Montag, 4. April 2016

Bohuslav Martinů

Bohuslav Martinů (1890-1959) gehört in die erste Reihe der tschechischen Opernkomponisten. Bekannter sind natürlich Bedřich Smetana (1824-1884) und Leoš Janáček (1854-1928) und alle überstrahlt mit seinem Ruhm, nicht unbedingt für seine Opern, sondern eher für die Sinfonien, Antonín Dvořák (1841-1904). Alle vier haben auch Orchester- und Kammermusik, sowie Lieder geschrieben. Martinů hat allerdings den größten Teil seines Lebens fern von seiner tschechischen Heimat verbracht. Nach einem ersten Besuch als Geiger in der Tschechischen Philharmonie 1919 zog er 1923 nach Paris, wo er bis 1940 blieb. Albert Roussel wurde dort sein Lehrer und Freund. Als Anhänger derTschechischen  Exilregierung musste er vor den deutschen Besatzern fliehen und kam mit langen Verzögerungen 1941 in den USA an, wo er in Serge Koussevitzky und Charles Munch bedeutende Unterstützer hatte. Eine Rückkehr in die Tschechoslowakei war ihm nach dem 2. Weltkrieg als Amerikanischer Staatsbürger verwehrt. Seinen Lebensabend verbrachte er in der Nähe von Basel auf dem Landgut von Maja und Paul Sacher, die ihn zeitlebens unterstützten.
Martinů ist einer der vielseitigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wie bei Strawinsky kann man bei ihm ganz unterschiedliche Kompositionsstile beobachten. Allerdings sind es nicht verschiedene Perioden, die aufeinander folgen. Es ist ein breites Spektrum an Klang- und Formvorstellungen, das ihn ständig begleitet. Da ist auf der einen Seite die Faszination des Jazz und auf der anderen Seite die Kennerschaft des Renaissance-Madrigals. Es ist der Impressionismus Roussels und Debussys und die Neoklassik der 20er Jahre, die seine Werke durchdringen.
Schon früh kam Martinů in Paris mit dem Surrealismus in Berührung. Das Festival für Neue Musik in Baden-Baden beauftragte ihn 1928 mit der Komposition einer Rundfunk-Oper, ein damals ganz neues Genre des Musiktheaters. Martinů schuf zusammen mit Georges Ribemont-Dessaignes (1884–1974), einem Vorläufer des Dadaismus, dafür die surrealistische Oper Les larmes du couteau (Die Tränen des Messers). Der Auftraggeber verzichtete jedoch darauf, das Werk zur Aufführung zu bringen. Erst 1969 kam es in Brno zur (dann szenischen) Uraufführung. Inzwischen gibt es auch eine CD-Aufnahme davon. Ebenso wenig wie Les larmes du couteau wurden die beiden weiteren Opern, die Martinů zusammen mit Ribemont-Dessaignes schuf, zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Die abendfüllende Oper Trois souhaits ou Les viccitudes de la vie (Drei Wünsche oder Die Wechselfälle des Lebens) von 1928/29, die mit dem Medium Film operiert, wurde ebenfalls in Brno uraufgeführt, zwei Jahre später. Die dritte Zusammenarbeit, 1930/31, Le jour de bonté (Der Wohltätigkeitstag) kam sogar erst 2003 auf die Bühne und zwar in České Budějovice. 
Diese drei dadaistisch-surrealistischen Opern sind eine Art Vorübungen für Juliette, die allerdings nicht unmittelbar darauf folgte. Zuerst kam in seinem Schaffen noch einmal eine deutliche Hinwendung zur Tschechischen Tradition, vor allem manifestiert in dem großen Ballett mit Gesang
Špalíček (Liederbündel), aber auch ein weiterer Ausbau der neoklassischen Klangwelt etwa mit dem 2. Klavierkonzert. Der Dramatiker, Drehbuchautor und Dichter Georges Neveux (1900–1984) schrieb sein surrealistisches Drama Juliette ou la clé des songes (Juliette oder der Schlüssel der Träume) 1927. 1930 kam es zur umstrittenen Uraufführung und schon 1934 ließ sich ein heute vollkommen vergessener tschechischer Komponist, Theodor Schaefer (1904–1969) davon zu einem »Melodram« für Singstimmen, Klavier, Jazz-Instrumente und Kammerorchester inspirieren. 1941 begann Marcel Carné mit Dreharbeiten für einen Film, für den Neveux auch selbst am Drehbuch mitarbeitete, mit Jean Marais und Micheline Presle. Doch die deutschen Besatzer stoppten die Arbeit. Erst 1950 kam Carné auf das Projekt zurück und besetzte nun die Hauptpartien mit Gérard Philippe und Suzanne Cloutier. Der Film ist nicht so leicht zu finden bei Youtube, hier der Link.
1937 komponierte Martinů die Oper Julietta. Dafür richtete er sich selbst den Text von Neveux als Libretto ein. Da sich jedoch in Paris keine Aufführungsmöglichkeit ergab, ließ er den Text ins Tschechische übersetzen und vollendete die Partitur in tschechischer Sprache. Václav Talich brachte das Werk 1938 am tschechischen Nationaltheater zur Uraufführung. Martinů hielt die Oper für sein wichtigstes Werk und arbeitete in den letzten Lebensmonaten an einer Rückübertragung ins Französische, die auch so weit vollendet ist, dass sie heute verwendet werden kann. So auch in der Neuproduktion der Staatsoper.
Es ist gar nicht so einfach, den Inhalt der Oper Julietta (bzw. Juliette) zu erzählen, denn sie handelt von einem Ort, der seiner Geschichte beraubt wurde. Dieser Ort ist laut Libretto eine Hafenstadt und man mag Marseille darin sehen, oder auch eine andere französische Stadt am Meer. Der Buchhändler Michel kehrt dahin zurück, weil er ein Mädchen sucht, das er einst in dieser Stadt ein Lied hat singen hören. Doch niemand erinnert sich. Alle haben das Gedächtnis verloren. Michel, der über ein Gedächtnis verfügt wird schnell zu einer Berühmtheit in der Stadt. Diebe wollen Erinnerungen aus seinem Koffer stehlen. Er wird Bürgermeister, weil er etwas hat, was alle anderen nicht haben. Nun kommt etwas von der Vergangenheit in die Stadt. Der Briefträger trägt Post aus, die vor Jahren aufgegeben wurde. Das Schiff im Hafen aber legt nie ab. Michel findet schließlich Juliette und verabredet sich mit ihr im Wald. Doch es beginnt ein Streit, ein Schuss ist zu hören und ein Schrei. Michel kommt vor ein Tribunal, doch er kann fliehen in den Wald. Dort trifft er auf die Gesellschaft in veränderter Form. Und für ihn beginnt Traum und Wirklichkeit mehr und mehr zu verschwimmen. Eine Wahrsagerin sagt nicht die Zukunft voraus, sondern versucht aus seiner Hand seine Vergangenheit zu lesen. Zurück in der Stadt gerät Michel in immer absurdere Situationen. In einem »Zentralbüro der Träume« wird jedem ein Traum vom Glück zugeteilt. Wenn Michel es nicht schafft, aus seinem Traum aufzuwachen, wird er für immer in der Traumwelt eingeschlossen bleiben. Michel will abreisen, aber das Schiff legt ja nicht ab. So beginnt die Geschichte wohl wieder von vorn.

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