Vincenzo Bellinis Meisterwerk Norma war zuletzt vor fast neun Jahren Gegenstand unserer Gespräche. Was ich damals dazu geschrieben habe (Norma, ein Plagiat?) ist noch nicht veraltet. Ich kann mich daher darauf beschränken, ein paar Ergänzungen zu machen.
Norma ist im internationalen Operngeschäft nicht ganz an der Spitze, Carmen, La traviata und La Bohème laufen ihr in den Statistiken regelmäßig den Rang ab. In der vom Deutschen Bühnenverein herausgegebenen Statistik der in Deutschland, Österreich und der Schweiz 10 meistgespielten Opern der Spielzeit 2022/23 kommt Bellini gar nicht vor und auch unter den 50 international meistgespielten Opern, wie sie im Wikipedia-Artikel »Repertoire (Oper)« für die Spielzeit 2019/20 wiedergegeben werden, fungiert kein Bellini. Aber Bellini wird dennoch recht häufig gespielt, gefühlt gehört er auf jeden Fall zu den meistgespielten Komponisten. Und diesen Eindruck verstärkt auch das Bild, das man erhält, wenn man »Vincenzo Bellini Norma« in der Suche von YouTube eingibt. Unendlich viele Ergebnisse findet man da, und die sortiere ich gern hier wieder einmal. Ich fange mit 1967 an. Da gastierte Mario del Monaco als Pollione in Berlin. Es war eine fertige Produktion des Teatro La Fenice, die Musikalische Leitung hatte Ettore Gracis, Elinor Ross sang die Norma, die weniger bekannte Giovanna Vighi Adalgisa und der unverwüstliche Ivo Vinco war Oroveso. Die Besetzung entsprach der in Venedig im Dezember 1966 mit Ausnahme dessen, dass dort Fiorenza Cossotto Adalgisa gesungen hatte. Hier die Aufführung aus der Komischen Oper.
Auf DVD gibt es Norma in verschiedenen Versionen. Neun verschiedene Aufnahmen sind bei jpc lieferbar, bei Amazon sind es deutlich mehr (allerdings mit Doubletten, dafür aber auch die Aufführung aus der Komischen Oper 1967). Da ist etwa die Aufführung aus dem Royal Opera House Covent Garden, dirigiert selbstverständlich von Antonio Pappano, inszeniert von Alex Ollé (bekannt mit seiner katalanischen Theatertruppe »La fura dels baus«) und mit Sonya Yoncheva und Sonia Ganassi als Norma und Adalgisa. Sie wurde 2016 in Kinos auf der ganzen Welt übertragen. Einzelne Ausschnitte findet man bei YouTube: »Casta diva« ist der einzige aus der originalen DVD, den ich gefunden habe, es gibt aber noch eine ganze Reihe von Amateurvideos aus der Aufführung, vor allem aber gibt es eine Einführungsveranstaltung mit Antonio Pappano (wem es noch nicht aufgefallen war: Pappano ist kein Italiener, da kann er die Tempi noch so sehr aufheizen, hier hört man seinen Dialekt) auf diesem Link; die Musikbeispiele sind allerdings nur mit Klavier begleitet und von der Inszenierung gibt es nur Standbilder. Eine kurze Einführung mit Musikbeispielen vermutlich von der Generalprobe gibt es hier. Joseph Calleja, der in London als Pollione debütierte, sang die Partie noch im gleichen Jahr an der Met mit den Met-Stars Joyce DiDonato und Sondra Radvanovsky in einer sehr viel traditionelleren Produktion, diese gibt es ausschließlich auf DVD und nicht bei Streamingdiensten, wie das meist bei der Met der Fall ist.
2016 scheint ein ausgesprochenes Norma-Jahr gewesen zu sein. Auch die Arena Sferisterio in Macerata brachte das Werk in einer Koproduktion mit dem Teatro Massimo Palermo heraus. Es sangen Maria José Siri und Sonia Ganassi, davon gibt es ebenfalls eine DVD, die RAI-Übertragung, die dieser DVD zugrundeliegt, ist hier zu finden. Zehn Jahre früher stand Sonia Ganassi schon mit Edita Gruberova in München auf der Bühne. Zu deren Sechzigstem brachte die Bayerische Staatsoper das Werk heraus; zwei Jahre vorher hatte Gruberova schon in Baden-Baden Norma gesungen. Die Münchner Inszenierung von einem der bedeutendsten Bühnenbildner des 20. Jahrhunderts, Jürgen Rose, ist ebenfalls auf DVD und bei Streamingdiensten verfügbar. Und hier bei YouTube. Als »Hohepriesterin des Belcanto« wurde Gruberova bezeichnet lange, bevor sie die Hohepriesterin Norma gesungen hat. Zu ihren Vorgängerinnnen in der Partie gehört nicht nur Maria Callas – von der es nur Audio-Gesamtaufnahmen von Norma gibt –, sondern auch deren Erzrivalin Joan Sutherland. 1978 wurde eine Produktion der Australian Opera in Sydney aufgezeichnet, die deutlich vollständiger ist als alle anderen bis in neuere Zeiten. Das Terzett im Finale des 1. Aktes wird darin vollständig gespielt, wie sie hier sehen können, wenn sie an die Stelle (ca. 1 Std. 15 Min.) vorrücken. Sie sehen sofort, warum diese etwa eineinviertel Minuten in der Regel weggelassen werden. Adalgisa müsste hier nämlich die obere Stimme übernehmen und Norma die untere. Statt dessen springt Adalgisa (Margareta Elkins) einfach in die Partie der Norma – und die Sutherland verstummt für ein paar Takte. Darüber am Mittwoch mehr.
Nun zu den Audio-Aufnahmen: Maria Callas hat die Oper zwei Mal im Studio aufgenommen, ein Mal noch im Mono-Zeitalter, dann in Stereo. Beide Male spielten Chor und Orchester der Scala unter der Leitung von Tullio Serafin. Die Gesangspartner waren beim ersten Mal Ebe Stignani (Adalgisa), Mario Filippeschi (Pollione) und Nicola Rossi-Lemeni (Oroveso). Hier hat sich jemand die Mühe gemacht die Aufnahme von 1954 komplett mit der Partitur zu illustrieren. Man kann so auch ein wenig Partiturlesen üben. Ob es sich dabei allerdings um die beste Aufnahme aller Zeiten handelt (wie der Titel des Videos lautet) sei dahingestellt, sie gehört aber auf jeden Fall zu den besten. Vergleicht man Mario Filippeschi mit dem, was später so auf der Bühne erschien, so ist er selbstverständlich einer der großen Tenöre seines Fachs, was er auch etwa in einer Aufnahme des Don Carlos unter Beweis stellt, dennoch ist er in dieser Norma eher ein Schwachpunkt. Sechs Jahre später stellte EMI der Callas nun den noch jungen Franco Corelli zur Seite. Als Adalgisa kam die gerade erst ins internationale Geschäft aufgestiegene Christa Ludwig zum Einsatz; schwächer in dieser Aufnahme ist jetzt der Oroveso, Nicola Zaccaria; und schwächer als in der ersten Aufnahme ist eben auch Maria Callas, denn in diesen sechs Jahren hat sie sich nie geschont. Beide Aufnahmen sind in meinem Eisernen Bestand, man braucht sie beide. Hier hat sich jemand die Mühe gemacht, die zweite Aufnahme mit Untertiteln zu versehen, die man sich dann in jeder beliebigen Sprache anzeigen lassen kann.
Maria Callas war nicht die Erste, mit der eine Gesamtaufnahme im Studio entstanden ist. Die älteste Gesamtaufnahme ist von 1937 und kommt vom italienischen Rundfunk in Turin. Gina Cigna singt die Titelpartie, Ebe Stignani ist Adalgisa, Giovanni Breviario Pollione und Tancredi Pasero Oroveso. Wie die beiden vorher genannten ist auch diese Aufnahme derzeit als CD erhältlich und es empfiehlt sich, sie sich bei Naxos Music Library (zugänglich über voebb.de mit Ausweis der Zentral- und Landesbibliothek) anzuhören, denn bei YouTube gibt es nur einen Schallplattenmitschnitt, der ziemlich viel Rauschen enthält.
Auch Joan Sutherland hat die Oper zwei Mal im Studio aufgenommen. Beide Male für DECCA und beide Male mit Ehemann Richard Bonynge am Pult. Das erste Mal spielte 1963 das London Symphony Orchestra mit Chor und das zweite Mal die Welsh National Opera. Die erste Aufnahme mit Marilyn Horne als Adalgisa und John Alexander als Pollione gibt es hier als Playlist. »Oh! qual traspare orribile«, die Antwort der Adalgisa im Terzett aus dem 1. Finale ist genauso bearbeitet wie in der Aufführung in Sydney: Marilyn Horne singt die untere Stimme, allerdings pausiert jetzt Sutherland nicht, sondern singt brav die obere Stimme; sie singt also den Text, den eigentlich Adalgisa singen sollte und umgekehrt, hören Sie hier selbst. Richtig ist das erst in der zweiten Aufnahme von 1984, da ist nämlich Montserrat Caballé Adalgisa (und Luciano Pavarotti Pollione), hier zu hören. Eine Playlist von dieser Aufnahme habe ich nicht gefunden, also verweise ich wieder auf die Naxos Music Library. 1970 hatte Caballé zum ersten Mal in Barcelona die Titelpartie gesungen, Fiorenza Cossotto und Bruno Prevedi waren mit dabei, eine Video-Aufnahme gibt es aus Madrid 1978 hier, Fiorenza Cossotto ist wieder dabei, Pollione ist jetzt ein Spanier, Pedro Lavirgen. Das Terzett im Finale des 1. Aktes ist gekürzt wie immer, so auch in der Studio-Aufnahme von. 1972, einer der frühesten von Placido Domingo. Hier zu hören, aufgepeppt mit ein paar Fotos der Protagonisten.
Nun aber zu der Audio-Aufnahme, die inzwischen meine Lieblingsaufnahme geworden ist, weil sie wie keine andere den romantischen Gehalt der Oper wiedergibt. Wesentlichen Anteil hat das 1996 gegründete Orchester »La Scintilla«. Vorläufer dieses Orchesters war das Orchester, das vor bald fünfzig Jahren beim Monteverdi-Zyklus an der Zürcher Oper unter Nikolaus Harnoncourt spielte. Es waren damals Musiker des Tonhalle-Orchesters dabei, die Lust hatten, sich auf Originalinstrumente einzulassen, und freie Musiker etwa aus dem »Concentus musicus«. Konzertmeisterin war Alice Harnoncourt, und auch heute noch sind es drei Musikerinnen, die dem Orchester vorstehen, an erster Stelle Ada Pesch, Konzertmeisterin der Philharmonia Zürich, des Orchesters des Zürcher Opernhauses. Giovanni Antonini dirigiert diese spektakuläre Norma, die sich an die kritische Neuausgabe der Oper hält. In Berlin ist er schon als Barockspezialist aufgetreten, im Moment arbeitet er an einer Gesamtaufnahme der Sinfonien von Haydn, dir zum HaydnJahr 2032 abgeschlossen sein soll. Cecilia Bartoli singt die Titelpartie, Sumi Jo Adalgisa; das Verhältnis dieser beiden Stimmen entspricht ungefähr dem bei der Uraufführung mit Giuditta Pasta als Norma und Giulia Grisi als Adalgisa. John Osborn ist Pollione und Michele Pertusi Oroveso. Hier die Playlist. Als CD scheint die Aufnahme derzeit nicht lieferbar zu sein, aber bei den Streamingdiensten ist sie noch verfügbar.
Nun ist doch noch Einiges zusammengekommen zu Norma, ich freue mich auf Mittwoch,
Ihr Curt A. Roesler
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