Sonntag, 7. Dezember 2025

Neben Schostakowitsch: Prokofjew

Sergei Prokofjew (es gibt auch hier sehr unterschiedliche Schreibweisen, kiryllisch schreibt er sich so: Сергей Сергеевич Прокофьев) ist der 15 Jahre ältere Komponist, der wie schon Schostakowitsch in der frühen Ära der Sowjetunion eine Weltkarriere hatte und sich unter anderem deshalb dem Vorwurf ausgesetzt sah, ein Internationalist zu sein, ein Formalist, oder was sonst noch so angeführt wurde, um nicht genehme Künstler zu diskreditieren. Bis 1936 pendelte er sogar zwischen seinem Exil in Paris und Moskau. Ausgerechnet 1936 aber entschloss er sich, ganz zurückzukehren – und bereute es später.

Peter und der Wolf ist vielleicht die bekannteste Komposition von Prokofjew. Das ist zwar keine Oper, aber sie ist für ein Opernhaus geschrieben worden. Nämlich für das erste Opernhaus extra für Kinder, das je existierte. Natalia Saz wurde 1918 Leiterin der vom Volkskommissar für Bildung Anatoli Lunatscharski in Moskau gegründeten und 1921 eröffneten Einrichtung. Ihr Vater war Musikalischer Leiter des Moskauer Künstlertheaters und dessen Kodirektor Konstantin Stanislawski hatte sie vorgeschlagen. Außerdem waren die Saz' entfernt verwandt mit Lunatscharski. 1903 geboren,  hatte sie also mit 15 ihren ersten Leitungsposten. Auch heute noch ist es so: wenn in einer Dramaturgie die Aufgaben verteilt werden, muss sich am Ende meist der oder die Jüngste um die Kinderprogramme kümmern. Bei Natalia Saz ist das gut gegangen. Es wurde aus ihr eine bedeutende Regisseurin. Otto Klemperer traf sie bei seinen Gastspielen in Moskau und lud sie ein, an der Krolloper Falstaff zu inszenieren. 1936 bezog das Theater unter dem Namen Zentrales Kindertheater ein Gebäude in unmittelbarer Nähe des Bolschoi-Theaters. Aus diesem Anlass schrieb Prokofjew Peter und der Wolf. Die Uraufführung fand zwar in der Moskauer Philharmonie statt und krankheitsbedingt ohne Beteiligung von Natalia Saz. Aber drei Tage später, bei der Aufführung im Kindertheater, war sie selbst die Erzählerin. Und 34 Jahre später veröffentlichte Melodia eine LP mit ihrer Stimme, die Sie hier hören können.  Das UdSSR Staatsorchester wird vonJewgeni Swetlanow geleitet. Abgesehen davon, dass Sie das Stück regelmäßig in den Konzertsälen mit einem deutschen Schauspieler hören können, ist vielleicht eine englischsprachge Aufnahme noch interessant. Leonard Bernstein spricht hier in seiner eigenen Aufnahme mit den New Yorker Philharmonikern. Die Schallplatte mit Romy Schneider und Herbert von Karajan haben Sie sicher selbst im Regal. Sonst ist hier die Playlist.

1937 wurde Natalia Saz der Spionage verdächtigt, weil der amerikanische Botschafter ihr Haus besucht hatte. Sie wurde für fünf Jahre in Lagerhaft gesteckt. Erst nach Stalins Tod wurde sie rehabilitiert und konnte 1958 nach Moskau zurückkehren. 1964 gründete sie dort das zweite Musiktheater für Kinder, das heute noch existiert und ihren Namen trägt. Seit 1979 hat es ein neues Gebäude mit einem Theatertsaal mit 1100 Plätzen und einem Kammermusiksaal für 300. Hier gibt es ein Fan-Video über das Theater mit historischen und heutigen Fotos. Sie können sich die Untertitel übersetzen lassen, zumindest ins Englische.

Peter und der Wolf können Sie in Berlin z. B. am 21. Dezember im Kammermusiksaal der Philharmonie erleben und im Mai an der Komischen Oper, die zwei Auffürungen in Deutrsch und Ukrainisch für Willkommensklassen anbietet.

Mindestens acht Opern und mindestens sieben Ballette umfasst das Bühnenwerk von Sergei Prokofjew, dazu kommen einige verschollene oder sonst nicht aufführbare Werke, sowie vier ausführliche Schauspielmusiken. Und wie Schostakowitsch arbeitete auch Prokofjew für den Film, so etwa für Eisenstein Alexander Newski und Iwan Grosny. Über drei Opern haben wir in Zehlendorf schon gesprochen, Die Liebe zu den drei Orangen, Der feurige Engel und Die Verlobung im Kloster. Die ersten beiden gehören in dieser Spielzeit zu den deutschen Theaterpremieren. Und zwar beide im kleinen Bundesland Bremen. Die Liebe zu den drei Orangen in Bremerhaven (letzte Vorstellung am 28. Dezember) und Der feurige Engel in Bremen (noch bis 20. März). 

Prokofjew fing mit neun Jahren an, Opern zu schreiben. Ein dreiaktiges Werk mit Klavierbegleitung, für den Familiengebrauch bestimmt, Der Riese, scheint weitgehend verloren. Das georgische Kammerorchester in Ingolstadt hat eine Version für einen Erzähler und Orchester rekonstruiert, die sich an Peter und der Wolf orientiert. Ich habe aber keine Tonaufnahme finden können. Auch die nächsten Opern, immer noch im Kindesalter geschrieben, sind Fragment geblieben. Auf unbewohnten Inseln besteht nur aus einer Overtüre und drei Szenen des 1. Aktes, Das Gelage während der Pest nach Puschkin hat er sich zwar 1908/09 noch einmal vorgenommen, aber auch davon ist keine Aufführung dokumentiert. Den Stoff hat auch César Cui als Oper vertont, darüber sprachen wir in der Corona-Zeit. Undine 1904–07, am Übergang zur Jugendzeit geschrieben, blieb ebenso unveröffentlicht wie Maddalena, 1911–13 als Student des St. Petersburger Konservatoriums komponiert. 1979 aber weckte dieses Fragment die Aufmerksamkeit des britischen Dirigenten Edward Downes. Er vervollständigte das Material und brachte es in einem Konzert der BBC zur Uraufführung. Die szenische Uraufführung des Einakters erfolgte 1981 in Graz. Inzwischen findet man eine CD-Gesamtaufnahme unter Genadi Rozhdestvensky (Playlist hier) und eine szenische Aufführung aus Rostov am Don (hier). Der Spieler nach dem gleichnamigen Roman von Dosojewski ist die erste voll ausgearbeitete Oper von Prokofjew. 1915 bis 1917 komponierte er sie, im Revolutionsjahr 1917 war aber nicht an eine Aufführung zu denken. Zwölf Jahre später revidierte er die Partitur, die Uraufführung fand schließlich 1929 in Brüssel statt. 2008 inszenierte Dmitri Tcherniakov die Oper an der Staatsoper Unter den Linden. Wir sprachen im Kurs damals auch über das Werk, aber der Blog exisierte da noch nicht deshalb gibt es hier keinen Text. Die Inszenierung wurde aufgezeichnet und auf DVD veröffentlicht, in der Naxos Video Library können Sie sie sehen. Frei verfügbar auf YouTube ist eine Aufführung des Mariinski Theaters St. Petersburg von 2012, hier.

Die bekannteste Oper von Prokofjew ist Die Liebe zu den drei Orangen. Wie Der Spieler ist sie nicht in der Originalsprache zur Uraufführung gekommen, sondern in einer Übersetzung. Der Zugriff auf die Komödie von Gozzi ist vom russischen Futurismus geprägt und das Libretto ist eine Bearbeitung der Fassung von Meyerhold durch den Komponisten. In Chicago fand die Uraufführung 1921 in französischer Sprache statt. Englischsprachige Aufführungen von Opern waren in den USA damals nicht üblich. An der Met z. B. wurde Die verkaufte Braut von Bedrich Smetana in Deutsch, Boris Godunow von Mussorgski in Italienisch gegeben. Eine witzige englischsprachige Inszenierung von Richard Jones The Love For Three Oranges können Sie aus der Opera North hier sehen. In der Sprache der Uraufführung kommt diese Inszenierung von Laurent Pelly in Amsterdam. In russischer Sprache finde ich gerade nur diese LP-Aufnahme aus Sowjet-Zeiten, von Jemal Dalgat dirigiert.

Auch Der feurige Engel, komponiert unmittelbar nach Die Liebe zu den drei Orangen 1920 bis 1928, wurde zuerst ins Französische übersetzt, dann aber doch nicht aufgeführt, wenn man von einzelnen Szenen absieht, die 1928 in der Salle Pleyel konzertant gespielt wurden. Eine komplette konzertante Aufführung erfolgte erst nach Prokofjews Tod 1954 ebenfalls in Paris. Die szenische Uraufführung erfolgte im Jahr darauf in Venedig, dann damaligen Gepflogenheiten folgend in italienischer Sprache. Eine Aufführung des Mariinski Theater St. Petersburg in der Originalsprache können Sie hier sehen.

Zurück in der Sowjetunion, komponierte Prokofjew neben den drei Balletten Romeo und Julia, Cinderella und Die steinerne Blume noch vier Opern, von denen eine, Semjon Kotko, am ehesten dem entspricht was stalinistische Kulturpolitiker von ihm erwarteten, wenngleich auch hier heftige Auseinandersetzungen auf die Uraufführung folgten. Mit den anderen eckte er an. Die Verlobung im Kloster wurde zwar nach dem Krieg aufgeführt, aber bald wieder verboten. Die Geschichte vom wahren Menschen wurde zu seinen Lebzeiten nur in einer einzigen konzertanten Aufführung gegeben, Krieg und Frieden schließlich konnte überhaupt nicht aufgeführt werden. Die arte.tv-Aufzeichnung von Krieg und Frieden aus der Bayrischen Staatsoper von 2023 ist hier immer noch auf YouTube verfügbar. Es ist ein monumentales Werk, aber es lohnt sich.

Frohe Adventszeit, Ihr Curt A. Roesler

 

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