Die Opern von Wolfgang Amadeus Mozart sind seit zwei Jahrhunderten fester Bestandteil des Repertoires. Kein Wunder, dass die Beroiner Opernhäuser auch in dieser Spielzeit mehrere Neuproduktionen herausbringen. Im letzten Trimester haben wir uns Mitridate, re di Ponto näher angeschaut, eine »opera seria«, die Mozart mit dreizehn Jahren für Mailand geschrieben hat. Sie kam an der Staatsoper Unter den Linden heraus. Als nächstes kommen Così fan tutte an der Komischen Oper und Idomeneo wiederum an der Staatsoper heraus. Wir drehen die Reihenfolge um, damit wir der Reihenfolge Mozarts auf der Spur bleiben. Auf Mitridate folgten zwei weitere »opere serie« für Mailand im jährlichen Abstand sowie eine »festa teatrale«, die vermutlich in Salzburg aufgefürt wurde. 1775 folgte für München das »dramma giocoso« (also eine opera buffa) La finta giardiniera, die allgemein für das erste »reife« Werk gehalten wird. Sie ist die erste der beiden Opern, die Mozart für München schrieb, und verweist auch insofern schon auf Idomeneo. Der Auftraggeber, der bayerische Kurfürst Maximilian III. wollte Mozart jedoch keie feste Anstellung geben. Und auch anderswo hatte Mozart nicht mehr so viel Glück mit Aufträgen. Auch die Reise nach Paris 1777 / 1778 / 1779, die erste zu der er aus finanziellen Gründen nicht mit seinem Vater aufbrach, sondern nur mit seiner Mutter, brachte ihm keine Opernaufträge. Weder in Mannheim, wo er zwei Mal persönich sehr glückliche Tage verbrachte, noch in Paris, wo zu allem Elend seine Mutter starb, reichte es zu einem Auftrag. Der Kurfürst Karl Theodor war Ende 1777 schon auf dem Sprung nach München war, wo er die Nachfolge des im Sterben liegenden Maximilian III. antreten sollte, und in Paris war es für Nicht-Franzosen immer schwierig. Es blieb Mozart also nichts anderes übrig, als wieder in die Dienste des Salzburger Erzbischofs zu treten. 1779 wurde er immerhin Hoforganist und war nun nicht mehr eine einfacher Geiger. Im Spätsommer 1780 sollte sich alles zum Besseren wenden. Karl Theodor hatte seine ganze berühmte Hofkapelle aus Mannheim mitgenommen, die Cannabichs, die Danzis, den Flötisten Wendlich mit seinen beiden Töchtern, den Opernsängerinnen und auch den schon nicht mehr ganz jungen Tenor Anton Raaff. Sie alle legten wohl ein gutes Wort für Mozart ein und nun bekam er endlich den ersehnten Opernauftrag. Karl Theodor wusste schnell, was er für einen Stoff bearbeitet haben wollte, Idomeneo, und auch die Vorlage, nach der geabreitet werden sollte bestimmte er: Idoménée, ein Libretto von Antoine Danchet, das 1712 von André Campra vertont worden war.
Mit dieser Vorlage haben wir uns vor etwas mehr als einem Jahr befasst, der entsprechende Blog-Beitrag ist noch online. Einen wesentlichen Unterschied, den es zu beachten gäbe, bestimmte der Auftraggeber von vorneweg: Anders als in der übrlieferten Sage und dementsprechend auch in der französischen Oper, sollte die Geschichte nicht mit dem Tod des Sohnes enden; das Opfer sollte gerettet werden, der übermütige Herrscher seinen Thron verlieren. Man kann darin eine christliche Variante der antiken Sage sehen, schließlich wird Isaak auch gerettet – die namenlose Tochter Jephthas allerdings nicht, je nachdem, wie man es interpretiert, denn entweder wird sie wirklich getötet, nachdem sie ihre Jungfernschaft in der Wüste beweint hat, oder sie wird in ein Kloster gesteckt. Allen diesen Geshichten (zu Jephtha und Abraham in Isaak kommt noch Iphigenie) ist der Kampf der Menschen mit den Göttern gemeinsam, den sie nicht gewinnen können und den sie dennoch suchen. Meist ist es ein Gelübde, das in höchster Not abgelegt wird gegen die Errettung durch die Gottheit. Idomeneo kommt zurück aus dem Trojanischen Krieg und wird immer wieder aufgehalten. Zuletzt durch einen vom eifersüchtigen Meeresgott entfachten Sturm. Er schwört, das erste Lebewesen zu opfern, das ihm begegnet, wenn er den heimatlichen Strand erreicht. Zwangsläufig ist das eines, das ihm nicht gleichgültig sein kann. Konkret ist es sein Sohn. Das Drama baut sich um seine Ausflüchte auf, das Opfer nicht zu vollziehen. Er schickt seinen Sohn weg, doch der wird von einem Meerungeheuer zurückgeworfen. Endlich muss Idomeneo bekennen, dass er geschworen hat, seinen eigenen Sohn zu opfern. Bei Danchet wird das Opfer vollzogen, aber auch nicht ohne eine moderne Interpretation. Idomeneo verliert den Verstand und tötet seinen Sohn im Wahn. Die bayerische Variante nimmt einen Theatertrick zu Hilfe, den »deus ex machina«. Der schwebt zwar nicht von oben herein wie im antiken Drama, sondern singt unter der Bühne, begleitet von Posaunen, aber er löst den Knoten, indem er bestimmt, dass Idomeneo abdankt und sein Sohn Idamantes die Herrschaft übernimmt; an die Seite wird ihm die freigelassene Trojanerin Ilia gestellt.
Die ersten Opern wurden um 1600 in Italien geschrieben, von Florenz und Rom ging die Kunstform aus, erreichte bald Venedig auf der einen Seite und Neapel auf der anderen, wo sie spezifische Ausprägungen entwickelte; in Paris entstand um die Mitte des Jahrhunderts ein neues Zentrum der musikdramatischen Kunst; gegen Ende ein weiteres in Hamburg. Im 18. Jahrhundert konnte man zwischen italienischer und französischer Oper wählen, wobei die italienische bei weitem überwog. Etwa in London oder in Wien wurde fast ausschließich italienische Oper gespielt. Die Hamburger Ausprägung nutzte für sich von allem etwas. Und auch die Opern, die Unter Karl Theodor in Mannheim und später in München entstanden, nahmen bewusst Elemente aus der französischen und aus der italienischen Oper auf. Idomeneo ist ein besonderes »Gemisch«. Der Text ist in italienisch verfasst wie bei einer »opera seria«, also einer neapolitanischen Oper. Die umfangreichen Chöre allerdings passen überhaupt nicht in eine »opera seria«, die sind eher in einer französischen Oper zu finden oder in einem Oratorium. Die Dichtung der Arien ist ausnahmslos zweiteilig, so dass sie in der Form der Da-capo-Arie vertont werden könnte. Einige der Arien vertont Mozart tatsächlich in einer solchen Form, andere aber nicht. In der »opera seria« gibt es eine strikte Trennung zwischen Rezitativ und Arie. Im Rezitativ wird die Handlung und der Dialog vorangetrieben, in den Arien bleibt Handlung stehen und wir folgen den Gefühlen der handelnden Personen. Mozart bricht dieses Schema auf und baut immer wieder größere Abschnitte aus Rezitativen und Arien zusammen, oft ist man gar nicht sicher, wo das Rezitativ aufhört und wo die Arie beginnt. Mozart vollzieht damit einen großen Sprung in der Musikgeschichte; die Musik ist für unsere Ohren viel dramatischer als die seiner Vorgänger und schließt damit das Tor für die romantische Oper des 19. Jahrhunderts auf.
Am 5. Dezember 1780 reiste Mozart nach München ab, um dort die Einstudierung seiner Oper zu überwachen. Der Librettist blieb in Salzburg und alles was noch zu ändern war, trug Mozart briefich seinem Vater auf, damit dieser es wiederum mit de Autor verhandele. Dahr sind wir sehr genau über jeden einzenlnen Schritt in der Entstehungsgeschichte informiert, denn die Briefe der Mozarts haben sich erhalten. Und es gab einiges zu ändern. Die Oper war zu lang und musste gekürzt werden. Und es musste auch da und dort etwas an die Fähigkeiten der Sängern angepasst werden. Insgesamt aber konnte Mozart mit dem Erebnis, das an seinem 25. Geburtstag zur Uraufführung kam, zufrieden sein. Er hielt Idomeneo für eine seiner gelungensten Partituren und suchte später nach Geglegenheiten, sie wieder aufzuführen. Leider kam es aber nur zu einer Liebhaberaufführung 1786, für die er noch einige Änderungen vornahm, u. a. schrieb er die Parite des Idamante (die in der Münchner Fassung von einem Kastraten gesungen wurde) für Tenor um.
Nach der Premiere kehrte Mozart nicht nach Salzburg zurück. Sein Arbeitgeber beorderte ihn nach Wien, wo er um Entlassung bat und dann mit einem Fußtritt hnausgeworfen wurde. So ist Idomeneo in jeder hinsicht eine Zäsur im Leben von Mozart.
Im 19. Jahrhundert gab es nur wenige Aufführungen von Idomeneo. Aber alle Kenner waren sich einig, dass es sich um ein Meisterwerk handele. Im 20. Jahrhundert gab es zwei radikale Bearbeitungen der Oper, von zeitgenössischen Komponisten, die überzeugt waren, dass ma das Werk an den zeitgenösischen Geschmack anpassen müsse. Die eine war von Ermanno Wolf-Ferrari, die Andere von Richard Strauss. Die Aufnahme der Fassung von Wolf-Ferrari aus dem Jahr 1949 ist technisch nicht sehr ausgereift, die Strauss-Aufnahme (eine YouTube-Playlist) jedoch ist sehr anhörbar.
1980 inszenierte Jean-Pierre Ponnelle in Zürich eine Produktion für Nikolaus Harnoncourt. Seine Inszenierung zeigte er übrall auf der Welt, das längste Leben hatte sie wohl da der Metropolitan Opera, New York, wo James Levine noch eine Wiederaufnahme dirigierte.
Mehr davon morgen, Ihr Curt A. Roesler
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