Wie Idomeneo wurde auch Mozarts letzte Oper für die Wiener Burg, Così fan tutte ossia La scuola degli amanti im 19. Jahrhundert eher selten gespielt und musste im 20. »wiederentdeckt« werden. Und auch hier spielt Richard Strauss eine wichtige Rolle: Anlässlich einer Neueinstudierung an der Münchner Hofoper schrieb er 1910 ein flammendes Plädoyer für die Oper, die bis dahin unter den vernichtenden Urteilen von Ideologen wie Beethoven und Wagner zu leiden hatte. Für ihn gehörte sie zu der Trias der Werke von Mozart und da Ponte, die auf allen Bühnen der Welt ins Repertoire gehört. Daher dirigierte er Così fan tutte auch als zweite Oper (nach Don Giovanni am Abend davor und vor Le nozze di Figaro am Abend danach) am 15. August 1922 in Salzburg. Es dauerte dann allerdings bis 1928, bis die Oper wieder gespielt wurde (Don Giovanni und Le nozze di Figaro standen regelmäßig auf dem Spielplan, wenn denn überhaupt Oper gespielt wurde, in den ersten Jahren war das nicht selbstverständlich). Es dirigierte dann nicht mehr Strauss, sondern Bruno Walter, der 1945 die Ouvertüre mit der New York Philharmonic für die Schallplatte aufnahm.
Heute gehört Così fan tutte zu den meist gespielten Opern überhaupt. Wesentlichen Anteil daran hat natürlich auch, dass es so viele Schallplatten und DVDs (CDs, Streams) von dieser Oper gibt. Die älteste Tonaufnahme aus dem Studio stammt aus London 1935, dorthin zogen Fritz Busch und sein gesamtes Ensemble, das im Vorjahr damit und mit Le nozze di Figaro die Festspiele in Glyndebourne begründet hatten, und nahmen beide Opern auf. Im Falle von Così fan tutte sogar komplett (oder fast) mitsamt den Rezitativen, die – entsprechend der damals üblichen Praxis – vom Klavier begleitet (und nicht vom Cembalo, wie man es später gemacht hat). Entgegen der heute üblichen Verteilung wird die Partie der Dorabella hier von einer Sopranistin mit einer helleren und höheren Stimme gesungen als die Partie der Fiordiligi. Es gibt aber – außer »wir haben es immer so gemacht« – keinen Grund, Fiordiligi von einer Sopranistin und Dorabella von einer Mezzosopranistin singen zu lassen. Beides sind Sopranpartien, beide haben einen großen Stimmumfang und viele Koloraturen zu bewältigen, Fiordiligi singt sogar nicht nur höhere Töne als Dorabella, sondern auch tiefere. Richtig ist aber auch: wenn sie zusammen singen, singt Fiordiligi meist die obere Stimme. Wie auch immer, hier haben wir Ina Souez (1903–1992) als Fiordiligi und Luise Helletsgruber (1901–1967) als Dorabella. Die beiden Liebhaber sind Heddle Nash und Willi Domgraf-Fassbaender. Irene Eisinger singt die Despina, John Brownlee, der in der zweiten Spielzeit die Partie des Don Alfonso von Vincenzo Bettoni übernommen hatte, singt sie auch auf der Schallplatte. Das Besondere an dieser Aiufnahme ist die Lebendigkeit, die einen sofort in den Wirbel der Geschichte hineinzieht.
Fast 20 Jahre dauerte es, bis wieder in einem Londoner Studio eine Gesamtaufnahme entstand. Es ist die einige Zeit als Referenz gehandelte, 1954 von Walter Legge für EMI produzierte Aufnahme mit seiner Ehefrau Elisabeth Schwarzkopf als Fiordiligi, dirigiert von Herbert von Karajan. Hier werden die Rezitative von einem Cembalo begleitet. Ebenso in der Rundfunkübertragung von 1949 aus Genf, dirigiert von Karl Böhm. Sie ist eine der wenigen Aufnahmen des Schweizer Tenors und Gesangspädagogen Libero de Luca (1913–1997), der hier den Ferrando singt. Böhm wurde 1955 von DECCA ins Studio gebeten. In Wien entstand das Konkurrenzprodukt im »Wiener Mozart-Stil« mit Lisa della Casa und Christa Ludwig. 1962 war es an der Zeit, die Oper auch in stereo aufzunehmen. EMI bat nun Karl Böhm nach London. Immer noch war Elisabeth Schwarzkopf Fiordiligi, aber Walter Legge hatte einen jungen Tenor entdeckt: Alfredo Kraus, vor allem wegen ihm lohnt sich diese Aufnahme. (»Un aura amorosa« bei 1:01:58; »Tradito, schernito« bei 2:06:20.)
Seither reißt die Flut der Gesamtaufnahmen nicht mehr ab. Jeder findet etwas nach seinem Geschmack. 1969 brachte das ZDF eine spektakuläre Fernsehinszenierung. Ich kann mich noch gut erinnern, ins Nachbardorf geradelt zu sein, wo es bei einem Klassenkameraden zu Hause einen Fernseher gab. Der Dirigent war wieder einmal der Mozart-Spezialist Karl Böhm. Die Regie stammte von Václav Kašlík. Produziert wurde damals in zwei getrennten Schritten. Zuerst wurde der Ton im Schallplattenstudio aufgenommen, danach das Bild im Filmstudio oder im Freien. Anders als bei zahlreichen Produktionen Petr Weigls für das tschechische Fernsehen, setzte Kašlík hier aber nicht (stumme, oder auch von Fall zu Fall die Lippen bewegende) Schauspieler ein, sondern die gleichen Sänger, die auch die Tonaufnahme bestritten hatten. Selbstverständlich wurde darauf geachtet, dass sie die Lippen synchron bewegen, auch wenn sie bei der Bildaufnahme natürilch nicht mit voller Stimme singen. Bisweilen ist das durchaus zu bemerken, so etwa in der Arie »Smania implacabili« bei 34:16. So könnte man sich nicht auf das Bett schmeißen, wennman gleichzeitig singen müsste. Die von UNITEL für das ZDF produzierte Oper war aber beileibe nicht die erste im Fernsehen. Wer genau nachzählt, kommt auf 15 ältere Fernsehproduktionen seit 1951 in Glyndebourne. Auch das ZDF war schon einmal dabei, allerdings noch nicht in Farbe. Das Angebot an Video-Aufnahmen bei YouTube ist nahezu unüberschaubar. Eine von den 15 früheren ist auch dabei, die aus Aix 1965. Und jetzt vielleicht noch zwei Empfehlungen: eine Aufnahme aus der Komischen Oper Berlin in deutscher Sprache. Regie führte 1990 Harry Kupfer. Und ziemlich aktuell: Joanna Mallwitz dirigiert in Salzburg 2020, Regie Christof Loy. Da kann man nichts falsch machen.
Worum geht es in Così fan tutte, und warum ist der Stoff so umstritten? Wie passt er in seine Zeit (1790) und wie passt er heute? Was haten Beethoven und andere daran auszusetzen, und was für Legenden haben sich darum gebildet? Anders als bei Le nozze di Figaro und Don Giovanni gibt es nicht ein Schauspiel oder eine Oper als Vorlage. Die Tugendprobe ist zwar ein Motiv, das sich durch die gesamte Literaturgeschichte zieht, aber so geformt hatte es vorher noch niemand. Und es wäre auch eben zehn Jahre vorher noch nicht aktuell gewesen. Erst der Reformkaiser Leoold II. hatte gegen den Widerstand der Kirche über die rechtliche Möglichkeit der Scheidung nachgedacht (nicht für sich, sondern für seine Untertanen). Und dass die bürgerliche Moral, die sich mit der Restauration verbreitete, genauso verklemmt sein würde, wie die alte, konnte da noch niemand ahnen. Also eben zu Beethovens Zeit war es schon wieder viel zu frivol, Treue und ihre Unmöglichkeit zum Thema zu machen. Baron Nissen, der zweite Ehemann Constanze Lange-Mozarts und Lordsiegelbewahrer Mozarts erfand die Legende, dass die Autoren vom Kaiser höchstpersönlich gezwungen wurden diese frivole Geschichte, die sich angeblich in Wien zugetragen haben soll auf die Bühne zu bringen. Das ist leider sehr unwahrscheinlich, auch wenn die renommierte Historikerin Brigitte Hamann (Nichts als Musik im Kopf, 1990) es nicht weiter hinterfragt. Mozart hat ein Honorar bekommen für Così fan tutte, ein Auftrag war er insofern schon, doch dass der todkranke Kaiser sich persönlich darum gekümmert haben und auch noch ein Sujet vorgeschlagen haben soll, leuchtet nicht unbedingt ein. Insbesondere, da man heute weiß, dass Da Ponte das Libretto schon früher verfasst hatte – ausgerechnet für Antonio Salieri, der die Komposition jedoch nach wenigen Takten abbrach. Wahrscheinlich ist also, dass Mozart und Da Ponte dem Hof die Oper angeboten und der sie akzeptiert hat.
Heute sind wir (in der westlichen säkularen Welt) weit davon entfernt, die Ehe und das Eheversprechen für etwas Unverbrüchliches und in Ewigkeit Geltendes zu halten. Das war vor 230 Jahren noch anders. Allerdings gab es damals auch andere Konzepte als die aus bürgerlichen Vorstellungen hervorgegangene Liebesheirat. Also heiraten musste man nicht unbedingt auch den, den man liebt. Und wenn man die Auswege kannte, konnte man auch außerhalb der Ehe Liebe finden. Das sollten wir mit bedenken, wenn wir uns über die »Wahrscheinlichkeit« der Handlung Gedanken machen. Dies ist die Handlung: Don Alfonso, ein »alter Philosoph« mokiert sich am Fuße des Vesuv über die Verliebtheit zweier junger Offiziere und ihrer Verlobten, zweier Schwestern aus Ferrara. Er wettet, dass die beiden binnen kürzester Zeit der Untreue überführt werden könnten, wenn man es nur richtig anstellt. Die beiden gehen die Wette ein und müssen nun unter der Regie Don Alfonsos eine Maskerade aufführen. Sie sollen einen Kriegseinsatz vorspielen, mit Pomp abreisen und dann heimlich in anderer Gestalt wiederkehren, um die Treue ihrer Verlobten aus die Probe zu stellen. Als Regiegehilfen kauft sich Don Alfonso die Kammerzofe der beiden Ferrareserinnen. Sie wird weitere Rollen spielen, die für die Maskerade wichtig sind, Einen Arzt, einen Notar. Es ist, wohlgemerkt, nicht die Rede davon, dass jeder der beiden, die Braut des anderen auf die Probe stellt. Das passiert erst am Anfang des zweiten Aktes, wenn Dorabella anfängt über einen Flirt nachzudenken und dabei den Verlobten Fiordiligis ins Visier nimmt, weil der »lustiger« ist. Zuerst allerdings sind die beiden Schwestern standhaft und nicht einmal der fingierte Selbstmord und die wunderbare Errettung durch den »Arzt« ändert etwas daran. Doch Emotionen sind geweckt und nachdem Dorabella einen Spalt der Neugierde geöffnet hat und sich das Medaillonaustauschen lässt, nimmt die Verführung ihren Lauf. Beinahe gehen die Freunde aufeinander los, Don Alfonso kann es gerade noch verhindern mit einer Erklärung »So machen es alle« und der Aufforderung diese Gegebenheit der Natur nicht zu verurteilen. Noch fehlt allerdings der Höhepunkt: die beiden sollen jetzt die »Falschen« heiraten. Der »Notar« bringt die Dokumente. Jetzt aber endet die Maskerade. Die Offiziere kehren viel zu früh zurück und sehen die verräterischen Dokumente. Don Alfonso hat die Wette gewonnen, aber jetzt wird wirklich geheiratet. Und zwar die ursprünglich vorgesehenen Paare. Oder wie entscheidet der Regisseur? Nach der Logik der romantischen Liebesheirat sind es ja die Falschen, denn musikalisch sind ja Dorabella und Guilelmo einander nähergekommen und Fiordiligi und Ferrando. Nach der Logik der Vernunft und der »Schule der Liebenden« jedoch kann es durchaus richtig sein, dass die alten Paare heiraten, die an diesen emotionalen Erfahrungen gereift sind.
Darüber reden wir am Mittwoch
Ihr Curt A. Roesler
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