Montag, 3. März 2025

Bohuslav Martinů

Einer der fleißigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts war Bohulsav Martinů. Er wurde 1890 in der Kleinstadt Polička im mittleren Osten der Tschechischen Republik, näher an Brünn als an Prag, geboren. Dass er ein berühmter Komponist werden würde, wurde ihm nicht an seiner Wiege gesungen. Sein Vater war ein Schuhmacher und Turmwächter. Künstler gab es kaum in der Verwandtschaft. Dennoch wurde seine Begabung von einem Schullehrer entdeckt und er erhielt mit sieben Jahren seinen ersten Violinunterricht. Mit sechzehn Jahren kam er ans Konservatorium in Prag, wo er zum Geiger ausgebildet werden sollte, doch dass dies nicht zu einer großen Solistenkarriere führen würde, stellte sich bald heraus. Ihn interessierten die Bibliotheken, die Museen, die Theater, die Opern- und Konzerthäuser der Großstadt viel mehr als das Üben. Auch der Wechsel zur Kompositionsklasse brachte keine wirkliche Verbesserung, 1910 wurde er »wegen unverbesserlicher Nachlässigkeit« vom Unterricht abgewiesen. Das wirkte wie eine Befreiung, denn wenige Tage danach nahm er sein erstes großes Orchesterwerk in Angriff, eine Ouvertüre zu La mort de Tintagiles, angeregt durch Debussys mit Pelléas et Mélisande, die 1908 in Prag zur Erstaufführung gekommen war, seine Aufmerksamkeit auf Maeterlinkck gelenkt hatte. La mort de Tintagiles wurde viel später – Sie erinnern sich – Teil der Maeterlinck-Trilogie L'invisible von Aribert Reimann. Eine Anstellung als Geiger in der Tschechischen Philharmonie bekam Martinů dennoch, und mit diesem Orchester reiste er 1919 erstmals nach Paris, wohin er 1923 defiitif zog und blieb, bis er 1940 erst nach Aix fliehen musste, von wo er dann über Marseille und Lissabon ind die USA gelangte.

An die 400 Werke weist das Verzeichnis des Schott-Verlages aus. Jedes Musikgenre ist dabei vertrreten, von Kammermusik von einem bis zu neu Instrumenten, über Werke für großes Orchester, darunter sechs Sinfonien, und für Kammerorchester, Instrumentalkonzerte, darunter auch Doppelkonzerte und als Besonderheit ein Konzert für Streichquartett und Orchester; Lieder mit Klavierbegleitung und mit Orchesterbegleitung, Chorwerke, Kantaten, ein Oratorium (das allerdings auch fast ein Bühnenwerk ist). Und das, womit wir uns hier befassen wollen: 38 Bühnenwerke. Nicht alle sind aufführbar, es sind unvollendete und nicht auffindbare darunter. Dennoch bleibt eine stattliche Anzahl von Werken, die auch heute einer Aufführung wert wären, wenngleich die Musik Martinůs oftmals sehr zeitbezogen ist. Vor bald zehn Jahren spielte die Staatsoper (damals, wenn ich mich richtig erinnere, im Schillertrheater) Juliette. Wir haben natürlich darüber gesprochen, hier ist noch der Blogbeitrag von damals. Der Link zum Film von Marcel Carné mit Gérard Philippe funktioniert allerdings nicht mehr. Man kann den Film nur noch mit russisch darüber gesprochenem Kommentar sehen, was ziemlich irritierend ist.

Vor mehr als vierzig Jahren brachte das Ballett der Deutschen Oper Berlin einen dreiteiligen Abend mit Choreografien von Jiří Kylián und Antony Tudor heraus. Kylián verwandte eine Volksmusik-Collage und Tudor Werke von Martinů und Dvořák. Natürlich handelte es sich dabei nicht um Musik die für das Theater geschrieben wurde, sondern um sinfonische Werke. Echoing of Trumpets nannte Tudor seine Interpretation der 6. Sinfonie von Martinů, die den Untertitel Fantaisies Symphoniques hat. Ich war deswegen nicht begeistert, weil Martinů nicht weniger als 15 Ballette geschrieben hat, die so gut wie nie aufgeführt werden. Es gab 1967 sogar einen Präzedenzfall: ebenfalls als Teil eines aus drei Choreografien bestehenden Ballettabends brachte Kenneth MacMillan Anastasia heraus. Die Musik dazu war auch schon die 6. Sinfonie von Martinů, ergänzt durch elektronische Musik. Hier gibt es eine Tonaufnahme der 6. Sinfonie von 1956. Das Boston Symphony Orchestra spielt, dirigiert von Charles Munch – das sind die Widmungsträger der Sinfonie. Natürlich ist das eine »dramatische« Musik, aber es ist eben eigentlich eine Sinfonie und es fehlt die Ironie und Doppelbödigkeit, die besonders die frühen Bühnenwerke Martinůs auszeichnen. Typisch 20er Jahre etwa mit der Integration von gesprochenem Wort ist La revue de cuisine (1927 in Paris geschrieben, aber in Prag als Kuchyňská revue uraufgeführt). Beim Musikfestival Ernen gab es im letzten Sommer eine konzertante Aufführung, die hier zu sehen ist. Die Musiker sprechen den Text dabei selbst und zwar jeder in seiner Muttersprache.

Der Jazz spielte im Schaffen Martinůs eine große Rolle. Er gehörte zu den ersten Komponisten der Moderne, die sich reichlich daran bedienten, wie man in der Küchenrevue hören kann. Später nahmen Elemente des Volksliedhaften und auch Elemente der Madrigalmusik aus dem 17. Jahrhundert einen größeren Anteil. Wie bei George Enescu, dessen Oedipe wir hier vor ein paar Jahren besprochen haben, ist jedes Werk ein Individuum. Selbst die Sinfonien, die alle in einer kurzen Zeitspanne entstanden, sind ganz unterschiedlich. Der Biograf Harry Halbreich stellt als Charakteristika, bei der ersten das Epische in den Vordergrund, bei der zweiten das Idyllische oder Pastorale, bei der dritten das Tragische, bei der vierten das Lyrische und bei der sechsten das Fantastische, nur bei der Fünften zögert er mit einem eindeutigen Begriff und nennt sie schließlich Sinfonie des Helldunkels. Fünf Sinfonien entstanden mehr oder weniger in einem Zug, 1942 begonnen, alle einem Orchester gewidmet: Boston, Cleveland, Philadelphia; kurz vor Vollendung der 4. endete der 2. Weltkrieg. Die 5. nahm dann einen etwas längeren Zeitraum in Anspruch und Martinů widmete sie der Tschechischen Philharmonie, die sie unter Leitung von Rafael Kubelik 1947 zur Uraufführung brachte. Der Berufung zum Kompositionlehrer am Prager Konservatoirum kam nicht Martinů nach, nachdem die politischen Verhältnisse sich in der Tschechoslowakei eindeutig in die sozialistische Richtung wandten. Ein Nachzügler ist die sechste Sinfonie, 1951 bis 1953 komponiert und wieder dem Boston Symphony Orchestra gewidmet und Charles Munch, der inzwischen Serge Koussevitzky als Musikdirektor abgelöst hatte. 

Wie wahrscheinlich die meisten Zeitgenossen lernte Martinů Nikos Kazantzakis zuerst als Autor von Alexis Sorbas kennen. Im Sommer 1954 besuchte er den Autor in Antibes und sie kamen überein, dass er den Roman Der wiedergekreuzigte Christus zur Grundlage einer Oper machen dürfe. Martinů stellte sich das Libretto selbst anhand einer englischen Übersetzung zusammen, denn ein Kompositionsauftrag des Covent Garden Opera House war bald unterschriftsreif. Doch die Griechen waren 1955 offene Gegner Großbritanniens, das Zypern nicht hergeben wollte. Im letzten Augenblick zog sich London zurück. Schneller ging es mit dem Film voran, den Jules Dassinnach dem Roman drehte (dem ersten mit Nana Mouskouri), Celui qui doit mourir kam 1957 heraus, hier zu sehen. Erst als sich das Stadttheater Zürich ernsthaft für eine Aufführung interessierte, nahm Martinů die Partitur, die er zum Teil schon verschenkt hatte, wieder hervor und schuf eine zweite Fassung, die bis 1999 die einzige war, die gespielt wurde. Erst 1999 kam in Bregenz die Londoner Fassung zur Uraufführung, die seither bevorzugt wird. Sie ist etwas länger und enthält mehr Personen. Auch gibt es sehr viel ausgedehntere gesprochene Passagen, außerdem die Figur eines Erzählers. Hier kann man die Bregenzer Aufführung sehen.

1. Akt: Eine griechische Gemeinde in der Türkei wählt nach dem Ostergottesdienst die Darsteller des nächstjährigen Passionsspiels. Der Schafhirt Manolios soll den Christus darstellen, was seine Aufmerksamkeit völlig von seiner Braut Lenio abzieht. Ein Flüchtlingszug spaltet die Bevölkerung, die einen wollen helfen, die anderen, angeführt vom Dorfpriester, weisen ab. – 2. Akt: Katerina, die Maria Magdalena spielen wird, hat von Manolios geträumt. Der meint jedoch für die Rolle keusch bleiben zu müssen. Ladas schlägt vor, den Flüchtlingen gegen Lebensmittel Geld abzuziehen und gibt Yannakos Vorschuss. * Manolios fühlt sich als Christus. Er flieht vor Katerina, die sich ihm nähert. * Die Flüchtlinge gründen ein Dorf. Yannakos bereut und schenkt ihnen den Vorschuss. – 3. Akt: Nikolio spielt Manolios zum Einschlafen auf der Flöte. Im Traum begegnet er Lenio und Katerina. Schließlich glaubt er, der Mutter Gottes gegenüberzustehen. Nikolio bedrängt Lenio. * Manolios und Katerina verschwistern sich im Glauben. * Priester und Dorfälteste empören sich über den »von Christus erleuchteten« Manolios. Dennoch folgen die Dorfbewohner dessen Aufforderung, allen Überfluss den Flüchtlingen zu schenken. Nikolio bereitet die Hochzeit mit Lenio vor während sich Manolios mit Jüngern umgibt. – 4. Akt: Die Hochzeit wird vom Priester unterbrochen, der Manolios aus der Gemeinde verstößt. Der klagt sich des Hochmuts an. Aber inzwischen revoltieren die verhungernden Flüchtlinge. Die wütende Menge erschlägt Manolios als ihren Anführer. * Ein paar Monate später Gedenken die Flüchtlinge und Katerina des Manolios. Fotis ruft die Flüchtlinge zum Abmarsch. 

1971 hat Charles Mackerras in in Prag die Zürcher Fassung für die Schallplatte aufgenommen, bei YouTube ist die Aufnahme aktweise zu hören: 1. Akt, 2. Akt, 3. Akt., 4. Akt. 2016 ist die Erstfassung auch in Graz gespielt worden und dabei entstand 2017 eine Tonaufnahme, für die es hier eine Playlist gibt.

Mehr am Mittwoch, ich freue mich darauf.
Ihr Curt A. Roesler

 

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