Montag, 10. Februar 2025

Echnaton – Akhnaten

Es ist noch nicht ein Jahr, dass wir uns mit »Minimal Music und Oper« befasst haben – wir haben uns damit auf die Premiere Nixon in China an der Deutschen Oper Berlin vorbereitet. Was ich damals über die in den USA zeitweise sehr populäre Kunstform und deren Hauptvertreter Terry Riley, Steve Reich, Michael Nyman (kein Amerikaner, sondern Brite) und John Adams zusammengetragen habe, ist noch zu finden in diesem Blogeintrag. Natürlich kommt darin auch Philip Glass vor, der wie die vier anderen noch immer aktiv ist, der aktivste vielleicht sogar von allen. Mit seinen 14 Sinfonien, 29 Opern und Kammeropern, Chorwerken, Orchesterwerken, Instrumentalkonzerten, Kammermusik, Tanzpartituren und Filmmusik macht er klassischen Vielschreibern wie Vivaldi oder Haydn Konkurrenz, sowohl was die Menge der Kompositionen, als auch was die Vielfalt der Formen betrifft.

Seine drei ersten Opern – die erste wurde vom Publikum zuerst gar nicht als Oper aufgefasst, sondern als ein Gegenprojekt zur Oper mit Tanz, Sprache und Musik – fasst er als Trilogie auf: Einstein on the Beach (1976), Satyagraha (1980) und Echnaton (1984) bezeichnet er als »Porträt«-Opern. Es steht jeweils eine historische Persönlichkeit im Zentrum, die eine Vision verkörpert. Mit Einstein, Gandhi (in Satyagraha) und Echnaton porträtierte er so einen Mann der Wissenschaft, einen Mann der Politik und einen Mann des Glaubens. Alle drei Werke sind zwar bis heute eher selten auf den Opernbühnen anzutrteffen, aber sie haben sich durchgesetzt. Interessant ist, dass die drei Opern, die als Inbegriff des amerikanische Musiktheaters im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gelten, in Europa uraufgeführt wurden. Und unter uns: diese Aufbereitung historischer Stoffe gibt es im 17. Jahrhundert (Bsp. L'incoronazione di Poppea), im 18. Jahrhundert (Bsp.Giulio Cesare in Egitto) und im 19. Jahrhundert (Bsp. Le prophète) genauso wie auch im 20. Jahrhundert vor Glass (Bsp. Die Verurteilung des Lukullus). Es ist also keine neue Erfindung, oder anders gesagt, es ist sogar geradezu operntypisch.

Nachdem Einstein on the Beach 2022 am Theater Basel neuinszeniert und in dieser Produktion auch in der Cité de la Musique in Paris gezeigt wurde, brachte das Théâtre du Châtelet 2023 eine Rekontruktion der Uraufführung von 1976 in Avignon heraus, auf YouTube hier komplett (4 ½ Stunden) zu sehen. Als einstündige Einführung ist diese amerikanische Fernsehdokumentation von 1986 (mit Material aus Avignon und Interviews mit den Beteiligten) zu empfehlen. Robert Wilson äußert sich darin noch etwas zögerlich mit dem Begriff Oper.

Einstein on the Beach hatte in Avignon vor allem auch durch die Regie und das Bühnenbild von Robert Wilson und die Choreographie von Lucinda Childs Furore gemacht. Für den Text (Zahlenreihen und Vokalisen) war neben dem Komponisten ebenfalls Robert Wilson zuständig. Der große Erfolg bescherte Philip Glass von der Stadt Rotterdam den Auftrag für ein ähnliches Projekt. Satyagraha entstand nun ohne Robert Wilson, den Text (Ausschnitte aus der Bhagavad Gita in Sanskrit) stellte Constance DeJong zusammen, die Inszenierung durch die Nederlandse Opera besorgte David Pountney. Für die instrumentale Begleitung hatte Glass hier nicht nur sein eigenes sechsköpfiges Spezialensmble zur Verfügung, wie bei Einstein on the Beach, sondern ein Städtisches Orchester, Chor und klassische Gesangssolisten. Er verzichtete allerdings auf Blechbläser, wodurch sich ein eher weicher Orchesterklang ergibt. Dennoch: Rotterdam ist keine Opernstadt. Seit 2001 (Kulturhauptstadt) gibt es dort zwar ein alljährliches Opernfestival, zur Aufführung kommen aber ausschließlich Neue Werke bzw. sehr stark bearbeitete Klassiker. Zur Oper wurde Satyagraha erst in Stuttgart, wohin Chefdramaturg Klaus-Peter Kehr und der Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer das Werk im Jahr darauf holten. Von dort aus verbreitete es sich an die Opernhäuser der Welt. 2017 spielte es die Komische Oper Berlin, zuletzt kam es vor vier Monaten an der Staatsoper Hannover heraus. Eine Aufzeichnung der Stuttgarter Produktion aus dem Jahr 1983 finden Sie in der Naxos Video Library (über voebb.de -> Digitale Angebote -> Schauen -> Opern, Ballett und Konzerte Naxos Video Library; »Aufnahmen streamen« – dann muss man die Ausweisnummer von der ZLB eingeben). Auf YouTube wird eine Londoner Produktion von 2007 angeboten; fallen Sie nicht darauf herein, denn es handelt sich ebenfalls um die Stuttgarter Inszenierung, allerdings nur zwei Drittel davon, der ganze dritte Akt fehlt. 

Echnaton entstand in der Folge als Auftragswerk der Württembergischen Staatsoper, wo Achim Freyer die Uraufführung inszenierte. Auch dies wurde, was den Einsatz der musikalischen Mittel betrifft, eine Oper. Das Orchester ist etwas kleiner als bei Satygraha, was sicherlich damit zu tun hat, dass die Stuttgarter Staatsoper 1984 renoviert wurde und die Uraufführung deshalb im »Kleinen Haus« stattfand mit einem entsprechend kleineren Orchestergraben. Das Orchester ist aber immer noch, wie bei fast jedem modernen Werk, zu laut und man greift gern darauf zurück, die SängerInnen mit Mikrofonen auszustatten (wie es bei Nixon in China ausdrücklich vorgeschrieben ist, Sie erinnern sich). Dass Glass nur aus diesem Grund auf die Violinen ganz verzichtet habe, will mir allerdings nicht so ohne weiteres einleuchten. Ich hätte schon gedacht, dass er sich dabei Strawinsky zum Vorbild genommen habe, der dies bei Oedipus rex ebenso gehandhabt hat. Mit Oedipus rex verbindet Echnaton (wie auch Satygraha) nämlich noch mehr: für den gesungenen Text verwendet der Komponist eine versunkene Sprache, genau gesagt sogar mehrere, nämlich Altägyptisch, Akkadisch und Bibelhebräisch hier und Sanskrit in Satyagraha. Dazu gibt es gesprochenen Text, der in der Sprache vorgetragen werden soll, den das jeweilige Publikum hauptsächlich spricht. Und auch die Form, die mit dem großen Anteil des Chores und ausgedehnten Orchesterpassagen sehr an ein Oratorium erinnert. Aber vielleicht hat Philip Glass auch wirklich überhaupt nicht an Strawinsky gedacht, wer weiß.

Echnaton (im angelsächsischen Sprachraum Akhnaten genannt) ist nicht die erste und bei weitem nicht die einzige Oper, die im alten Ägypten spielt. Im Kreuzworträtsel wird meist nach einer mit vier Buchstaben gesucht. Aida ist nicht schwer zu erraten. Die Personen und die Handlung in Aida sind allerdings zur Gänze ausgedacht. Seit dem Barock gibt es aber zahlreiche Opern, die sich um historische Persönlichkeiten aus dem alten Ägypten ranken. Allen voran natürlich Kleopatra mit den Opern von Georg Friedrich Händel, Carl Heinrich Graun, Jules Massenet, Samuel Barber und vielen anderen. Weitere sind Berenike und Ptolemäus, wobei man sich manchmal aussuchen kann welcher Herrscher oder welche Herrscherin gleichen Namens gemeint sein mag. Bei Sesostris, Titelfigur in Opern von Antonio Maria Bononcini, Andrea Adolfati und Domenèc Terradellas und eines Dramas des Briten John Sturmy ist nicht klar, ob es sich um einen Pharao Sensuret aus dem 20. bzw. 19. Jh. v. Chr. handelt oder um den berühmten Ramses II. aus dem 13. Jh. v. Chr.

Amenophis IV., um den es hier geht, war ein Pharao der 18. Dynastie, die um 1550 v. Chr. mit der Rückeroberung des Nildeltas das »Neue Reich« begründete. Seine Regierungszeit begann um die Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr. und dauerte etwa 18 Jahre. Er führte die Bemühungen seines Vaters Amenophis III. fort, den Einfluss der Amun-Priesterschaft zurückzudrängen. Dabei ging er schließlich so weit, ein vollkommen neues Glaubenssystem vorzubereiten. Er baute ein Heiligtum und eine Stadt für den Sonnengott Aton, den er nicht mehr in menschlicher Gestalt, sondern als Sonnenscheibe darstellen ließ, und nannte sich fortan Echnaton. Er schrieb einen Hymnus auf diesen Gott, der überliefert ist und der eine gewisse Ähnlichkeit mit Psalmdichtungen hat. Ob er wirklich einen Monotheismus einführen wollte, darüber streiten sich die Ägyptologen. Kein Zweifel ist aber, dass sich seine Reformen nicht durchsetzten, die alte Priesterkaste nach seinem Tod zurückkehrte und seine Nachfolger dafür sorgten, dass die geschichtliche Episode möglichst bald in Vergessenheit geriet. In der offiziellen Königsliste wurde nicht nur Amenophis IV./Echnaton getilgt sondern auch dessen vermutliche Nachfolger Semenchkare, Tutenchamun und Eje, auf Amenophis III. (Amenhotep III. in der Oper) folgt direkt Haremhab, der auch in der Oper auftaucht. Es gibt jedoch keinen Nachweis dafür, dass Echnaton einem Aufstand zum Opfer gefallen sein könnte, die Verfolgung seiner Ideen begann vermutlich erst nach seinerm Tod.

Die Titelfigur in Echnaton wird von einem Countertenor gesungen, seine Frau Nofretete von einem Alt und seine Mutter Teje von einem Sopran. Weitere Personen sind Horemhab, zukünftiger Pharao, Bariton, der Hohepriester des Amun, Tenor, Aye, der Vater Nofretetes, Bass, was denn sonst? Ein Schriftgelehrter, der später zum Fremdenführer mutiert ist von einem Schauspieler darzustellen. Ferner kommen noch sechs Töchter Echnatons vor, gesungen von drei Sopranen und drei Altstimmen. Dass Echnaton einer Stimmgattung anvertraut wurde, die im Barockzeitalter von Kastraten ausgeführt wurde, mag einerseits seine Stellung als Herrscher zwischen Himmel und Erde charakterisieren aber vielleicht auch ein versteckter Hinweis darauf sein, dass Echnaton, nachdem sein Grab Ende deds 18. Jahrhunderts entdeckt wurde, für eine Frau gehalten wurde. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte der Beweis, dass er ein Mann, und möglicherweise mit Nofretete verheiratet, war. Aber vielleicht interpretiere ich da auch zu viel.

Mit einem über 10 Minuten langen Vorspiel, das die erste Szene vorbereitet, beginnt die Oper. Die 1. Szene des 1. Aktes beschreibt das Begräbnis Amenophis' III., des Vaters von Echnaton. Die 2. Szene widmet sich der Krönung Echnatons, die 3. Szene ist überschrieben mit »Das Fenster der Erscheinungen«. Es »erscheinen« darin nacheinander Echnaton, Teje und Nofretete. Zuerst singt Echnaton allein, dann im Duett mit Teje, worauf ein weiteres Duett von Echnaton mit Nofretete folgt, das in ein Terzett aller drei mündet. Die an einen Schöpfer gewandte Naturlyrik weist schon auf den großen Aton-Hymnus voraus. Zum Orchesternachspiel soll Echnaton allein bleiben und den Übergang seines Vaters in das Totenreich betrachten. * Der 2. Akt spielt in den Jahren 2 bis 15 der Regierungszeit Echnstons und besteht aus vier Szenen, deren erste beiden in der alten Hauptstadt Theben spielen, die letzten in der neuen Amarna (Echetaton). 1. Szene: Der Hohepriester des Amun singt mit seinen Gefolgsleuten das Loblied auf seinen Gott. Sie werden von der neuen Herrschaft (angeführt von Königin Teje und Echnaton) umzingelt und das alte Heiligtum wird abgerissen. Dafür gibt es keinen Text, weder altägyptisch noch modern. Der Komponist drückt es so aus: »Die Angreifer singen eine Vokalise, da Worte hier nicht erfordelich sind.« 2. Szene: Das große Liebesduett zwischen Echnaton und Nofretete besteht aus einem bei einer Mumie aus der Amarna-Zeit aufgefundenen Text. Es wird mit der Lesung desselben Textes durch den Schreiber / Fremdenführer in der Landessprache vorbereitet. 3. Szene: Die neue Stadt, die Echnaton hat bauen lassen, wird präsentiert. Der Schreiber liest Inschriften von Stelen, die man in Tell-el-Amarna gefunden hat in der Landessprache. Der anschließende Tanz macht ausgiebigen Gebrauch vom Schlagwerk im Orchester. Eventuell erscheinen auch Musiker auf der Bühne. 4. Szene: Zentrum und Höhepunkt der Oper ist der Hymnus Echnatons, den er in der Landessprache (es existieren eine englische, eine deutsche und eine französische Übersetzung) vorträgt. Zum Abschluss singt ein Chor die Entsprechung aus dem Psalm 104 im alt-hebräischen Original. * 3. Akt: Die ersten beiden Szenen spielen im 17. Regierungsjahr Echnatons. 1. Szene: Echnaton, Nofretete und ihre sechs Töchter leben völlig abgeschieden von der Öffentlichkeit und bekommen kaum noch etwas mit. Draußen aber wiegelt der Schreiber das Volk auf. Er zitiert aus den »Amarna-Briefen« Dokumente, die von syrischen Fürsten an den Pharao geschickt wurden. 2. Szene: Haremhab und Ajeh stellen sich an die Spitze des Aufstandes. Echnaton und die Seinen werden vertrieben. Auch dafür wird Text aus den »Amarna-Briefen« verwendet, jetzt aber im akkadischen Original. 3. Szene: Nachdem der Schreiber das Ende der Herrschaft Echnatons und den Wiederaufbau der Amuntempel verkündet hat, verwandelt sich die Bühne in den heutigen Zustand Amarnas. Touristengruppen gehen herum, der Schreiber kommt wieder als Fremdenführer und beschreibt, was alles zu sehen ist. 4. Szene: Epilog. Echnaton und die Seinen geistern durch die Stadt. Noch immer ist Amenophis III. auf seiner Reise ins Totenreich.

Mehr davon am Mittwoch in der Alten Feuerwache, machen Sie es gut,
Ihr Curt A. Roesler

 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.