekanntere Werke vorstellen, die gerade in anderen Städten gezeigt werden. Hier ein Vorschlag für das erste Trimester der VHS Steglitz-Zehlendorf. Die Termine stehen bereits fest (beachten Sie: Der Kurs findet auch in den Berliner Herbstferien statt, danach gibt es aber eine Pause). Und jetzt mein erster Vorschlag:

17. September: Übersicht und Jesus Christ Superstar (Komische Oper ab 19. September) oder Der goldene Drache (Peter Eötvös, Hagen seit 13. September bis 19. Oktober)

24. September: Das Paradies und die Peri (Schumann, Hamburg ab 27. September) oder Les Boréades (Rameau, Karlsruhe ab 4. Oktober) oder The Ghosts of Versailles (Corigliano, Regemnsburg ab 29. September)

1. Oktober: La gazza ladra (Bielefeld ab 6. Dezember) oder Die englische Katze (Henze, München Staatsoper ab 5. November)

8. Oktober: Die drei Rätsel (Detlef Glanert, Deutsche Oper ab 11. Oktober)

29. Oktober: Tristan und Isolde (Deutsche Oper ab 1. November) oder Ruslan und Ludmila (Glinka, Hamburg ab 9. November)

5. NovemberLes contes d'Hoffmann (Staatsoper ab 16. November)

12. November: Salome (Komische Oper ab 22. November) oder Cardillac (ab 6. Dezember in Essen und ab 15. Februar in Zürich)

19. November: Fedora (Deutsche Oper ab 23. November)

26. November: Violanta (Deutsche Oper ab 25. Januar)

3. Dezember: Lady Macbeth von Mzensk (Komische Oper ab 31. Januar, auch Mailand ab 7. Dezember)

Schauen Sie sich doch in der Spielzeitübersicht (unter dem oben angegebenen Link) noch einmal um; sie wird auch ergänzt, sobald es neue Verlautbarungen gibt. Vielleicht fällt Ihnen da noch das eine oder andere Werk auf, über das Sie mehr erfahren möchten.

Ihr Curt A. Roesler 

Sonntag, 1. Juni 2025

Die Spielpläne 2025/26

Mit wenigen Ausnahmen haben die Opernhäuser und Stadttheater in Deutschland und anderswo ihre Pläne für die kommende Spielzeit veröffentlicht. Für die drei Berliner Opernhäuser ist das seit Mitte Mai der Fall und Sie haben sich sicherlich schon informiert. Und freuen sich entsprechend auf »Operngespräche« mit Hoffmanns Erzählungen (Jacques Offenbach), Die drei Rätsel (Detlef Glanert), Fedora (Umberto Giordano), Violanta (Erich Wolfgang Korngold), Lady Macbeth von Mzensk (Dmitri Schostakowitsch) im Herbst in der Alten Feuerwache. Tristan und Isolde und Salome könnten wir natürlich auch besprechen, aber das sind Werke, die doch sehr bekannt sind und auf die nicht unbedingt aufmerksam gemacht werden muss. Dafür gibt es z. B. La gazza ladra (Rossini) in Bielefeld, einen interessanten Doppelabend mit Werken von Othmar Schoeck und Victor Ullmann in Weimar, Didone abbandonata von Domenico Sarro in Meiningen, Wozzeck (Alban Berg) in Braunschweig und vieles Andere. Aber Schauen Sie sich gerne selbst um in meiner Zusammenstellung, die Sie hier finden, zuerst Berlin, dann alle anderen, in rot Regisseure, die etwas mit dem Studiengang Regie an der HfM Hanns Eisler zu tun haben. Und wenn Sie das besonders interessiert – etwa um Argumente zu haben, wieso man nicht beliebig sparen und abbauen kann bei den künstlerischen Hochschulen – gibt es das (also nur die, die mit der HfM zu tun haben) hier zusammengefasst und chronologisch von September 2025 bis Juli 2026. Es fehlen in der Zusammenstellung selbstredend »freie« Produktionen und auch die Sparte Dramaturgie ist noch nicht eingearbeitet.

Ich freue mich auf Ihre Anregungen.
Herzlich, Ihr Curt A. Roesler

Mittwoch, 7. Mai 2025

Kurt Weill 125

In diesem Jahr wäre Kurt Weill 125 geworden. Kurz nach seinem 50. Geburtstag starb er in seiner neuen Heimat New York. Es ist also ein doppeltes Gedenkjahr, sein Tod jährt sich zum 75. Mal. Das ist ein willkommener Anlass, sich an fünf Abenden in der VHS Steglitz-Zehlendorf mit diesem außergewöhnlichen Komponisten zu befassen. Es beginnt am 14. Mai, 18.15 Uhr, mit einem Überblick über das Leben und das Schaffen Kurt Weills. Danach geht es weiter mit vier etwas systematischeren Betrachtungen. Obwohl Weill einer der ganz großen Musikdramatiker ist, beginnen wir nicht mit Bühnenmusiken (wie es in den meisten in Biografien enthaltenen Werkverzeichnissen geschieht), sondern wir behandeln ihn wie Haydn, Mozart, Beethoven. Auch sie waren große Opernkomponisten und doch spricht man meist zuerst von den Symphonien, den Streichquartetten, der Kammermusik.

So also heißt es am 21. Mai: Instrumentalwerke und Oratorisches in der klassischen Tradition. Weill schrieb zwei Streichquartette und zwei Sinfonien, ein Violinkonzert und Werke, die ausdrücklich für das Radio bestimmt waren. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Violinkonzert, während dessen Komposition Weill vom unerwarteten Tod seines Lehrers Ferruccio Busoni erfuhr.

Den dritten Abend am 28. Mai widmen wir den frühen Erfolgen des Musikdramatikers Weill, Oper und Tanz in Deutschland und Frankreich 1925–1933. Der erste Dramatiker, mit dem Weill zusammenarbeitete, war Georg Kaiser, als erstes vertonte er ein Libretto, das auf dessen Schauspiel Der Protagonist basierte, und stellte sich damit in die erste Reihe der Opernkomponisten als legitimer Nachfolger Ferruccio Busonis (dessen Einakter Arlecchino und Turandot darin nachklingen). Darauf folgte die »Zeitoper« Der Zar lässt sich photographieren und schließlich (nach den zwei bekannten großen Erfolgen mit Bert Brecht Der Silbersee. Die Ring-Uraufführung fand wenige Tage nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten statt, wurde von Schlägertrupps gestört und sehr schnell an allen drei Theatern (Leipzig, Erfurt ind Magdeburg) abgesetzt.

Ein Abend, und das ist der vierte am 4. Mai, muss der Zusammenarbeit von Kurt Weill und Bert Brecht gewidmet sein. Auf unterschiedlichen Wegen gelangten beide zu einem »epischen« Musiktheater. Ihre Zusammenabeit begann mit Balladen, umfasste ein Berliner Requiem, eine Schuloper und die beiden Großprojekte Mahagonny und Dreigroschenoper, die beide in unterschiedlichen Fassungen vorliegen. Ab dem 1. Januar 2027 wird man möglicherweise neue Interpretationsmöglichkeiten erleben dürfen, dann endet der Urheberrechtsschutz für die Verwerter des Erbes von Bert Brecht. Das gilt auch für Die sieben Todsünden, die letzte gemeinsame Arbeit, bereits im Pariser Exil entstanden.

Noch viel mehr gibt es am letzten Abend, dem 11. Mai, zu besprechen. Musical und Oper in Amerika. Mit dem Weg der Verheißung, zusammen mit Franz Werfel Max Reinhardt entworfen, wollte sich Kurt Weill in New York als Musikdramatiker einführen. Die Uraufführung schob sich immer weiter hinaus, so dass sein erstes amerikanisches Werk Johnny Johnson wurde. Ein Theaterkollektiv um Lee Strasberg (das ist der mit dem »Method Acting«) brachte das »musical play« von Paul Green und Kurt Weill heraus. Neben Ira Gershwin, der zusammen mit Moss Hart das Libretto zu Lady in the Dark verfasste, war Maxwell Anderson der bedeutendste amerikanische Dramatiker, mit dem Weill zusammenarbeitete (Knickerbocker Holiday, Lost in the Stars). Das Großprojekt aber, an dem er lange arbeitete, war Street Scene, eine »American Opera«, in der Form dem Vorbild von Porgy and Bess verpflichtet, allerdings inhaltlich ohne jegliche Anspielung auf den zeitgenössischen Rassismus.

Ich freue mich auf die Kursteilnehmenden, bis bald,
Ihr Curt A. Roesler

Dienstag, 8. April 2025

In memoriam Rolf Kühne

In seinem dreiundneunzigsten Lebensjahr ist Rolf Kühne am 22. März in Wiesbaden gestorben (Video-Traueranzeige hier). Seit 1973 wirkte er an der Deutschen Oper Berlin, die letzten Jahre, bis zu seiner Pensionierung 1997, habe ich ihn in vielen Aufführungen erlebt und hoch geschätzt. Auch auf Reisen war ich mit ihm, einmal ging es nach Rom für eine hier kaum beachtete Aufführung von Undine von E. T. A. Hoffmann, er sang den Ritter Kühleborn, ich durfte als Dramaturg mitreisenund den Ehrengast Italo Calvino empfangen. Ein anderes Mal ging es nach Schwetzingen zur Uraufführung von Ophelia von Rudolf Kelterborn. Besonders habe ich ihn aber in Erinnerung in seiner allerletzten Spielzeit vor der Pensionierung 1996/97. Da hatte ich die Ehre und die Freude, dass er den Alberich und die Stimme des Fasolt in Klein-Siegfried sang und ich durfte mit ihm auf der Bühne stehen. Er war ein aufmerksamer, zuverläsiger und stets hilfsbereiter Kollege auf den Proben. Und ein Stabilitätsanker in den Aufführungen.

1932 geboren, hatte er sein Debüt 1956 in Chemnitz, was damals Karl-Marx-Stadt hieß. Wenn man den wenigen biografischen Angaben trauen darf, die zu finden sind, hat die Theaterleitung den jungen Sänger gleich mit der Partie des Sarastro betraut. In Berlin sang er zu Mauerzeiten zunächst sowohl an der Staatsoper wie an der Komischen Oper. 1968 brachte Hans Swarowsky ein internationales Ensemble zusammen für eine der ersten Studio-Gesamtaufnahmen des Ring des Nibelungen. Ein amerikanisches Plattenlabel produzierte die Aufnahme in Prag mit Musikern der Tschechischen Philharmonie und des Nationaltheaters und Sängerinnnen und Sängern aus beiden deutschen Staaten, darunter auch welche mit tschechischer, amerikanischer oder japanischer Staatsbürgerschaft. Rolf Kühne war der Alberich in dieser Aufnahme, die auch heute noch bei den Streamingdiensten verfügbar ist.

Ab 1969 sang Rolf Kühne am Staatstheater Wiesbaden. Irgendwann muss er sich wie viele andere entschieden haben, nicht in die DDR zurückzukehren. 1973 stand ihm daher wie gesagt die Deutsche Oper Berlin offen, wo er sogleich in die Fußstapfen Gustav Neidlingers als Alberich trat. Auch in Bayreuth sang er diese Partie, für die er fast so etwas wie ein Spezialist wurde, obwohl sein Repertoire sehr viel weiter gefasst war und von Beethoven über Rossini, Verdi und Puccini zu Strauss und auch der zeitgenössischen Oper reichte. Die Liste seiner Gastspielorte ist überlang, es gibt so gut wie kein renommiertes Opernhaus in Ost- und Westeuropa, in Nord- und Südamerika, an dem er nicht aufgetreten ist.

Ich werde ihn immer in lebendiger Erinerung behalten, er hat unser aller Leben mit seiner Kunst bereichert. Möge er in Frieden ruhen.

Curt A. Roesler

Sonntag, 30. März 2025

Pause bei den Operngesprächen

Am 19. März war die letzte Runde für diese Spielzeit bei den Zehlendorfer Operngesprächen (Victor-Gollancz-Volkshochschule Steglitz-Zehlendorf). Am 14. Mai geht es voraussichtlich weiter mit Fünf Abende mit Kurt Weill – voraussichtlich deswegen, weil sich bisher erst vier Teilnehmende angemeldet haben. Hier der Link zur Anmeldung, hoffentlich funktioniert er bei Ihnen, mein Account ist ja der eines Kursleiters. 

Der Blog hier soll deswegen nicht auch pausieren. Die Opernwelt steht ja nicht still in der Zeit und es gibt immer wieder etwas zu berichten.

Am vergangenen Wochenende war ich in Essen bei der zweiten Ausgabe des Her:Voice-Festivals. Dabei habe ich die letzte Vorstellung von Kaja Saariahos Innocence in Gelsenkirchen gesehen und war tief beeindruckt. Das ist wirklich ein Meisterwerk und ich hoffe, dass es sich in das Repertoire der großen Opernhäuser einschreibt. Am 31. März, am 4. und am 11. April kann man es in Dresden noch sehen (einige Teilnehmende der Operngespräche waren in der Premiere – für alle anderen: Dringende Empfehlung, es sich anzuschauen).

Zwei der drei Berliner Opernhäuser haben bereits ihre Pläne für die Spielzeit 2025/26 bekannt gegeben. Ebenso Amsterdam, Bielefeld, Dresden, Hamburg, Koblenz, München, New York (Met, und Met im Kino), Prag (alle drei Opernhäuser auf einmal, da geht es), Ulm. Und aus Leipzig wissen wir ja, dass zwei Opern von Lortzing für ein Festival neu produziert werden (Der Waffenschmied und Regina). Bis zum Mai werden wir sicher auch wissen, was in der näheren Umgebung (Cottbus, Brandenburg, Schwerin etc.) gespielt wird. Aber ich kann schon anfangen, Material zusammenzutragen für die Zehlendorfer Operngespräche ab 17. September, woraus Sie dann auswählen können.

In Schwerin wird am 6. April um 15.00 Uhr zum letzten Mal Strandrecht von Ethel Smyth gespielt. Wir haben in Zehlendorf nicht darüber gesprochen, weil einfach zu wenig Zeit war. Deshalb hier ein kleiner Überblick.

Ethel Smyth wurde 1858, also im gleichen Jahr wie Puccini, geboren. Sie studierte in Leipzig ein Jahr am Konservatorium, befand aber, möglicherweise völlig zu Recht, dass die Lehrer nicht wirklich am Unterricht interessiert waren. Sie nahm danach bei Heinrich von Herzogenberg Privatunterricht. Ihren ersten großen Erfolg konnte sie mit einer Messe feiern, die 1893 in der Royal Albert Hall aufgeführt wurde. Sie schrieb insgesamt sechs Opern: Fantasio (Uraufführung 1898 in Weimar), Der Wald (Uraufführung an der Berliner Hofoper 1903) The Wreckers (Uraufführung als Strandrecht in Leipzig 1906), The Boatswain’s Mate (Uraufführung in London 1916), Fête galante (Uraufführung in Birmingham 1923), Entente cordiale (Uraufführung in London 1925). Die letzten drei, alle entstanden nachdem sich Ethel Smith in der Frauenbewegung engagierte und nachdem erste Anzeichen von Schwerhörigkeit bemerkt wurden, sind Einakter. Bis zu ihrem Tod 1944 betätigte sich Smyth in der Frauenbewegung und schrieb auch Memoiren, die sehr lesenswert sind.

The Wreckers basiert auf Legenden die sich um Schmuggler in Cornwall und auf den Scilly Islands gebildet hatten, und denen Smyth in Gesprächen in Cornwall nachging. In der Oper begegnen wir den Bewohnern eines Fischerdorfes, die ein Geschäft daraus gemacht haben, gestrandete Schiffe auszurauben. Dafür löschen sie das Leuchtfeuer in stürmischen Nächten. Doch es gibt einen »Verräter« der ein anderes warnendes Feuer entfacht. Die Handlung ist voll von Intrigen, heimlichen Liebschaften und Machenschaften eines bigotten Geistlichen. Und es geht nicht gut aus. Die Bard Summerscape Opera, die hier schon öfter Erwähnung fand, hat die Oper 2015 produziert und bei YouTube gibt es immer noch dieses Video.

Bis demnächst,
Ihr Curt A. Roesler

Montag, 17. März 2025

Werther

Es ist kaum zu glauben, aber in diesem Blog gibt es noch keinen Beitrag zu Werther von Jules Massenet. Dabei gehört diese Oper zu meinen Favoriten, das nur nebenbei. Eine Inszenierung dieser Oper steht in Berlin leider nicht an, aber immerhin gibt es an der Deutschen Oper Berlin (wo vor etwa 20 Jahren Stefan Baumgarten eine legendäre Interpretation vorlegte) eine konzertante Aufführung, mit der Dietmar Schwarz als Intendant verabschiedet wird und die zugleich das vorerst letzte Dirigat von Enrique Mazzola darstellt. Daher beginnen wir also von vorn, d. h. mit einer Darstellung der Handlung – die Sie aber nur hören und nicht sehen werden, es sei denn, Sie planen einen Ausflug nach Kanada oder Argentinien – in Toronto und Buenos Aires finden die nächsten szenischen Aufführungen statt.

Die vier Akte haben Überschriften, wie man es von italienischen Opern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennt: 1. La maison du bailli (Das Haus des Amtmanns), 2. Les tilleuls (Die Linden), 3. Charlotte et Werther (Charlotte und Werther), 4. [1. Bild] La nuit de Noël (Christnacht) [2. Bild] La mort de Werther (Werthers Tod)

1. Akt: Der Amtmann von Wetzlar studiert schon im Sommer mit seinen jüngsten Kindern Weihnachtslieder ein. Schmidt und Johann bereiten sich auf den Ball vor, bei dem auch ein gewisser Werther erscheinen soll, das pure Gegenstück zu Albert, dem Verlobten Charlottes, der ältesten Tochter des Amtmanns. Kaum sind alle weg, erscheint Werther, der die Schönheit der Natur besingt (»O nature, pleine de grace« hier gesungen von Cesare Valletti, 1948). Die Kinder kommen wieder und auch der Amtmann, der nun Charlotte ankündigt. Werther, der sie zum ersten Mal sieht, ist ganz anders entzückt als die Kinder, die ihre Schwester freudig begrüßen, und fängt an zu träumen. Der Amtmann macht sich nun wirklich auf, nachdem er Charlotte Werthers Schutz anvertraut hat. Während die beiden spazieren gehen, kommt Albert von seiner Reise zurück und lässt sich von Charlottes Schwester Sophie berichten, dass alles in bester Ordnung ist – »Elle m'aime« singt hier Ludovic Tézier. Er zieht sich zurück und Charlotte und Werther kehren nach einer mit Orchestermusik (Mondschein) erfüllten Pause von ihrem Spaziergang wieder. Sie können schon kaum noch voneinander lassen, auch wenn die Schicklichkeit fordert, dass jetzt jeder seiner Wege geht, langer Dialog, an dessen Ende Werther erfährt, dass Charlotte verlobt ist und voraussieht, dass er daran sterben wird: »Il faut nous séparer« – »Moi, j'en mourrai! Charlotte! Un autre! son époux!« Hier die ganze Szene mit dem Mondschein-Zwischenspiel, in einer Aufnahme aus Barcelona von 1974 mit der ganz jungen Montserrat Caballé und dem nicht mehr ganz jungen Giuseppe di Stefano.

2. Akt: Nach zwei Monaten heiratet Charlotte und während alle zur Kirche gehen, kommt Werther zurück nach Wetzlar, um sein Unglück zu sehen: »Un autre est son époux!«, hier gesungen von Alfredo Kraus. Albert findet den Verzweifelten, versichert ihm seine Freundschaft und macht ihn vergeblich auf Sophie aufmerksam, die ihn erheitern könnte. Charlotte verhält sich pflichtbewusst kühl und erlaubt Werther höchstens, an Weihnachten wiederzukommen. Er denkt jetzt ernsthaft über Selbstmord nach: »Pourquoi trembler devant la mort«, hier gesungen von Charles Friant.

3. Akt: Charlotte liest immer wieder die Briefe Werthers, auch an Weihnachten, niemand kann sie aufheitern: »Va! laisse couler mes larmes« hier gesungen von Rita Gorr (mit Mady Mesplé als Sophie). In der Inszenierung von Stefan Baumgarten erschien das Saxophon auf der Bühne, darüber werden wir zu reden haben.) Die Begegnung mit Werther bleibt trostlos, sie versuchen es mit gemeinsamem Musizieren: »Pourquoi me réveiller?« (Das werden wir uns mit Sicherheit in verschiedenen Interpretationen anhören.) Hier Jonathan Tetelman, der es ja dann auch an der Deutschen Oper Berlin singen wird. Gleich nach der Arie kommt die einzige Stelle, wo Werther und Charlotte im Duett singen. Das ist der musikalische Beweis, dass sie sich lieben. Hier die ganze Szene mit Jonas Kaufmann und Sophie Koch. Werther gibt vor, eine Reise unternehmen zu wollen und bittet Albert, ihm dafür seine Pistolen auszuleihen. Albert gewährt die Bitte, vielleicht wissend, dass die Reise nicht touristischer Art sein wird. Charlotte aber weiß es und versucht, das Schlimmste zu verhindern.

4. Akt: Das erste Bild ist rein instrumental, einen Vogelflug über Wetzlar am Weihnachtstag stellten sich die Autoren dafür vor. Werther hat sich selbst getötet, Charlotte kommt zu spät. Das Schluss-Duett wird von den Weihnachtsgesängen der Kinder aus dem Nebenzimmer kontrastiert.

Wer Goethes Die Leiden des jungen Werthers gut kennt (z. B. in Erinnerung an die Schullektüre) erkennt selbstverständlich die Grundzüge dieses Briefromans wieder: junger Mann liebt verheiratete Frau und nimmt sich das Leben, als er erkennt, dass es keine Lösung des Konflikts gibt. Als Massenets Oper 1892 an der Wiener Hofoper zur Urauffürung kam, meldeten sich ganz schnell die Erbsenzähler, die befanden: »Aber mit unserem Goethe hat das gar nichts zu tun, das ist einfach eine Oper, und außerdem: der Versuch, Leitmotive einzusetzen, ist meilenweit von Wagners Meisterschaft entfernt.« Das Publikum aber liebte die Oper und sie verbreitete sich bis zum Ende des Jahrhunderts über die ganze Welt. Nach Berlin dauerte es etwas länger, da kam sie 1907 an die damalige Komische Oper an der Weidendammer Brücke.

Nach seinem Besuch der Bayreuther Festspiele 1886 (es wurde Parsifal und Tristan und Isolde gespielt) kam Massenet mit seinem Veleger und Librettisten Georges Hartmann in Wetzlar vorbei, wo sie das Haus besuchten, in dem Goethe seinen Briefroman geschrieben hatte. Die Idee, eine Werther-Oper zu schreiben, gefiel der Leitung der Opéra-Comique, ein Uraufführungsvertrag kam aber nicht zustande, stattdessen interessierte sich die Wiener Hofoper. Seit der Eröffnung des Hauses am Ring 1869 hatte es zwar einige Uraufführungen gegeben, alles Werke von lokalen Komponisten, als deren bedeutendster Karl Goldmark gelten muss. Offenbachs Misserfolg Die Rheinnixen war noch im Theater am Kärntnertor. Die Hofoper brachte sich mit Massenet also ins internationale Geschäft – ohne das weiter auszuweiten – und Massenet konnte sich Achtung im deutschsprachigen Raum erhoffen.

Fast überall kann man lesen, dass Massenet die Partie des Werther »für den Wagner-Tenor Ernest van Dyck« schrieb, der damals im Ensemble der Hofoper wirkte. Seltener liest man, dass van Dyck seine musikalische Ausbildung in Paris unter anderem von Massenet erhalten hatte. Und gänzlich unerwähnt bleibt in der Regel, dass er bis dahin lediglich Parsifal in Bayreuth gesungen hatte (erst nach Massenets Besuch dort) und dass erst später Lohengrin dazu kam. Tannhäuser, Siegmund und Siegfried hat er noch später auch gesungen und zwar an großen Opernhäusern außerhalb Bayreuths. Das heißt also, 1892 war er noch jugendlicher Held und nicht Heldentenor. Eine Aufnahme der »Winterstürme« wurde 1903 in London gemacht, hier zu hören. Auch die Aufnahme von »Pourquoi me réveiller« aus Werther (hier), die in keiner Sammlung »Creators of Opera« fehlen darf sang er selbstredend erst, als er sich zum Heldentenor entwickelt hatte. Oben hatte ich auf eine Aufnahme von Jonathan Tetelman verlinkt, der die Partie eher heldisch angeht, hier das Gegenstück, Nicolai Gedda. Und noch lyrischer mit wunderbaren »Voix-mixte-Tönen« (nicht die reine Bruststimme wie in der üblichen »Do di petto«-Manier) in italienischer Sprache hier Benjamino Gigli.

Von Marie Renard, die in der Uraufführung die Charlotte gesungen hatte, sind keine Tonaufnahmen bekannt, dafür aber von Marie Delna, die an der französischen Erstaufführung an der Opéra-Comqiue beteilt war. Hier die »Briefszene« von 1912, also fast 20 Jahre später. Sie können auch eine frühere Aufnahme finden, die aber im Ton gewöhnungsbedürftiger ist und sogar auch eine Aufnahme von »Va, leisse couler les larmes!« mit Klavierbegleitung.

Suzanne Brohly übernahm 1912 wenige Wochen vor dem Tod Massenets die Partie der Charlotte an der Opéra-Comique. Von ihr gibt es zwar keine Aufnahme als Charlotte, aber 1922 nahm sie Pensée d'automne aus den 20 Melodies von 1888 auf einen Text von Armand Silvestre auf, hier zu hören. Das führt uns zu der richtigen Bemerkung von Alfredo Kraus, dass das Fundament der Musik Massenets das Lied sei, er erwähnt dabei zwar nicht dieses, sondern das berühmteste überhaupt, die Élegie, hier von ihm 1990 in Salzburg gesungen. Die sehr schöne Probendeokumentation, in der er über seine Lieblingsoper Werther spricht, finden Sie hier.

Ein halbwegs aktuelle komplette szenische Aufnahme von Werther finden Sie hier, Paris 2017, es singen Jonas Kaufmann und Sophie Koch, die diese Partien auch an der Met gesungen haben, dort digierte Alain Altinoglu, hier ist es Michel Plasson. Die Partie des Albert singt Ludovic Tézier, den sie in dieser Aufnahme aus Wien auch als Werther sehen und hören können. Massenet hat nämlich die Partie für den berühmten Sänger Mattia Battistini umgeschrieben. Die Inszenierung in Wien stammt aus dem Jahr 2005, damals sang Marcelo Alvarez die Titelpartie, das ist hier abrufbar. 

Und jetzt, wie meist von mir, noch der Hinweis auf besondere historische Gesamtaufnahmen. Die erste Gesamtaufnahme entstand mit dem Ensemble und Orchester der Opéra-Comique 1931, wo das Werk seit der Erstaufführung 1893 eine durchgehende Aufführungstradition hatte. YouTube bietet die Aufnahme in drei Teilen, 1. Akt, 2. Akt, 3. und 4. Akt. Georges Thill singt die Titelpartie, er hatte sie 1929 dort zum ersten Mal gesungen und nur wenige Male später, denn er war ja Mitglied der Opéra. Ninon Vallin hingegen, die Charlotte auf dieser Aufnahme war von 1912 bis 1925 Mitglied der Opéra-Comique, allerdings in einem anderen Fach. Bei der Aufnahme scheint es Stress mit Thill gegeben zu haben, in dessen Folge Vallin sich noch mehr aus Frankreich zurückzog und Charlotte erst 1938 an der Opéra-Comqiue sang. Eine meiner Lieblingsaufnahmen stammt aus dem Jahr 1953 und ist mit dem Künstlerehepaar Pia Tassinari und Ferruccio Tagliavini in Turin aufgenommen worden, erstaunlicherweise in französischer Sprache, hier leider nur die verhallte und stereofonisierte Fassung von CETRA aus den 60er Jahren.

Mehr zu Werther am Mittwoch in Zehlendorf. Leider ist das schon die letzte Sitzung, im September geht es weiter. DieHerbstkurse sind aber leider noch nicht veröffentlicht und so kann man sich auch noch nicht anmelden. Ich freue mich auf MIttwoch,

Ihr Curt A. Roesler

Dienstag, 11. März 2025

Bernard Foccroulle: Cassandra

Mit siebzig Jahren seine erste Oper augeführt zu sehen und damit gleich solchen Erfolg zu haben, ist erstaunlich, aber wir hatten es ja vom Kurzem mit György Kurtág zu tun, der noch älter werden musste. Aber Jean-Philippe Rameau, den man gewöhnlich als ausgesprochenen Spätzünder aufführt, war erst fünfzig, als er Hippolyte et Aricie herausbrachte. Der Belgier Bernard Foccroulle (*1953) ist ein ausgesprochener Multitasker. Es gibt ihn gewissermaßen vier Mal: als Organist und Barockspezialist, als Musikschriftsteller mit besonderem Focus auf das Zeitgenössische, als Musikmanager und eben auch über die ganze Zeit als Komponist. 

Seine ersten Erfolge hatte er fast gleichzeitig als Organist und als Musikschriftsteller. 1980 gründete er mit Philippe Pierlot und François Fernandez das Ricercar Consort, das bis heute Standards und Raritäten des Barock auf Originalinstrumenten spielt. Zwischen 1982 und 1997 nahm er für das Plattenlabel Ricercar das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach an berühmten historischen Orgeln auf. Als Beispiel hören sie hier das kurze Choralvorspiel »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig«, das er an der großen Orgel in der Klosterkirche Muri spielte. Warum ich das ausgewählt habe, erfahren Sie später. 

1983 veröffentlichte er eine Biografie des belgischen Komponisten Philippe Boesmans (1936–2022), der da gerade seine erste große Oper La passion de Gilles im Théâtre de la Monnaie zur Uraufführung brachte. Reigen, Wintermärchen, Julie, mit denen er vielleicht größeren Erfolg hatte, folgten erst später.

1992 wurde Foccroulle Generaldirektor des Théâtre de la Monnaie und führte die erfolgreiche Modernisierung des Betriebes, die sein Vorgnger Gérard Mortier angefangen hatte, konsequent weiter. Nach 15 Jahren wechselte er zum Festival d'Aix-en-Provence, um dort Stéphane Lissner zu ersetzen, der einem Ruf an die Mailander Scala folgte. 2018 verabschiedete er sich dort. Er war also der Auftraggeber von Written on Skin, nicht aber von Innocence.

Als Komponist schrieb er bis 2020 fast ausschließlich Werke für Orgel und Lieder mit Instrumentalbegleitug. Ihn interessierten dabei auch ganz besoders die Instrumente, auf denen er seine Konzerte als Organist gab, oder die seine Kollegen spielten wie die Gambe von François Fernandez. Hier als Beispiel ein Nigra sum für Sopran, Zink und Barockorgel, komponiert 2012.

Auf die trojanische Prinzessin Kassandra, die von Apollon begehrt und mit der Sehergabe ausgestattet wurde, sind wir in den Zehlendorfer Operngesprächen schon mehrmals gekommen. Die Sehergabe, mit der Apollon sie beschenkt hatte, konnte er nicht zurücknehmen, dafür aber konnte er die Prinzessin mit dem Fluch belegen, dass niemand ihren Prophezeiungen glaubt. Als der trojanische Krieg verloren war, nahm Agamemnon sie mit nach Mykene, wo sie gleich ihm von Klytämnestra und Ägisth ermordet wurde. Um den letzten Teil ihrer Legende geht es in der gleichnamigen Oper Cassandra von Vittorio Gnecchi, die 2007 in auf die Hälfte gekürzter Form aufgeführt wurde. Der Blog exisiterte damals noch nicht, daher kann ich nicht darauf verweisen. Aber YouTube kann Sie mit Tonaufnahmen sowohl einer gekürzten Fassung wie in Berlin, aber aus Catania (hier) wie auch von einer vollständigeren aus Montpellier (hier eine Playlist der CD-Aufnahme, die Sie natürlich auch bei Spotify oder anderen Streamingdiensten hören können) versorgen. Cassandra folgt dem ersten Teil der Orestie des Aischylos, Agamemnon, Elektra dem zweiten, Die Choephoren. Richard Strauss hatte eine große Anzahl von musikalischen Themen aus Gnecchis Oper kopiert und in seine Elektra einfließen lassen, was aber keine Konsequenzen hatte, da niemand gegen den »dicken Fisch« Strauss vorgehen mochte; Urheberrecht steckte auch noch in den Kinderschuhen und endete in der Regel an Landesgrenzen. Sie erinnern sich an die Geschichte. Und Sie erinnern sich auch, dass Richard Strauss mit seinem Genie die Themen in etwas verwandelte, was man in Cassandra nicht finden kann. Bewusster Betrug lag wohl nicht vor, Strauss wird sich die unverlangt eingesandte Partitur angeschaut haben und die Melodien setzten sich in seinem musikalischen Gedächtnis fest als seien es die eigenen.

In den ersten beiden Akten Les Troyens von Hector Berlioz spielt Cassandre ein große Rolle, dazu gibt es den alten Post von 2010, damals noch ohne Links, daher muss ich nichts korrigieren, dafür ergänzen: hier eine Inszenierung von David McVicar am Royal Opera House von 2013. Aus den Jahren 1965/66 stammt die Oresteia von Iannis Xenakis, die Kassandra-Szene (für einen Bariton) ist allerdings erst später eingefügt worden, aber die Oper wurde 2014 auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin aufgeführt und daher gibt es auch in den Zehlendorfer Operngesprächen einen Blogbeitrag dazu, hier.

2020 bis 2022 schrieb Bernard Foccroulle seine erste Oper Cassandra, die 2023 an seiner ehemaligen Wirkungsstätte Théâtre de la Monnaie zur Uraufführung kam. Die Inszenierung von Marie-Ève Signeyrole (wir kennen sie von Négar und Macbeth an der Deutschen Oper Berlin) ist nach wie vor auf YouTube verfügbar, hier, und diese Inszenierung kommt nun auch nach Berlin an die Staatsoper Unter den Linden. Foccroulle und sein Librettist Matthew Jocelyn knüpfen ein zeitgenössisches Drama um nicht gehörte Umweltforschung an die antike Figur der Kassandra. Musikalisch mündet es in den Bach-Choral »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig« allerdings nicht in der Orgelversion, sondern in der Version aus der entsprechenden Kantate, die Sie hier hören können (Der Choral kommt am Schluss, wie immer bei Bach). Ausnahmsweise verweise ich für die Handlung und auch noch weitere Informationen zu der Oper auf Wikipedia, wo sie erstaunlicherweise bereits einen umfangreichen Eintrag hat, hier.

Wir sehen uns am Mittwoch, wie gewohnt, ich freue mich,
Ihr Curt A. Roesler

Montag, 3. März 2025

Bohuslav Martinů

Einer der fleißigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts war Bohulsav Martinů. Er wurde 1890 in der Kleinstadt Polička im mittleren Osten der Tschechischen Republik, näher an Brünn als an Prag, geboren. Dass er ein berühmter Komponist werden würde, wurde ihm nicht an seiner Wiege gesungen. Sein Vater war ein Schuhmacher und Turmwächter. Künstler gab es kaum in der Verwandtschaft. Dennoch wurde seine Begabung von einem Schullehrer entdeckt und er erhielt mit sieben Jahren seinen ersten Violinunterricht. Mit sechzehn Jahren kam er ans Konservatorium in Prag, wo er zum Geiger ausgebildet werden sollte, doch dass dies nicht zu einer großen Solistenkarriere führen würde, stellte sich bald heraus. Ihn interessierten die Bibliotheken, die Museen, die Theater, die Opern- und Konzerthäuser der Großstadt viel mehr als das Üben. Auch der Wechsel zur Kompositionsklasse brachte keine wirkliche Verbesserung, 1910 wurde er »wegen unverbesserlicher Nachlässigkeit« vom Unterricht abgewiesen. Das wirkte wie eine Befreiung, denn wenige Tage danach nahm er sein erstes großes Orchesterwerk in Angriff, eine Ouvertüre zu La mort de Tintagiles, angeregt durch Debussys mit Pelléas et Mélisande, die 1908 in Prag zur Erstaufführung gekommen war, seine Aufmerksamkeit auf Maeterlinkck gelenkt hatte. La mort de Tintagiles wurde viel später – Sie erinnern sich – Teil der Maeterlinck-Trilogie L'invisible von Aribert Reimann. Eine Anstellung als Geiger in der Tschechischen Philharmonie bekam Martinů dennoch, und mit diesem Orchester reiste er 1919 erstmals nach Paris, wohin er 1923 defiitif zog und blieb, bis er 1940 erst nach Aix fliehen musste, von wo er dann über Marseille und Lissabon ind die USA gelangte.

An die 400 Werke weist das Verzeichnis des Schott-Verlages aus. Jedes Musikgenre ist dabei vertrreten, von Kammermusik von einem bis zu neu Instrumenten, über Werke für großes Orchester, darunter sechs Sinfonien, und für Kammerorchester, Instrumentalkonzerte, darunter auch Doppelkonzerte und als Besonderheit ein Konzert für Streichquartett und Orchester; Lieder mit Klavierbegleitung und mit Orchesterbegleitung, Chorwerke, Kantaten, ein Oratorium (das allerdings auch fast ein Bühnenwerk ist). Und das, womit wir uns hier befassen wollen: 38 Bühnenwerke. Nicht alle sind aufführbar, es sind unvollendete und nicht auffindbare darunter. Dennoch bleibt eine stattliche Anzahl von Werken, die auch heute einer Aufführung wert wären, wenngleich die Musik Martinůs oftmals sehr zeitbezogen ist. Vor bald zehn Jahren spielte die Staatsoper (damals, wenn ich mich richtig erinnere, im Schillertrheater) Juliette. Wir haben natürlich darüber gesprochen, hier ist noch der Blogbeitrag von damals. Der Link zum Film von Marcel Carné mit Gérard Philippe funktioniert allerdings nicht mehr. Man kann den Film nur noch mit russisch darüber gesprochenem Kommentar sehen, was ziemlich irritierend ist.

Vor mehr als vierzig Jahren brachte das Ballett der Deutschen Oper Berlin einen dreiteiligen Abend mit Choreografien von Jiří Kylián und Antony Tudor heraus. Kylián verwandte eine Volksmusik-Collage und Tudor Werke von Martinů und Dvořák. Natürlich handelte es sich dabei nicht um Musik die für das Theater geschrieben wurde, sondern um sinfonische Werke. Echoing of Trumpets nannte Tudor seine Interpretation der 6. Sinfonie von Martinů, die den Untertitel Fantaisies Symphoniques hat. Ich war deswegen nicht begeistert, weil Martinů nicht weniger als 15 Ballette geschrieben hat, die so gut wie nie aufgeführt werden. Es gab 1967 sogar einen Präzedenzfall: ebenfalls als Teil eines aus drei Choreografien bestehenden Ballettabends brachte Kenneth MacMillan Anastasia heraus. Die Musik dazu war auch schon die 6. Sinfonie von Martinů, ergänzt durch elektronische Musik. Hier gibt es eine Tonaufnahme der 6. Sinfonie von 1956. Das Boston Symphony Orchestra spielt, dirigiert von Charles Munch – das sind die Widmungsträger der Sinfonie. Natürlich ist das eine »dramatische« Musik, aber es ist eben eigentlich eine Sinfonie und es fehlt die Ironie und Doppelbödigkeit, die besonders die frühen Bühnenwerke Martinůs auszeichnen. Typisch 20er Jahre etwa mit der Integration von gesprochenem Wort ist La revue de cuisine (1927 in Paris geschrieben, aber in Prag als Kuchyňská revue uraufgeführt). Beim Musikfestival Ernen gab es im letzten Sommer eine konzertante Aufführung, die hier zu sehen ist. Die Musiker sprechen den Text dabei selbst und zwar jeder in seiner Muttersprache.

Der Jazz spielte im Schaffen Martinůs eine große Rolle. Er gehörte zu den ersten Komponisten der Moderne, die sich reichlich daran bedienten, wie man in der Küchenrevue hören kann. Später nahmen Elemente des Volksliedhaften und auch Elemente der Madrigalmusik aus dem 17. Jahrhundert einen größeren Anteil. Wie bei George Enescu, dessen Oedipe wir hier vor ein paar Jahren besprochen haben, ist jedes Werk ein Individuum. Selbst die Sinfonien, die alle in einer kurzen Zeitspanne entstanden, sind ganz unterschiedlich. Der Biograf Harry Halbreich stellt als Charakteristika, bei der ersten das Epische in den Vordergrund, bei der zweiten das Idyllische oder Pastorale, bei der dritten das Tragische, bei der vierten das Lyrische und bei der sechsten das Fantastische, nur bei der Fünften zögert er mit einem eindeutigen Begriff und nennt sie schließlich Sinfonie des Helldunkels. Fünf Sinfonien entstanden mehr oder weniger in einem Zug, 1942 begonnen, alle einem Orchester gewidmet: Boston, Cleveland, Philadelphia; kurz vor Vollendung der 4. endete der 2. Weltkrieg. Die 5. nahm dann einen etwas längeren Zeitraum in Anspruch und Martinů widmete sie der Tschechischen Philharmonie, die sie unter Leitung von Rafael Kubelik 1947 zur Uraufführung brachte. Der Berufung zum Kompositionlehrer am Prager Konservatoirum kam nicht Martinů nach, nachdem die politischen Verhältnisse sich in der Tschechoslowakei eindeutig in die sozialistische Richtung wandten. Ein Nachzügler ist die sechste Sinfonie, 1951 bis 1953 komponiert und wieder dem Boston Symphony Orchestra gewidmet und Charles Munch, der inzwischen Serge Koussevitzky als Musikdirektor abgelöst hatte. 

Wie wahrscheinlich die meisten Zeitgenossen lernte Martinů Nikos Kazantzakis zuerst als Autor von Alexis Sorbas kennen. Im Sommer 1954 besuchte er den Autor in Antibes und sie kamen überein, dass er den Roman Der wiedergekreuzigte Christus zur Grundlage einer Oper machen dürfe. Martinů stellte sich das Libretto selbst anhand einer englischen Übersetzung zusammen, denn ein Kompositionsauftrag des Covent Garden Opera House war bald unterschriftsreif. Doch die Griechen waren 1955 offene Gegner Großbritanniens, das Zypern nicht hergeben wollte. Im letzten Augenblick zog sich London zurück. Schneller ging es mit dem Film voran, den Jules Dassinnach dem Roman drehte (dem ersten mit Nana Mouskouri), Celui qui doit mourir kam 1957 heraus, hier zu sehen. Erst als sich das Stadttheater Zürich ernsthaft für eine Aufführung interessierte, nahm Martinů die Partitur, die er zum Teil schon verschenkt hatte, wieder hervor und schuf eine zweite Fassung, die bis 1999 die einzige war, die gespielt wurde. Erst 1999 kam in Bregenz die Londoner Fassung zur Uraufführung, die seither bevorzugt wird. Sie ist etwas länger und enthält mehr Personen. Auch gibt es sehr viel ausgedehntere gesprochene Passagen, außerdem die Figur eines Erzählers. Hier kann man die Bregenzer Aufführung sehen.

1. Akt: Eine griechische Gemeinde in der Türkei wählt nach dem Ostergottesdienst die Darsteller des nächstjährigen Passionsspiels. Der Schafhirt Manolios soll den Christus darstellen, was seine Aufmerksamkeit völlig von seiner Braut Lenio abzieht. Ein Flüchtlingszug spaltet die Bevölkerung, die einen wollen helfen, die anderen, angeführt vom Dorfpriester, weisen ab. – 2. Akt: Katerina, die Maria Magdalena spielen wird, hat von Manolios geträumt. Der meint jedoch für die Rolle keusch bleiben zu müssen. Ladas schlägt vor, den Flüchtlingen gegen Lebensmittel Geld abzuziehen und gibt Yannakos Vorschuss. * Manolios fühlt sich als Christus. Er flieht vor Katerina, die sich ihm nähert. * Die Flüchtlinge gründen ein Dorf. Yannakos bereut und schenkt ihnen den Vorschuss. – 3. Akt: Nikolio spielt Manolios zum Einschlafen auf der Flöte. Im Traum begegnet er Lenio und Katerina. Schließlich glaubt er, der Mutter Gottes gegenüberzustehen. Nikolio bedrängt Lenio. * Manolios und Katerina verschwistern sich im Glauben. * Priester und Dorfälteste empören sich über den »von Christus erleuchteten« Manolios. Dennoch folgen die Dorfbewohner dessen Aufforderung, allen Überfluss den Flüchtlingen zu schenken. Nikolio bereitet die Hochzeit mit Lenio vor während sich Manolios mit Jüngern umgibt. – 4. Akt: Die Hochzeit wird vom Priester unterbrochen, der Manolios aus der Gemeinde verstößt. Der klagt sich des Hochmuts an. Aber inzwischen revoltieren die verhungernden Flüchtlinge. Die wütende Menge erschlägt Manolios als ihren Anführer. * Ein paar Monate später Gedenken die Flüchtlinge und Katerina des Manolios. Fotis ruft die Flüchtlinge zum Abmarsch. 

1971 hat Charles Mackerras in in Prag die Zürcher Fassung für die Schallplatte aufgenommen, bei YouTube ist die Aufnahme aktweise zu hören: 1. Akt, 2. Akt, 3. Akt., 4. Akt. 2016 ist die Erstfassung auch in Graz gespielt worden und dabei entstand 2017 eine Tonaufnahme, für die es hier eine Playlist gibt.

Mehr am Mittwoch, ich freue mich darauf.
Ihr Curt A. Roesler

 

Montag, 24. Februar 2025

Kaija Saariaho

Am 15. März bringt die Dresdner Semperoper Innocence von Kaija Saariaho heraus. Lorenzo Fioroni, der an der Deutschen Oper Berlin Simon Boccanegra und Turandot inszeniert hat, inszniert die multilinguale Oper. Es gibt insgesamt sieben Vorstellungen bis zum 11. April, man muss sich also beeilen, wenn man sie sehen will. Oder man fährt nach Gelsenkirchen, dann aber noch schneller, dort gibt es eine Iszenierung von Elisabeth Stöppler, die am 20. März im Rahmen des Essener »Her:Voice-Festivals« noch einmal gespielt wird. Ansonsten wird die Oper im März auch in Adelaide gespielt, aber deswegen wird wohl keiner dahin reisen wollen. Eher schon vielleicht nach Amsterdam, das sich gerade zu einem Saariaho-Festival mit Konzerten, Workshops und einer Ausstellung aufmacht (hier das Programm). Innocence kann man dort auch sehen, allerdings nur im Kino die Aufzeichnung der Uraufführung in Aix, die es auch auch bei YouTube gibt (hier). Aber auch bei den Berliner Philharmonikern kann man ab 27. Februar Saariaho hören. Dalia Stasevska dirigiert (François-Xavier Roth ist offenbar ausgeladen worden) Orion neben Werken von Sibelius, Grieg und Debussy. Orion ist ein dreisätziges Orchesterweerk, das Saariaho 2002 schrieb und Franz Welser-Möst und dem Cleveland Orchestra widmete, die es 2003 zur Uraufführung brachten. 2023 wurde es in der Philharmonie schon einmal gespielt, vom Concertgebouw-Orchester unter Klaus Mäkelä, hier die Tonaufzeichnung. Für Dalia Stasevska habe ich hier noch eine Empfehlung: Mit dem Orchestre National de France dirigierte sie L'apprenti sorcier von Paul Dukas. Hier zu sehen und vor allem auch zu hören, das französische Fagott spielt diesmal nicht Marie Boichard, es ist auch wohl nicht Philippe Hanon, der zweite Solo-Fagottist, aber so gut ist alles nicht zu erkennen. Die Solo-Fagott-Stelle ist bei 2:50, das Kontrafagott – auch den Musiker erkenne ich nicht – ist natürlich auch französischer Bauart und erklingt bei 7:20.

Kaija Saariaho ist gut vertreten auf YouTube. Jemand hat sich die Mühe gemacht 169 Videos zusammenzustellen und damit einen chronologischen Werküberblick zu bieten, hier. Alle CDs können Sie selbstverständlich auch bei den Streamingdiensten hören, meist – je nach Ihrer individuellen Ausstattung – in besserer Tonqualität. Eine DVD bzw Blu-ray-Disc gibt es, Only the Sound Remains, zwei Noh-Spiele, mit Peter Sellars an der Dutch National Opera realisiert. Davon sind nur Ausschnitte und Kommentare auf YouTube zu finden.

Kaija Saariaho, 1952 in Finnland geboren, studierte zuerst bei Paavo Heininen, einem der bekanntesten finnischen Komponisten der Nachkriegs-Avantgarde, und dem bedeutendsten Kompositionslehrer an der Sibelius-Akademie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie studierte danach bei Brian Farneyhough und Klaus Huber in Freiburg i. Brsg. und kam bei den Darmstädter Ferienkursen mit Tristan Murail und weiteren Vertretern des IRCAM (Institut de recherche et coordination acoustique/musique) und der »Spektralmusik« in Kontakt. 1982 zog sie dauerhaft nach Paris und reihte sich in die zweite Generation der »Spektralisten« ein. Diese lösten die auf Reihungen beruhenden Kompositionsmethoden der Nachkriegszeit (»Zwölftonmusik«, »Serialismus«) durch Methoden akustischer Analysen ab. Jeder Ton wird als Klang analysiert und in Beziehung zu anderen Klängen gesetzt. Vieles, was dabei kreativ errechent wird, ist nur mit elektronischen Instrumenten realisierbar, dementsprechend spielt Live-Elektronik auch eine große Rolle. 1985 realisierte sie am IRCAM Jardin secret I, eine rein elektronische Komposition. Kurz davor hatte sie in Helsinki den ersten großen Erfolg mit einem Orchesterwerk, das ebenfalls auf den Prinzipien des Spektralismus beruht und dementsprechend mit Zuspielungen vom Tonband ausgestattet ist. Esa-Pekka Salonen brachte Verblendungen (Titel nach Elias Canetti) zur Uraufführung. Susanna Mälkki brachte das Werk in einem Konzert zum 70. Geburtstag Saariahos am 22. Oktober 2022 mit dem Philharmonischen Orchester Helsinki zur Aufführung, das Konzert ist komplett mit Kommentaren und Interviews in finnischer Sprache hier bei YouTube zu finden, Verblendungen beginnt bei 1:25:40.

Das früheste Werk, das im selbst erstellten Werkverzeichnis Saariahos auftaucht, ist ein Vokalwerk von 1977, Bruden, für Sopran oder Mezzosopran, zwei Flöten und zwei Schlagzeugspieler auf vier schwedischsprachige Gedichte, das aber äußerst selten aufgeführt wird. 1979 wird das Werkverzeichnis schon üppiger und neben zwei Chorwerken taucht auch die Vertonung eines chinesischen Gedichts aus dem 12. Jahrhundert auf, Jing (Spiegel) für Sopran und Violoncello. Hier gesungen von Sandrine Schau und begleitet von Tom Pickles.

1991 wurde die erste Komposition von Kaija Saariaho für die Bühne zur Aufführung gebracht. Im Auftrag der Finnischen Nationaloper entstand in Zusammenarbeit mit der Choreografin Carolyn Carslon das abstrakte Ballett Maa (Erde). Hier eine Playlist der CD-Aufnahme. Auch der Titel ihres Violinkonzerts, das sie wie Philip Glass für Gidon Kremer schrieb, lässt eine Sehnsucht nach der Bühne erkennen: Graal theatre. Hier die Tonaufnahme mit Gidon Kremer und dem BBC-Orchester unter Esa-Pekka Salonen. Aber erst, nachdem sie in Salzburg Saint-François d'Assise von Olivier Messiaen, inszeniert von Peter Sellars, gesehen hatte, wagte sie sich daran, auch selbst eine Oper zu schreiben. 1996 lud Gérard Mortier sie zu den Salzburger Festspielen ein, wo Dawn Upshaw das Oratorium Château de l'âme zur Uraufführung brachte, die in Saint-François d'Assise die Seele verkörpert hatte. 

Wie Messiaen wählte Saariaho für ihre erste Oper einen Stoff, der ins 12. Jahrhundert zurückführt. Der Troubadour Jaufré Rudel wird in den Lebensbeschreibungen provenzalischer Dichter dargestellt, wie wenn er in seinen Gedchten sein eigenes Leben verarbeitet hätte. Es gibt jedoch keinen Nachweis dafür, dass er tatsächich an einem Kreuzzug teilgenommen hätte. In seinen Gedichten schwärmt er von einer Gräfin von Tripolis. Um ihr nahe zu sein, macht er sich auf den Weg ins Heilige Land. Er erkrankt auf der Reise und stirbt in ihren Armen; sie lässt seinen Leichnam in die Niederlassung der Tempelritter in Jerusalem bringen und geht als »Witwe« in ein Kloster. Acht Gedichte von Rudel sind erhalten, bei zweien wird die Autorschaft angezweifelt. Schon im 19. Jahrhundert gab es Interesse an ihm. Heinrich Heine verewigte ihn in dem Gedicht Goeffroy Rudel und Melisande von Tripoli, Edmond Rostand schrieb La princesse lointaine für Sarah Bernhardt, wir sprachen davon im Zusammenhang mit L'Aiglon von Ibert und Honegger, dem ein von Rostand ebenfalls für Sarah Bernhardt geschriebenes Stück zugrundeliegt. Saariaho begann ihre Arbeit 1996 damit, dass sie ein Gedicht von Rudel unter dem Titel Lonh für Sopran und Elektronik vertonte. Es handelt sich ausgerechnet um eines, dessen Autorschaft angezweifelt wird, Lanqand li jorn son lonc en mai. Der Text kommt darin in drei Sprachen vor, Okzitanisch (original), Französisch und Englisch. Dawn Upshaw brachte das Werk noch 1996 in Wien zur Uraufführung. Eine spätere Aufführung aus Paris ist hier mit einem Kommentar der Komponistin zu sehen und zu hören. Für die Oper ließ sie sich ein Libretto von dem wie sie in Paris lebenden libanesischen Schriftsteller Amin Maalouf schreiben. Gérard Mortier sorgte dafür, dass noch zwei weitere Opernhäuser in den Uraufführungsvertrag einstiegen, das Théâtre du Châtelet, Paris, und das Santa Fe Opera House. Inzwischen ist die Oper in allen großen Opernzentren gespielt worden, auch an der Met, in Berlin allerdings nur konzertant. In Helsinki sang wie in der Uraufführung Dawn Upshaw die Partie der Clémence, Jaufré Rudel ist Gerald Finley, es dirigiert Johanna Mälkki. Hier zu sehen.

Fünf weitere Werke für das Musiktheater schrieb Kaija Saariaho danach noch. Adriana Mater 2005, hier ein Documentary mit der Komponistin, die nächsten Bühnenaufführungen sind im Oktober in Rom. La passion de Simone (dabei geht es um das Leben der Simone Veil) 2006, eine Kammerversion gibt es hier. In Köln gibt es im Mai fünf Aufführungen einer Inszenierung von Friederike Blum. Das Monodrama Émilie 2008. Für diese drei Werke schrieb ebenfalls Amin Maalouf den Text. 

Für das nächste Musiktheaterprojekt griffen Saariaho und Peter Sellars auf zwei japanische Noh-Spiele zurück, von denen es eine englische Übersetzung von Ezra Pound gibt. Der Titel des 2015 uraufgeführten Werks für Countertenor, Bassbariton, kleines Vokal- und kleines Instrumentalensemble lautet Only the Sound remains. Das letzte Bühnenwerk Saariahos ist Innocence, geschrieben 2018. Das Libretto schrieb die finnische Schriftstellerin und Dramatikerin Sofi Oksanen. Auch hier haben sich vier Institutionen zusammengetan, um den Auftrag zu erteilen, das Festival in Aix-en-Provence (wo auch 2021 die Uraufführung stattfand), die Niederländische Nationaloper, das San Francisco Opera House und die Finnische Nationaloper. Die Handlung entspinnt sich um eine Hochzeit in der Gegenwart Finnland, um die sich die nicht vergehende Erinnerung an ein Schulmassaker 10 Jahre früher rankt. Der Bruder des Bräutigams war der Schütze, der vor Kurzem aus der Haft entlassen wurde, wovon die Braut nichts weiß. Die Tochter der kurzfristig eingesprungenen Kellnerin war eine der zehn bei dem Massaker ums Leben gekommenen Schülerinnen und tritt als Geist immer wieder zwischen den Überlebenden auf. Zwischen den Hochzeitsszenen erzählt eine Lehrerin, was damals in der Schule passiert ist. Schließlich verlangt die Kellnerin von der Mutter des Bräutigams eine Erklärung, wodurch die Braut die Wahrheit und somit auch die Verwicklung des Bräutigams in das Massaker erfährt. Sie ist jedoch bereit zu verzeihen. Aber der Bräutigam kann sich nicht von seiner Vergangenheit lösen und entscheidet sich, sie zu verlassen. Es bleibt dem Geist der getöteten Schülerin vorbehalten, die Braut mit ihrem Gesang zu trösten. Die Partie der Makéta, der getöteten Schülerin wurde für und mit der Ethno-Pop-Künstlerin Vilma Jää entwickelt. Die Hochzeitsgäste werden von Opernsängern dargestellt, die SchülerInnen von SchauspielerInnenn. Es kam ein internationales Ensemble zusammen und Saariaho entschied, dass jeder in seiner Muttersprache singen und sprechen sollte. Daher wurden Teile des Librettos ins Tschechische (für Magdalena Kožená als Kellnerin), ins Rumänische (für Lilian Farahani als Braut), ins Französische (für Sandrine Piau als Schwiegermutter und Julie Hega als zweite Schülerin), ins Englische (für Lucy Shelton als Lehrerin), ins Schwedische (für Beate Mordal als zweite Schülerin), ins Deutsche für Simon Kluth als vierter Schüler), ins Spanische (für Camilo Delgado Díaz als fünften Schüler) und ins Greichische (für Marina Dumont als sechste Schülerin) übersetzt. Nur für den Bräutigam Tuomas (Markus Nykänen), den Schwiegervater Henrik (Tuomas Pursio), den Pfarrer (Jukka Rasilainen) und selbstverständlich für Vilma Jää war die finnische Originalsprache vorgesehen. In der Uraufführung in Aix sangen dann die Kellnerin, die Schwiegermutter, die Braut, Tuomas, Henrik und der Pfarrer teilweise auch englisch.

Das letzte Werk Saariahos, das Trompetenkonzert Hush, wurde am 24. August 2023 posthum in Helsinki uraufgeführt. Hier die Tonaufnahme davon.

Mehr von Kaija Saariaho am Mittwoch, ich freue mich darauf, diese musikalische Welt mit Ihnen zu entdecken.
Ihr Curt A. Roesler

Montag, 17. Februar 2025

Leoš Janáček – wieder einmal

Über Die Ausflüge des Herrn Brouček haben wir schon einmal gesprochen, aber nur kurz. Und außerdem ist es lange her. Dieses Werk hat eine besondere Stellung im Schaffen von Leoš Janáček. Nicht nur dauerte der Schaffensprozess fast noch länger als bei Jenufa, Die Ausflüge des Herrn Brouček gelten auch als die einzige musikalische Komödie des Komponisten. Doch Das schlaue Füchslein ist zumindest auch ein heiteres Werk (und darüberhinaus weit populärer). Aber Das schlaue Füchslein ist nach der französischen Einteilung nicht eine Opéra comique, sondern eine Féerie, also eine Märchenoper – und trotzdem ein typischer Janáček. Schaut man genauer hin, so erkennt man aber auch in Die Ausflüge des Herrn Brouček einen ganz typischen Janáček. Wenn an nes genau nimmt, ist es sogar die erste Oper, in der sein System der Sprachmelodien voll zum Einsatz kommt. 1897 hatte er mit seinen Aufzeichnungen von akustischen Ereignissen wie Satzfetzen, die im Café erklingen, in Skizzenbücher angefangen. Was er da aufgezeichnet hat, wird manchmal als Sprachmelodien und manchmal als Sprechmelodien bezeichnet. Wichtig zum Verständnis ist, dass es sich nicht darum handelt, gesprochenes Wort in Noten zu fassen. Das wäre ja nichts Neues, denn das haben viele andere seit Monteverdi gemacht: das steckt hinter den Rezitativen von Mozart bis Alban Berg. Janáček schrieb nämlich nicht nur Gespräche auf, die er zufällig mitbekommen hatte. Man findet auch etwa das Murmeln ein Baches unter diese Notaten. Undnoch etwas: auch wenn man – wie ich – die teschechische Sprache nicht beherrscht, wird einem schnell klar, dass es sich nicht nur um eine nüchterne Abbildung von Hebungen und Senkungen im Sprachduktus handelt, sondern dass der ganze Vorgang des Sprechens wie auch das Verhältnis vom akustischen Ereignis zum Rezipienten mit in die Noten gefasst wird. Um gleich noch ein leicht aufkommenden Missverständnis auszuräumen: Das Kompositionsprinzip mit Sprachmelodien beruht nicht auf Zitaten aus diesen Aufzeichnungen, sondern jede Sprachmelodie in den Werken Janáčeks ist eine originale Komposition. Und noch wichtiger ist, was auch aus dem verher Gesagten hervorgeht: nicht nur die Singstimmen werden von Srachmelodien bestimmt, sondern auch das Orchester. Und daraus folgt, dass man immer auch Sprachmelodien findet, die von gar keiner Singstimme aufgenommen wird, sondern nur vom Orchester.

Svatopluk Čech (1846–1908) ist einer der wichtigsten Vertreter des tschechischen Realismus und Naturalismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sein bekanntestes Werk ist die Erzählung Unter Büchern und Menschen, die schon ca. 1880 ins Deutsche übersetzt wurde. Neben einer Neigung zum Panslawismus (dem auch Janáček anhing) weisen seine Romane auch eine starke sozialkiritische Komponente auf. Den satirischen Roman Der wahre Ausflug des Herrn Brouček zum Mond las Janáček gleich nach der Veröffentlichung 1888. Und mehr noch: Er veröffentlichte Auszüge daraus in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Hudební listy. Der große Erfolg der Figur des Hausbesitzers Brouček, der selten nüchtern anzutreffen ist, veranlasste Čech im Jahr darauf, einen zweiten Roman mit ihm im Zentrum zu schreiben, dessen Titel noch etwas länger ist, Neue epochale Reise von Herrn Brouček dieses Mal ins 15. Jahrhundert. Damit führt er ihn in die Zeit der Hussitenkriege, eine Zeit, in der er sich sehr zuhause fühlte.

Nach dem Tod des Autors sicherte sich Janáček von den Erben die Rechte zur Vertonung von Der wahre Ausflug des Herrn Brouček zum Mond. Die Arbeit an der Oper verzögerte sich aber mehrfach. Der erste Librettist, mit dem sich Janáček den Text zurechtlegen wollte, stieg schon sehr schnell aus. Dann stellte sich heraus, dass die Familie Čech die Vertonungsrechte noch an einen anderen Komponisten verkauft hatte, Karel Moor (1873–1945). Der ließ sich nicht davon abschrecken, dass Janáček verkündete, er habe schon einen ganzen Akt komponiert – was gar nicht stimmte – und brachte seine Operette Výlet pana Broučka do měsíce 1910 in Jaromĕř heraus. Ein Klavierauszug davon wurde 1916 in Prag gedruckt, man kann ihn bei IMSLP herunterladen. Aber von Aufführungen in neuerer Zeit ist nichts bekannt. Überhaupt ist es nicht ganz leicht an Tonaufnahmen von Musik Karel Moors zu kommen. Aber eine gibt es, das hier würde doch gut in ein Neujahrskonzert passen. Oder ist es zu tschechisch und zu wenig wienerisch? Janáčeks Arbeit stockte jedernfalls und nahm erst wieder Fahrt auf, als die Erstaufführung von Její pastorkyňa (wir kennen die Oper unter dem Titel Jenůfa) in Prag und später auch in Wien bevorstand. Janáček hatte jetzt die Aussicht, als Opernkomponist wirklich anerkannt zu werden.

1917 war die Oper so gut wie vollendet, es wurde ein neuer Verleger gefunden, Janáček schickte seine vier Akte und einen Epilog, den er allerdings gleich wieder zurückzog mit der Ankündigung, einen neuen zu schreiben. Dazu kam es aber nicht, denn der Komponist kam jetzt auf die Idee, statt eines Epilogs eine zweite Oper über den Herrn Brouček zu schreiben, nämlich nach dem zweiten Roman Čechs. Dabei ging alles viel schneller, die Suche nach einem Librettisten und auch die Komposition, die er in einem Dreivierteljahr abschloss. 1920 wurde die Oper in Prag zur Uraufführung gebracht, als einzige zu Janáčeks Lebzeiten in der tscheichschen Hauptstadt, alle anderen kamen in Brünn heraus. Noch etwas ist ist einzig an Die Ausflüge des Herrn Brouček. Es gibt keine deutsche Übersetzung von Max Brod. Angeblich weigerte der sich als Pazifist, die Kriegsszenen zu übersetzen. Das hatte aber zu Zeiten, wo Oper ausschließlich in der Landessprache aufgeführt wurden, zur Folge, dass die Oper in Deutschland auch gar nicht aufgeführt wurde. 1959 erst übersetzte der in Berlin wohlbekannte Karlheinz Gutheim das Libretto und der in Berlin ebenso wohlbekannte Wolf Völker inszenierte das Werk in München. Lorenz Fehenberger, Wilma Lipp und Fritz Wunderlich gehörten zur Besetzung, es dirigierte Joseph Keilberth. Im gleichen Jahr zeichnete der WDR die Oper mit identischer Besetzung mit dem eigenen Orchester und Chor auf, das können Sie (inklusive aller Kommentare) hier hören.

1. Teil »Ausflug des Herrn Brouček auf den Mond« 1. Akt, 1. Bild: Malika wirft Mazal Untreue vor und verkündet, dass sie es sich anders überlegt hat. Auf dem Mond, sagt sie dem Hausbesitzer Brouček, werde sie ihn heiraten. Während der den Mond anhimmelt, versöhnen sich Mazal und Malika wieder. Verwandlung: Brouček gelangt auf den Mond. 2. Bild: Der Mondkünstler Brankytni preist seine platonische Liebe zu Etherea. Brouček lässt sich nicht dazu überreden, deren Kleid zu küssen, und wird entführt. 2. Akt: Die Künstler stimmen die Mondhymne an, Etherea hat sich wider alle Erwartungen in Brouček verliebt. Alle fallen in Ohnmacht, als der seine mitgebrachten Würstchen isst, weil er vom Riechen an Blumen nicht satt wird. So macht er doch seinen Bauch zum Grab toter Tiere. Verwandlung: Der betrunkene Brouček wacht auf der Gasse in Prag auf.

2. Teil »Ausflug des Herrn Brouček ins 15. Jahrhundert« 1. Akt, 1. Bild Brouček erfährt von einem Tunnel unter der Moldau, der von der Schatzkammer der Könige zum Marktplatz führt. Dort eingeschlossen, erscheint ihm der Autor Svatopluk Čech. 2. Bild: Brouček fällt durch seine Kleidung aus der Zukunft auf, in den Hussiten erkennt er seine Saufkumpane, aber sie scheinen ihn nicht zu erkennen. Sie halten ihn für einen Spion. Er kann aber gut flunern. 2. Akt, 1. Bild: Brouček versucht, sich aus den Auseinandersetzungen zwischen Hussiten und Taboriten und deren Kampf gegen das Kaisertum herauszuhalten. Als er eine Zigarre anzündet, wird er in den Augen der Haushälterin zum Antichristen. 2. Bild: Nach dem Sieg der Hussiten wird Brouček als Deserteur zum Tode verurteilt. 3. Bild: Das Bierfass, in dem er verbrannt werden soll, wird zur Laterne und wir sind zurück in der Gegenwart. Brouček hört nicht auf, mit seinen Kämpfen zu prahlen.

Bei der Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 16. März 2025 handelt es sich um eine Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn. Dort kam die Inszenierung von Robert Caresen am 11. Januar 2024 heraus. Seit 6. Dezember ist eine Aufzeichnung davon auf Operavision (Kanal bei YouTube) verfügbar. Bis zum 5. Juni haben Sie noch Zeit, sie sich hier anzusehen. Und es gibt noch eine Alternative (die hoffentlich länger bleibt) von der Grange Park Opera. Dieses Festival steht ganz im Schatten von Glyndebourne, es richtet sich allerdings auch an ein anderes Publikum. Es gibt sehr viele Initiativen zur Populasisierung der Kunstform, es gibt Aufführungen in Gefängnissen und besondere Tarife für BesucherInnen von 18 bis 36 sowie besondere Möglichkeiten für BesucherInnen von 14 bis 18. Die Produktion in englischer Sprache inszenierte David Pountney 2022: 1. Teil 1. Akt, 1. Teil 2. Akt, 2. Teil, 1. Akt, 2. Teil, 2. Akt. Peter Hoare, der in Berlin die Titelpartie übernehmen wird, ist hier auch dabei.

In nicht weniger als drei deutschen Theatern wird noch bis zum Ende der Spielzeit Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček neu produziert, in Münster ist Premiere am 12. April, in Cottbus am 28. Juni und in Mainz am 30. Juni. Grund genug, am Mittwoch auch ein wenig über diese Oper zu sprechen, die manche vielleicht gerade eben wieder einmal in der Inszenierung von Katharina Thalbach an der Deutschen Oper Berlin gesehen haben. Jedenfalls ist es schon sehr lange her, dass wir in Zehlendorf darüber gesprochen haben. Daher hier, wie üblich, kurz der Inhalt der drei Akte und neun Bilder:

1. Akt Der Förster legt sich ins Gras und wird von den Tieren des Waldes umschwärmt. Als er aufwacht, erblickt er das Füchslein und fängt es. * Auf dem Hof des Försters geht alles durcheinander. Die Füchsin hat Flöhe mitgebracht und stachelt die Hennen gegen den Hahn auf. Schließlich tötet sie selbst den Hahn und danach auch alle Hennen. Der Förster muss die Füchsin jetzt festbinden. Sie zerbeißt aber den Strick und flieht in den Wald.

2. Akt Die Füchsin verjagt den Dachs aus der Höhle und zieht selbst ein. * Bei den Menschen geht es genauso zu wie bei den Tieren. Der Pfarrer denkt wie der Dachs darüber nach, in ein anderes Dorf zu ziehen. Völlig betrunken verlässt der Förster das Wirtshaus. * Den Schulmeister zieht es wie die Mücke zur Sonnenblume. Er träumt von Terynka, die er heiraten will, die Füchsin liefert ihm das Bild dazu. Der Förster jagt die Füchsin und schießt. * Der Fuchs freit die Füchsin, der Specht traut das Paar.

3. Akt Harašta wildert im Wald. Der Förster ist nicht gut auf ihn zu sprechen, weil auch er Terynka heiraten will. Er stellt den Füchsen eine Falle, die diese aber sofort als solche erkennen. Harašta erschießt die Füchsin. * Im Wirtshaus ist traurige Stimmung, der Schulmeister ist untröstlich und der Pfarrer hat Heimweh. * Im Wald erinnert sich der Förster an seine Jugendzeit und schwärmt davon, dass sich die Natur immer wieder erneuert. Und wirklich: Der Frosch, der ihn weckt, ist der Enkel von dem damals und das kleine Füchslein, das vorbeischaut, erinnert ebenfalls an seine Begegnung damals.

Im Mai 1956 brachte Walter Felsenstein nach mehr als zwei Monaten internsivster Probenarbeit (mit Ausflügen in den Tierpark) Das schlaue Füchslein an der Komischen Oper heraus. Nach Carmen (1949) und vor Ritter Blaubart (1963) eroberte sich auch diese Inszenierung besonders schnell die Herzen des Publikums. 9 Jahre später drehte Walter Felsenstein mit weitgehend den gleichen Solisten und auch immer noch unter der Musikalischen Leitung von Vaclav Neumann den DEFA-Film, den es als hochwertig restaurierte DVD zu kaufen gibt. YouTube bietet davon diesen Fernsehmitschnitt an. Felsenstein verwendet die deutsche Fassung von Max Brod, die eher eine Nachdichtung als eine Übersetzung ist. Wer auf die Originalsprache und Vaclav Neumann wert legt, kann hier die Schallplattenaufnahme von 1979 hören. Eine etwas neuere Inszenierung gibt es hier. Charles Mackerras, der britische Janáček-Spezialist dirigierte 1995 im Théâtre du Châtelet eine Produktion in der Originalsprache, es inszenierte Nicholas Hyntner. Eva Jenis ist das Füchslein, Thomas Allen der Förster.

Mehr von Janáček dann am Mittwoch, ich freue mich darauf,
Ihr Curt A. Roesler