Die bedeutendeste, wenn auch nicht oft gespielte, Oper von Hector Berlioz (1803–1869) ist Les Troyens. Die Premiere an der Deutschen Oper Berlin liegt weit über zehn Jahre zurück. Damals, 2010, sprachen wir in unserem Kurs über das Werk und einer der ersten Beiträge dieses Blogs war ihm gewidmet. Auch La damnation de Faust, keine Oper, sondern ursprünglich als »Opéra de concert« konzipiert und später als »Legende dramatique« bezeichnet, wurde hier besprochen, als sie in der Inszenierung des heutigen Berliner Ballettdirektors, Christian Spuck, an der Deutschen Oper Premiere hatte. Auch von der siebensätzigen »Symphonie dramatique« Roméo et Juliette ist da die Rede. Das Dramatische spielt in vielen Werken von Hector Berlioz eine große Rolle, so auch in seiner Symphonie fantastique, seinem berühtmtesten Werk, und vor allem in deren Fortsetzung Lélio ou le retour à la vie. Und auch die Grande messe des morts, sein Requiem hat mit dem Einsatz der vier Fernorchester in den vier Ecken der Kathedrale ein theatrales Element. Als Opernkomponist war er leider nicht sehr erfolgreich. Les Troyens – geschrieben 20 Jahre nach dem Fiasko mit Benvenuto Cellini – wurde zu seinen Lebzeiten nur fragmentarisch aufgeführt. Und die späte Opéra comique Béatrice et Bénédict hat zwar viele satirische Qualitäten, auch an ihrem Uraufführungsort Baden-Baden wurde sie dennoch von dem jüngeren Musiksatiriker, Jacques Offenbach überstrahlt.
Jetzt aber werden die erste und die letzte Oper von Hector Berlioz, an zwei deutschen Theatern vorbereitet: Béatrice et Bénédict in Braunschweig und Benvenuto Cellini in Dresden. Schade, dass beides nicht in Berlin zu sehen ist. Aber wenn die Bahn nicht srteikt, kann man ja reisen. Gehen wir chronologisch im Schaffen von Berlioz vor.
Alfred de Vigny, ein französischer Dramatiker und Übersetzer, der uns hier auch schon einmal vorgekommen ist, nämlich als Autor eines Cinq-Mars, woraus Charles Gounod eine Oper gemacht hat, soll Berlioz 1834 auf die gerade in französischer Übersetzung erschienene Autobiografie von Benvenuto Cellini aufmerksam gemacht haben. Berlioz erkannte sofort die Bühnentauglichkeit dieser Renaissance-Persönlichkeit, von der wir heute vor allem zwei ganz unterschiedliche Skulpturen bewundern. Einerseits die monumentale (über fünf Meter hohe) Perseus-Statue, die in Florenz steht, und andererseits das Salzsfass aus Gold, Ebenholz und Elfenbein, das er 1540–43 in Paris für für François I. schuf und das seit 2006 wieder im Kunsthistorischen Museum Wien zu besichtigen ist. 2003 war sie dort gestohlen worden, aber zum Glück nicht eingeschmolzen wie vermutlich die Goldmünze aus dem Bode-Museum. Berlioz bat Léon de Wailly (1804–1864), einen Freund von de Vigny, und Auguste Barbier (1805–1882) ihm ein Libretto nach Motiven aus dem Leben Cellinis zu schreiben. Leon de Wailly war ein Schriftsteller und Übersetzer, der nicht nur Shakespeare übersetzte, sondern auch u. a. eine Biografie der schweizerisch-österreichischen Malerin Angelika Kauffmann verfasste. Zuerst schien sich eine Möglichkeit zu ergeben, die Oper an der Opéra-Comique aufzuführen, deswegen gehen die ersten Entwürfe noch von einer Form mit gesprochenen Dialogen aus. Da sich jedoch bald eine Mögichkeit ergab, das Werk an der Opéra herauszubringen, wurde das Libretto schon früh daraufhin umgearbeitet. Seltsame Bedingungen allerdings stellte die Opéra. So sollte das Werk nur zwei Akte haben. Auch das konnte bewerkstelligt werden, der erste Akt umfasste somit zwei Bilder (wie auch der zweite in der ursprünglichen Fassung). Von Benvenuto Cellini gibt es drei Fasssungen, die in der neuen Gesamtausgabe der Werke von Hecor Berlioz bei Bärenreiter berücksichtigt werden. 1. Die Partitur, die Berlioz Anfang 1838 bei der Opéra abgeiefert hat; 2. Die Partitur, die nach der Uraufführung am 10. September 1838 für das Archiv der Opéra hergestellt wurde; 3. Der Klavierauszug der 1856 nach den Aufführungen in Weimar (1852) und London (1853) veröffentlicht wurde. Die Weimarer (und Londoner) Fassung sind in drei Akten, die beiden Bilder des ersten Aktes sind dabei in einzelne Akte aufgeteilt. Der zweite Akt in Paris, der schon für die Aufführungen stark gekürzt worden war, wurde in Weimar und London zum dritten Akt.
Inzwischen ist eine weitere Fassung als Opéra comique mit gesprochenen Dialogen aufgetaucht, die 1856 für eine geplante, aber nicht zustande gekommene Aufführung im Théâtre-Lyrique entstanden war und 2004 in Gelsenkirchen erstmals aufgeführt wurde. Dresden gibt an, die »Weimarer Fassung« zu spielen. Seltsamerweise allerdings wird dabei als Gattungsbezeichnung »Opéra-comique« angegeben. Hier der Einführungstext mit Inhaltsangabe.
Warum die Uraufführung zum Fiasko wurde? An der Besetzung kann es nicht gelegen haben: Benvenuto Cellini wurde gesungen von Gilbert Duprez, der Edgardo in der Uraufführung von Lucia di Lammermoor im Jahr davor und dem künftigen Fernand (in La favorite) und Dom Sébastien in der gleichnamigen Oper von Donizetti. Teresa war Julie Dorus-Gras, Marguerite de Valois in Les huguenots zweieinhalb Jahre davor und künftige Pauline (in Les martyrs von Donizetti). Die Hosenrolle Ascanio wurde von der 23jährigen Rosine Stoltz gesungen, die Sopran- wie auch Mezzosopran- oder sogar Altrollen zu singen vermochte – und ohne die der Direktor, Léon Pillet, keine Oper durchgehen ließ. Donizetti musste später von seinem Projekt Le duc d'Albe ablassen, weil es keine Rolle für sie gab, und komponierte stattdessen La favorite mit Léonor für sie. Prosper Dérivis, der den Balducci sang, war wiederum aus Les huguenots bekannt, später wirkte er auch in mehreren Verdi- und Donizetti-Uraufführungen mit. Der Anfang der Oper wurde in der Uraufführung noch ganz gut aufgenommen, doch bald wühlte sich das Publikum offensichtlich überfordert. Es fing an zu zischen und das während des Abends immer mehr. Die Länge des Werks kann es auch nicht wirklich gewesen sein, man denke nur an Les huguenots zweieinhalb Jahre davor. Auch die Aufführungen in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt, 1852 waren kein wirklicher Erfolg. Hier allerdings gab es widrige Umstände: Der Tenor Karl Beck (er hatte zwei Jahre davor den Lohengrin in der Uraufführung gesungen) war schon nicht mehr ganz auf der Höhe seiner Karriere, er verlangte weitere Kürzungen, dann wurde er krank und die Erstaufführung musste verschoben werden, denn auch Rosa von Milde (die Elsa in der Uraufführung des Lohengrin) war krank, die den Ascanio singen sollte.
Es exisitieren eine ganze Reihe von Aufnahmen von Benvenuto Cellini, die man auf CDs und DVDs erwerben kann. Die meisten basieren auf der Weimarer Fassung in drei Akten, allerdings oft mit Zusätzen aus der allerersten Fassung, also mit Teilen, auf die Berlioz schon in der Uraufführung verzichtet hatte, so ist es auch bei der spektakulären Aufnahme aus Salzburg 2007, dirigiert von Valery Gergiev und inszeniert von Philip Stölzl. Ein Meilenstein in der Berlioz-Rezeption ist die Schallplattenaufnahme von Colin Davis 1972 mit Nicolai Gedda in der Titelpartie, die man hier auf YouTube hören kann.
Bétarice et Bénédict basiert auf Shakespeares Much Ado about nothing und war wie schon erwähnt zu Berlioz Lebzeiten ebenfalls nicht besonders erfolgreich. Vielleicht kam das Werk zu spät, vielleicht traf es den Geschmack des Publikums trotz Berlioz' explizitem Bemühen nicht. Auch dieses Werk hat Colin Davis in den 70er Jahren für die Schallplatte aufgenommen, doch hier existiert auch eine Konzert-Aufnahme mit ihm von 2009 mit Joyce DiDonato, hier. Ein Video gibt es von einer Aufführung in Lyon 2021, hier.
Soviel für heute, dann bis Mittwoch, ich freue mich auf das Abenteuer mit Berlioz.
Ihr Curt A. Roesler
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