Montag, 7. April 2014

Aischylos: Oresteia

Ganz am Anfang des Europäischen Theaters steht die attische Tragödie, entwickelt schon im 6. vorchristlichen Jahrhundert, in vollständigen Textzeugnissen aber erst ab 472 dokumentiert. Der Dichter Aischylos (525 – 456), der sich selbst – zumindest nach der Grabinschrift, die er selbst entwarf – eher als Held der Schlacht bei Marathon und der Seeschlacht bei Salamis sah, hatte in diesem Jahr mit Die Perser zum wiederholten Mal den Siegespreis bei den großen Dionysien errungen. Das Stück verarbeitete eben jene Schlacht bei Salamis, die erst acht Jahre vergangen war. Ein nicht erhaltenes Stück von Phrynichos, Die Phönissen, hatte vier Jahre zuvor schon dieses Thema behandelt. Die Perser von Aischylos ist das erste vollständig erhaltene griechische Drama. Aischylos, der etwa 90 Bühnenwerke schrieb, ist von den drei Begründern der griechischen Tragödie der älteste. Sophokles (497/96 – 406/05) ist sein unmittelbarer Nachfolger, der ihn bereits 468 als Sieger der Großen Dionysien ablöste, Euripides (um 480 – 406) trat erst im Jahr nach dem Tod des Aischylos mit eigenen Tragödien auf. Die Rivalität zwischen Aischylos und Euripides ist Gegenstand der Komödie Die Frösche von Aristophanes (um 450 – 380), der als vierter Autor des frühesten europäischen Theaters noch genannt werden muss.
Aischylos soll als erster die drei Tragödien und das Satyrspiel, die bei den Großen Dionysien aufzuführen waren, in einen thematischen Zusammenhang gebracht haben. 467 gewann er nach Sophokles wieder den Preis und zwar mit eine thebanischen Tetralogie: Laios, Oidipos, Hepta Sphinx. Die Atriden-Tetralogie ist das letzte überlieferte Siegerwerk von Aischylos, es kam 458 heraus, kurz bevor Aischylos zum zweiten Mal nach Sizilien ging (wo er 470 schon Die Perser aufgeführt hatte), und besteht aus Agamamenon, Die Choephoren, Die Eumeniden und einem unbekannten Satyrspiel. Für den zweiten Teil, dessen Handlung uns durch Elektra von Richard Strauss am vertrautesten ist, gibt es andere Titel bzw. Übersetzungsversuche der Titel: Die Totenspende, Die Grabesspenderinnen oder Die Weihgussträgerinnen.
Agamamnon und Klytaimnestra hatten nach Homer vier Kinder, Iphigenie, Laodike, Chrysothemis und Orest. Aus Laodike ist bei den Tragödiendichtern Elektra geworden, der wir auf der Opernbühne bereits in Mozarts Idomeneo begegnen. Die Handlung der Choephoren entspricht ungefähr der Elektra von Sophokles, die Hugo von Hofmannsthal und vielen anderen als Vorlage diente. Elektra ist jedoch ein eigenständiges Drama und nicht Teil einer Trilogie, Sophokles hatte sich von der thematischen Einheit der drei Tragödien wieder abgewendet.
Auf die Orestie als Ursprung allen Theaters geht schon Goethe ein, der mit Iphigenie die Vorgeschichte zu Agamemnon nach Euripides auf die Bühne brachte. Der Held des Nordens von Friedrich de la Motte-Fouqué, ein literarischer Vorläufer von Wagners Ring des Nibelungen, bezieht sich formal auf die Trilogie des Aischylos. 1832 legte der Historiker Johann Gustav Droysen im Rahmen einer Gesamtausgabe der Werke des Aischylos eine Übersetzung der Orestie vor, die noch heute Gültigkeit hat, weil sie wenig interpretiert, sondern nahe am Original bleibt.
Orest und Elektra von Voltaire, der auch ein Ödipus-Drama schrieb, hat eine Reihe von Opernlibretti angeregt, darunter Iphigénie en Tauride für Gluck. Als am 18. August 1843 das Opernhaus Unter den Linden abbrannte, beschloss König Friedrich Wilhelm IV. sofort, es von seinem Architekten Carl Gotthard Langhans wieder aufbauen zu lassen. Für die Wiedereröffnung hatte er die Idee einer festlichen Aufführung der Orestie. Er bat nacheinander Mendelssohn und Meyerbeer um die Komposition einer entsprechenden Bühnenmusik. Beide lehnten dankend ab. Eingeweiht wurde das neue Opernhaus schließlich mit einer Oper von Meyerbeer – wie sich das gehörte, er war Generalmusikdirektor von 1842 bis 1845 – Ein Feldlager in Schlesien.
1884 – 1894 komponierte Sergei Tanejew (1856 – 1915) die Oper Oresteia. 1905 wurde in Bologna Cassandra von Vittorio Gnecchi aufgeführt (davon gab es, als Vorspiel zu Elektra, eine stark gekürzte szenische Aufführung in der Deutschen Oper Berlin). 1909 kam in Dresden Elektra von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss heraus. In der gleichen Zeit arbeiteten Karl Gustav Vollmoeller an einer Neuübersetzung und Inszenierung der Orestie. Sie kam zuerst 1911 in München heraus, wurde dann aber zur Eröffnung des Großen Schauspielhauses 1919 in Berlin neu gefasst. Otto Klemperer hatte für die Aufführung in München eine Bühnenmusik geschrieben, die aber nicht aufgeführt wurde. Stattdessen beauftragte Reinhardt Einar Nilsson, der auch die Originalmusik zum Salzburger Jedermann schrieb.
Darius Milhaud schrieb 1913 den ersten Teil seiner L'Orestie d'Eschyle auf einen Text von Paul Claudel, Agamemnon. Es dauerte jedoch bis 1927 bis es zu einer konzertanten Aufführung kam. Inzwischen waren auch der zweite und dritte Teil fertig, Les Choéphores, 1915/16 komponiert und 1919 im Konzert aufgeführt; Les Euménides, 1917 – 1922 komponiert und 1927/28 in Teilen konzertant aufgeführt. Die szenische Uraufführung des gesamten Werk kam erst 1963 zustande. Gustav Rudolf Sellner inszenierte es an der Deutschen Oper Berlin. Der 71jährige Komponist reiste zu der Premiere am 24. April an.
Weitere musiktheatralische Auseinendersetzungen mit dem Stoff im 20. Jahrhundert stammen u. a. von Ernst Krenek (Das Leben des Orest, 1930), Flavio Testi (Il furore di Oreste, 1956), Harrison Birtwistle (Bühnenmusik für eine Inszenierung der Orestie von Peter Hall, 1975). Iannis Xenakis begann die Komposition seiner Oresteia auf den altgriechischen Text von Aischylos 1965/66. Die letzte Revision stammt von 1989 und 1992 fügte er noch ein Stück für Bariton-Solo und Schlagzeug ein.
Iannis Xenakis (1922–2001), in Rumänien geborener Grieche, der später die französische Staatsbürgerschaft annahm, war ausgebildeter Architekt und Widerstandskämpfer, als er 1947 als politischer Flüchtling nach Paris kam. Er arbeitete mit Le Corbusier zusammen und studierte daneben bei Honegger, Milhaud und Messiaen. Er entwickelte einen eigenen Kompositionsstil, in dem der Zufall, aber auch mathematische Formeln eine große Rolle spielen. Er war mit Le Corbusier und Edgar Varèse an der Entwicklung des Poème électronique für den Philips-Pavillon bei der Expo 1958 in Brüssel beteiligt. Seine Musik wird in den letzten Jahren wiederentdeckt.

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