In Cottbus hat am 25. Januar Kleider machen Leute von Alexander von Zemlinsky Premiere (hier Infos, Tickets und weitere Termine). Die Oper wird sehr selten aufgeführt. Das Prager Nationaltheater hat das Werk 2023 neu auf den Spielplan gebracht und auch 2024 noch gespielt. Die Wiener Volksoper spielte es 2022 konzertant. Uraufgeführt wurde in ebendiesem Theater, damals Kaiser-Jubiläums-Stadttheater, 1910 als Zemlinsky dort Musikdirektor war. Er revidierte es 1913 für eine geplante Aufführung in Mannheim und nahm sich später die Partitur noch einmal für eine gründliche Umarbeitung vor. Diese auf zwei Akte reduzierte Fassung brachte er 1922 als Musikdirektor am Neuen Deutschen Theater in Prag heraus. Eine – nicht von Gottfried Keller vorgesehene – Person fällt darin ganz weg. In dieser Fassung wurde das Werk fortan gespielt, bis es in Deutschland verboten wurde. Erstaunlicherweise war das erst 1934, nachdem es in Köln noch einmal neu herausgebracht worden war und zwar mit Peter Anders als Wenzel Strapinski. 1935 wurde es erstmals in Zürich gespielt, dann verschwand es von allen Spielplänen. Im Rahmen der wesentlich von Gerd Albrecht vorangetriebenen Zemlinsky-Renaissance kam Kleider machen Leute 1982 in Oberhausen heraus, 1985 im Münchner Gärtnerplatztheater und an der Wiener Volksoper, 1987 in St. Gallen und 1990 endlich wieder in Seldwyla (will sagen in Zürich) wenn auch nur konzertant. Bei deiser Gelegenheit ist auch die einzige kommerzielle Tonaufnahme gemacht worden, ein Mitschnitt des Schweizer Rundfunks von dieser Aufführung mit Chor und Orchester des Zürcher Opernhauses unter dessen damaligem Musikdirektor Ralf Weikert. Edith Mathis und Hermann Winkler sind Nettchen und Wenzel Strapinski. Koch/Schwann gab den Mitschnitt auf CD heraus, die es heute nur noch antiquarisch zu kaufen gibt. Dementsprechend ist sie auch bei keinem Streamingdienst abzurufen. Lediglich das Booklet gibt es bei Archive.org (hier).
Es gibt übrigens eine noch seltener gespielte andere Oper mit dem Titel Kleider machen Leute. Sie wurde zwischen 1926 und 1934 geschrieben, aber erst 1964 in Coburg uraufgeführt. Der Komponist ist Joseph Suder (1892–1980), über den sonst wenig bekannt ist. Davon gibt es aber eine Aufnahme, die es zu kaufen gibt und die bei Spotify & Co. abzurufen ist. Auch davon gibt es das Booklet bei Archive.org (hier). Wenn man etwas tiefer in die Geheimnisse von Archive.org eintaucht, findet man auch Möglichkeiten, entsprechende Audio-Files herunterzuladen, archiviert sind die CDs jedenfalls dort.
Zwei Ausschnitte aus der Zürcher Aufführung von Zemlinskys Oper findet man aber bei YouTube: Anfang 1. Akt und Finale 2. Akt. Ein kleiner Video-Ausschnitt aus Prag von 2023 (hier) ist ebenso zu finden wie Promotion-Videos aus Görlitz und Stralsund/Greifswald, wo Kleider machen Leute von Zemlinsky 2012 und 2013 gepielt wurde. Das alles aber bezieht sich auf die endgültige Fassung und nicht auf die »Mannheimer Fassung«, die Cottbus jetzt als Uraufführung anbietet.
Wer sich erst einmal mit dem Stoff vertraut machen will, mag sich vielleicht den UFA-Klassiker von 1940 mit Heinz Rühmann und Hertha Feiler ansehen, den gibt es hier und immer wieder im Fernsehen. Man kann natürlich auch die Novelle von Gottfried Keller lesen (oder sich vorlesen lassen, das suchen Sie sich aber bitte selber heraus).
Nicht weniger als 22 Solopartien verlangt die Fassung von 1910. Der zweite und der dritte Akt werden in der Fassung von 1922 zu einem zusammengefasst. Hier die Inhaltsangabe der ursprünglichen Fassung mit Anmerkungen zu den Abweichungen in der Fassung von 1922:
Vorspiel
Landstraße zwischen Seldwyla und Goldach. Der Schneidergeselle Wenzel Strapinski aus Seldwyla sitzt auf einem Meilenstein, gekleidet in seine Gesellenstücke, einen vornehmen Reisemantel und eine Zobelmütze. Ein Kutscher fragt ihn nach dem Weg und nimmt ihn mit nach Goldach.
1. Akt
Vor dem Wirtshaus »Zur Waage« in Goldach. Melchior Böhni, Prokurist bei Quandt & Sohn, versucht Nettchen, die Tochter des Amtsrats, für sich zu gewinnen, doch sie träumt von einem Grafen, der sie einst erhören wird. (In der zweiten Fassung fehlt diese Arie und damit Nettchens Vorahnung.) Der Kutscher bringt den Schneidergesellen zum Wirtshaus und bezeichnet ihn, bevor er weiterzieht, als »Grafen Strapinski aus Polen«, der bezahlen werde, was er verzehrt hat. Das Gerücht macht schnell die Runde und alle machen dem vermeintlichen Grafen die Aufwartung und es wird aufgetischt, doch Strapinski wagt nichts anzurühren, denn er fürchtet, aufzufliegen. Der Amtsrat kommt mit seinem Töchterchen Nettchen. Strapinski und Nettchen verlieben sich auf der Stelle und der Amtsrat lädt alle zum Mittag am nächsten Tag auf sein Gütchen ein. Böhni ist von Anfang an misstrauisch und glaubt nicht an den Grafen; er hat aber auch allen Grund zur Eifersucht. Er bricht auf nach Seldwyla, um Nachforschungen über Strapinski einzuholen. Die Goldacher haben das Nötigste gespendet für die erste Nacht des vermeintlich gepäcklos aus Polen geflohenen Grafen. Strapinski denkt über eine mögliche Flucht nach, lässt aber davon ab, denn er möchte Nettchen noch einmal sehen.
2. Akt
Das Gütchen des Amtsrats. Die Männer spielen Karten und die Frauen unterhalten sich übers Kochen. Beinahe verrät sich Strapinski als gelernter Schneider, als er die Garderobe der Goldacher beurteilt. Böhni ist weiter misstrauisch, er hat ja Erkenntnisse aus Seldwyla, die er aber für sich behält. Polykarpus Federspiel und Lieselein, das Töchterchen des Notars Adam Litumlei und seiner Frau Eulalia bitten Strapinski um Fürsprache für ihre Heirat (dieser Teil der Handlung fehlt ganz in der Fassung von 1922, der 2. Akt beginnt erst hier). Nettchen trägt ein Lied nach einem Text von Heinrich Heine vor. Strapinski will sich aus dem Staub machen, aber nicht, bevor er noch einmal Nettchen getroffen hat. Es kommt zum großen Liebesgeständnis, bei dem die beiden von Böhni überrascht werden, der den Amtsrat ruft. Nettchen erklärt Strapinski zu ihrem Verlobten, was dem Amtsrat freut, denn jetzt wird er Schweigervater von einem Grafen. Er lädt alle zur Verlobungsfeier am Abend ein. Böhni kommt die Einladung zupass, denn er gedenkt, den »Grafen« dort öffentlich zu demaskieren, dazu erweitert er die Einladung an die Bürger von Seldwyla. Alle tanzen Walzer.
3. Akt
Ein Tanzsaal im »Waldhaus« zwischen Goldach und Seldwyla. Böhni hat für die Verlobungsfeier eine Pantomime vorbereitet, die er mit dem ehemaligen Meister Strapinskis und dessen beiden Gesellen aus Seldwyla einstudiert. Leute aus Seldwyla und aus Goldach treffen ein. Strapinski und Nettchen fahren in einem Schlitten vor (in der Fassung von 1910 ist es Winter, 1922 Herbst, die Glöckchen klingeln trotzdem). Die Pantomime wird aufgeführt und Strapinski muss unter dem Spott der ganzen Gesellschaft fliehen. – Landstraße zwischen Seldwyla und Goldach. Nettchen findet Strapinski schlafend im Straßengraben. Er erklärt wie alles gekommen ist und will seines Weges gehen, doch Nettchen hält ihn zurück: »Kann ich schon keine Frau Gräfin sein, so werd' ich Frau Meisterin sein«. (In der Fassung von 1922 flieht Strapinski nicht aus dem Tanzsaal, sondern verteidigt sich und verspottet die Goldacher wegen ihrer Leichtgläubigkeit. Als alle gegangen sind, geht es weiter wie in der ursprünglichen Fassung, nur eben nicht auf der Landtraße sondern im »Waldhaus«. Die Verwandlung entfällt und damit auch die Rückkehr zum Anfang.)
Mehr am 8. Januar, wenn wir uns wieder in derAlten Feuerwache in Zehlendorf (oder in der VHS-Cloud) treffen. Guten Rutsch und eine frohes, gesundes 2025!
Ihr Curt A. Roesler
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