Montag, 17. Februar 2025

Leoš Janáček – wieder einmal

Über Die Ausflüge des Herrn Brouček haben wir schon einmal gesprochen, aber nur kurz. Und außerdem ist es lange her. Dieses Werk hat eine besondere Stellung im Schaffen von Leoš Janáček. Nicht nur dauerte der Schaffensprozess fast noch länger als bei Jenufa, Die Ausflüge des Herrn Brouček gelten auch als die einzige musikalische Komödie des Komponisten. Doch Das schlaue Füchslein ist zumindest auch ein heiteres Werk (und darüberhinaus weit populärer). Aber Das schlaue Füchslein ist nach der französischen Einteilung nicht eine Opéra comique, sondern eine Féerie, also eine Märchenoper – und trotzdem ein typischer Janáček. Schaut man genauer hin, so erkennt man aber auch in Die Ausflüge des Herrn Brouček einen ganz typischen Janáček. Wenn an nes genau nimmt, ist es sogar die erste Oper, in der sein System der Sprachmelodien voll zum Einsatz kommt. 1897 hatte er mit seinen Aufzeichnungen von akustischen Ereignissen wie Satzfetzen, die im Café erklingen, in Skizzenbücher angefangen. Was er da aufgezeichnet hat, wird manchmal als Sprachmelodien und manchmal als Sprechmelodien bezeichnet. Wichtig zum Verständnis ist, dass es sich nicht darum handelt, gesprochenes Wort in Noten zu fassen. Das wäre ja nichts Neues, denn das haben viele andere seit Monteverdi gemacht: das steckt hinter den Rezitativen von Mozart bis Alban Berg. Janáček schrieb nämlich nicht nur Gespräche auf, die er zufällig mitbekommen hatte. Man findet auch etwa das Murmeln ein Baches unter diese Notaten. Undnoch etwas: auch wenn man – wie ich – die teschechische Sprache nicht beherrscht, wird einem schnell klar, dass es sich nicht nur um eine nüchterne Abbildung von Hebungen und Senkungen im Sprachduktus handelt, sondern dass der ganze Vorgang des Sprechens wie auch das Verhältnis vom akustischen Ereignis zum Rezipienten mit in die Noten gefasst wird. Um gleich noch ein leicht aufkommenden Missverständnis auszuräumen: Das Kompositionsprinzip mit Sprachmelodien beruht nicht auf Zitaten aus diesen Aufzeichnungen, sondern jede Sprachmelodie in den Werken Janáčeks ist eine originale Komposition. Und noch wichtiger ist, was auch aus dem verher Gesagten hervorgeht: nicht nur die Singstimmen werden von Srachmelodien bestimmt, sondern auch das Orchester. Und daraus folgt, dass man immer auch Sprachmelodien findet, die von gar keiner Singstimme aufgenommen wird, sondern nur vom Orchester.

Svatopluk Čech (1846–1908) ist einer der wichtigsten Vertreter des tschechischen Realismus und Naturalismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sein bekanntestes Werk ist die Erzählung Unter Büchern und Menschen, die schon ca. 1880 ins Deutsche übersetzt wurde. Neben einer Neigung zum Panslawismus (dem auch Janáček anhing) weisen seine Romane auch eine starke sozialkiritische Komponente auf. Den satirischen Roman Der wahre Ausflug des Herrn Brouček zum Mond las Janáček gleich nach der Veröffentlichung 1888. Und mehr noch: Er veröffentlichte Auszüge daraus in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Hudební listy. Der große Erfolg der Figur des Hausbesitzers Brouček, der selten nüchtern anzutreffen ist, veranlasste Čech im Jahr darauf, einen zweiten Roman mit ihm im Zentrum zu schreiben, dessen Titel noch etwas länger ist, Neue epochale Reise von Herrn Brouček dieses Mal ins 15. Jahrhundert. Damit führt er ihn in die Zeit der Hussitenkriege, eine Zeit, in der er sich sehr zuhause fühlte.

Nach dem Tod des Autors sicherte sich Janáček von den Erben die Rechte zur Vertonung von Der wahre Ausflug des Herrn Brouček zum Mond. Die Arbeit an der Oper verzögerte sich aber mehrfach. Der erste Librettist, mit dem sich Janáček den Text zurechtlegen wollte, stieg schon sehr schnell aus. Dann stellte sich heraus, dass die Familie Čech die Vertonungsrechte noch an einen anderen Komponisten verkauft hatte, Karel Moor (1873–1945). Der ließ sich nicht davon abschrecken, dass Janáček verkündete, er habe schon einen ganzen Akt komponiert – was gar nicht stimmte – und brachte seine Operette Výlet pana Broučka do měsíce 1910 in Jaromĕř heraus. Ein Klavierauszug davon wurde 1916 in Prag gedruckt, man kann ihn bei IMSLP herunterladen. Aber von Aufführungen in neuerer Zeit ist nichts bekannt. Überhaupt ist es nicht ganz leicht an Tonaufnahmen von Musik Karel Moors zu kommen. Aber eine gibt es, das hier würde doch gut in ein Neujahrskonzert passen. Oder ist es zu tschechisch und zu wenig wienerisch? Janáčeks Arbeit stockte jedernfalls und nahm erst wieder Fahrt auf, als die Erstaufführung von Její pastorkyňa (wir kennen die Oper unter dem Titel Jenůfa) in Prag und später auch in Wien bevorstand. Janáček hatte jetzt die Aussicht, als Opernkomponist wirklich anerkannt zu werden.

1917 war die Oper so gut wie vollendet, es wurde ein neuer Verleger gefunden, Janáček schickte seine vier Akte und einen Epilog, den er allerdings gleich wieder zurückzog mit der Ankündigung, einen neuen zu schreiben. Dazu kam es aber nicht, denn der Komponist kam jetzt auf die Idee, statt eines Epilogs eine zweite Oper über den Herrn Brouček zu schreiben, nämlich nach dem zweiten Roman Čechs. Dabei ging alles viel schneller, die Suche nach einem Librettisten und auch die Komposition, die er in einem Dreivierteljahr abschloss. 1920 wurde die Oper in Prag zur Uraufführung gebracht, als einzige zu Janáčeks Lebzeiten in der tscheichschen Hauptstadt, alle anderen kamen in Brünn heraus. Noch etwas ist ist einzig an Die Ausflüge des Herrn Brouček. Es gibt keine deutsche Übersetzung von Max Brod. Angeblich weigerte der sich als Pazifist, die Kriegsszenen zu übersetzen. Das hatte aber zu Zeiten, wo Oper ausschließlich in der Landessprache aufgeführt wurden, zur Folge, dass die Oper in Deutschland auch gar nicht aufgeführt wurde. 1959 erst übersetzte der in Berlin wohlbekannte Karlheinz Gutheim das Libretto und der in Berlin ebenso wohlbekannte Wolf Völker inszenierte das Werk in München. Lorenz Fehenberger, Wilma Lipp und Fritz Wunderlich gehörten zur Besetzung, es dirigierte Joseph Keilberth. Im gleichen Jahr zeichnete der WDR die Oper mit identischer Besetzung mit dem eigenen Orchester und Chor auf, das können Sie (inklusive aller Kommentare) hier hören.

1. Teil »Ausflug des Herrn Brouček auf den Mond« 1. Akt, 1. Bild: Malika wirft Mazal Untreue vor und verkündet, dass sie es sich anders überlegt hat. Auf dem Mond, sagt sie dem Hausbesitzer Brouček, werde sie ihn heiraten. Während der den Mond anhimmelt, versöhnen sich Mazal und Malika wieder. Verwandlung: Brouček gelangt auf den Mond. 2. Bild: Der Mondkünstler Brankytni preist seine platonische Liebe zu Etherea. Brouček lässt sich nicht dazu überreden, deren Kleid zu küssen, und wird entführt. 2. Akt: Die Künstler stimmen die Mondhymne an, Etherea hat sich wider alle Erwartungen in Brouček verliebt. Alle fallen in Ohnmacht, als der seine mitgebrachten Würstchen isst, weil er vom Riechen an Blumen nicht satt wird. So macht er doch seinen Bauch zum Grab toter Tiere. Verwandlung: Der betrunkene Brouček wacht auf der Gasse in Prag auf.

2. Teil »Ausflug des Herrn Brouček ins 15. Jahrhundert« 1. Akt, 1. Bild Brouček erfährt von einem Tunnel unter der Moldau, der von der Schatzkammer der Könige zum Marktplatz führt. Dort eingeschlossen, erscheint ihm der Autor Svatopluk Čech. 2. Bild: Brouček fällt durch seine Kleidung aus der Zukunft auf, in den Hussiten erkennt er seine Saufkumpane, aber sie scheinen ihn nicht zu erkennen. Sie halten ihn für einen Spion. Er kann aber gut flunern. 2. Akt, 1. Bild: Brouček versucht, sich aus den Auseinandersetzungen zwischen Hussiten und Taboriten und deren Kampf gegen das Kaisertum herauszuhalten. Als er eine Zigarre anzündet, wird er in den Augen der Haushälterin zum Antichristen. 2. Bild: Nach dem Sieg der Hussiten wird Brouček als Deserteur zum Tode verurteilt. 3. Bild: Das Bierfass, in dem er verbrannt werden soll, wird zur Laterne und wir sind zurück in der Gegenwart. Brouček hört nicht auf, mit seinen Kämpfen zu prahlen.

Bei der Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 16. März 2025 handelt es sich um eine Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn. Dort kam die Inszenierung von Robert Caresen am 11. Januar 2024 heraus. Seit 6. Dezember ist eine Aufzeichnung davon auf Operavision (Kanal bei YouTube) verfügbar. Bis zum 5. Juni haben Sie noch Zeit, sie sich hier anzusehen. Und es gibt noch eine Alternative (die hoffentlich länger bleibt) von der Grange Park Opera. Dieses Festival steht ganz im Schatten von Glyndebourne, es richtet sich allerdings auch an ein anderes Publikum. Es gibt sehr viele Initiativen zur Populasisierung der Kunstform, es gibt Aufführungen in Gefängnissen und besondere Tarife für BesucherInnen von 18 bis 36 sowie besondere Möglichkeiten für BesucherInnen von 14 bis 18. Die Produktion in englischer Sprache inszenierte David Pountney 2022: 1. Teil 1. Akt, 1. Teil 2. Akt, 2. Teil, 1. Akt, 2. Teil, 2. Akt. Peter Hoare, der in Berlin die Titelpartie übernehmen wird, ist hier auch dabei.

In nicht weniger als drei deutschen Theatern wird noch bis zum Ende der Spielzeit Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček neu produziert, in Münster ist Premiere am 12. April, in Cottbus am 28. Juni und in Mainz am 30. Juni. Grund genug, am Mittwoch auch ein wenig über diese Oper zu sprechen, die manche vielleicht gerade eben wieder einmal in der Inszenierung von Katharina Thalbach an der Deutschen Oper Berlin gesehen haben. Jedenfalls ist es schon sehr lange her, dass wir in Zehlendorf darüber gesprochen haben. Daher hier, wie üblich, kurz der Inhalt der drei Akte und neun Bilder:

1. Akt Der Förster legt sich ins Gras und wird von den Tieren des Waldes umschwärmt. Als er aufwacht, erblickt er das Füchslein und fängt es. * Auf dem Hof des Försters geht alles durcheinander. Die Füchsin hat Flöhe mitgebracht und stachelt die Hennen gegen den Hahn auf. Schließlich tötet sie selbst den Hahn und danach auch alle Hennen. Der Förster muss die Füchsin jetzt festbinden. Sie zerbeißt aber den Strick und flieht in den Wald.

2. Akt Die Füchsin verjagt den Dachs aus der Höhle und zieht selbst ein. * Bei den Menschen geht es genauso zu wie bei den Tieren. Der Pfarrer denkt wie der Dachs darüber nach, in ein anderes Dorf zu ziehen. Völlig betrunken verlässt der Förster das Wirtshaus. * Den Schulmeister zieht es wie die Mücke zur Sonnenblume. Er träumt von Terynka, die er heiraten will, die Füchsin liefert ihm das Bild dazu. Der Förster jagt die Füchsin und schießt. * Der Fuchs freit die Füchsin, der Specht traut das Paar.

3. Akt Harašta wildert im Wald. Der Förster ist nicht gut auf ihn zu sprechen, weil auch er Terynka heiraten will. Er stellt den Füchsen eine Falle, die diese aber sofort als solche erkennen. Harašta erschießt die Füchsin. * Im Wirtshaus ist traurige Stimmung, der Schulmeister ist untröstlich und der Pfarrer hat Heimweh. * Im Wald erinnert sich der Förster an seine Jugendzeit und schwärmt davon, dass sich die Natur immer wieder erneuert. Und wirklich: Der Frosch, der ihn weckt, ist der Enkel von dem damals und das kleine Füchslein, das vorbeischaut, erinnert ebenfalls an seine Begegnung damals.

Im Mai 1956 brachte Walter Felsenstein nach mehr als zwei Monaten internsivster Probenarbeit (mit Ausflügen in den Tierpark) Das schlaue Füchslein an der Komischen Oper heraus. Nach Carmen (1949) und vor Ritter Blaubart (1963) eroberte sich auch diese Inszenierung besonders schnell die Herzen des Publikums. 9 Jahre später drehte Walter Felsenstein mit weitgehend den gleichen Solisten und auch immer noch unter der Musikalischen Leitung von Vaclav Neumann den DEFA-Film, den es als hochwertig restaurierte DVD zu kaufen gibt. YouTube bietet davon diesen Fernsehmitschnitt an. Felsenstein verwendet die deutsche Fassung von Max Brod, die eher eine Nachdichtung als eine Übersetzung ist. Wer auf die Originalsprache und Vaclav Neumann wert legt, kann hier die Schallplattenaufnahme von 1979 hören. Eine etwas neuere Inszenierung gibt es hier. Charles Mackerras, der britische Janáček-Spezialist dirigierte 1995 im Théâtre du Châtelet eine Produktion in der Originalsprache, es inszenierte Nicholas Hyntner. Eva Jenis ist das Füchslein, Thomas Allen der Förster.

Mehr von Janáček dann am Mittwoch, ich freue mich darauf,
Ihr Curt A. Roesler

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