Für die großbürgerliche Gesellschaft war die Abdankung und Absetzung der deutschen und österreichischen Kaiser und Könige Ende 1918 ein Schock, der für ndie meisten den Schock des verlorenen Krieges noch überstieg. Mit der neuen »klassenlosen« (so klassenlos war sie ja gar nicht) Gesellschaft fremdelten viele Künstler und Industrielle genauso wie die Adligen, die manche Privilegien dadurch verloren hatten. Der erzbürgerliche, aber zu Reichtum und hohen Ehren (z. B. einem Ehrendoktor) gekommene Komponist Richard Strauss trauerte genauso wie der Adlige Hugo von Hofmannsthal den alten Zeiten nach. Hofmannsthal hatte 1925 einen Dramenentwurf Der Fiaker als Graf verfasst, der auf der Grundlage einer Molière-Komödie das alte Wien wiederauferstehen ließ. Und zwar nicht das Wien Maria Theresias, das er so meisterlich im Rosenkavalier beschworen hatte, sondern das Wien vom Ende des 19. Jahrhunderts, das er selbst miterlebt hatte, und dessen negative Seiten er bereits vergessen zu haben schien. Etwa den Börsenkrach von 1873, dem der größte Teil seines Familienbesitzes zum Opfer gefallen war.
Richard Strauss ist zweifellos der erfolgreichste deutsche Komponist seiner Generation, doch der Erfolg des Rosenkavalier überstieg alles davor und danach. Kein Wunder, dass er nach Ariadne auf Naxos und Die Frau ohne Schatten, für die ihm Hofmannsthal die Texte geliefert hatte, »am liebsten einen zweiten Rosenkavalier« komponieren wollte. Nachdem Strauss für Intermezzo den Text selbst geschrieben hatte, weil sich Hofmannsthal für den Stoff nicht erwärmen konnte, waren sie gerade mit Die ägyptische Helena beschäftigt, als Hofmannsthal sich an einen Text erinnerte, den er schon 1910 geschrieben hatte, Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie. Kombiniert mit den Entwürfen zum Fiaker als Graf schuf er Ende 1927 erste Entwürfe zu diesem »zweiten Rosenkavalier«, der natürlich keine Kopie, auch keine Serienfortsetzung sein sollte, sondern etwas Neues, Eigenes. Und das ist es auch wirklich geworden, die beiden vordergründigen Parallelen sind der Schauplatz Wien und der Walzer. Aber schon hier zeigt sich der Unterschied: 1860 wurde – anders als »in den ersten Regierungsjahren Maria Theresias« (das ist die Zeitangabe für den Rosenkavalier) – in Wien wirklich Walzer getanzt.
In der Strauss-Literatur heiß dikutiert wird die Frage der Nähe von Arabella zur Operette. Strauss selbst hätte den Verdacht, dass er etwa aus Versehen eine Operette komponiert habe, natürlich entrüstet zurückgewiesen, doch gibt es durchaus Ähnlichkeiten sowohl in der Handlung als auch in der Musik, die freilich auch die raffiniertesten Operettenkomponisten der 20er und 30er Jahre mit ihrer Vielschichtigkeit übertrifft.
Molières Einakter Les précieuses ridicules (Die lächerlichen Preziösen, deutsch von Ludwig Fulda unter dem Titel Die Zierpuppen hier im Projekt Gutenberg) war konzipiert als Nachspiel für eine Tragödie; vor der Uraufführung am 18. November 1659 wurde Cinna von Pierre Corneille gespielt, ein Stück, das seit 20 Jahren im Hôtel du Petit-Bourbon gesielt wurde. Die Komödie bedeutete den Durchbruch für Molières Truppe – und brachte die Neider auf den Plan. Im nächsten Jahr wurde das Theater abgerissen und sie standen ohne eine Spielstätte da. Lächerlich gemacht werden zwei »Provinzgänse« die von ihrem Vater bzw. Onkel nach Paris gebracht worden waren, um verheiratet zu werden. Ihre romanhaften Vorstellungen (sie hatten Madame de Scudéry gelesen) waren nicht in Übereinstimmung mit dem Vorgehen der Freier zu bringen. Sie wiesen diese zurück, woraufhin sie aus Rache durch eine Verkleidungskomödie lächerlich gemacht wurden. Am Ende macht sich auch der tobende Alte zum Gespött. Die Literturwissenschaft ist sich uneins darüber, ob Molière nur die Auswüchse der Preziosität oder das gesamte Gehabe aufs Korn nehmen wollte. Die Preziosität ist die Ausdrucksform der neuen Gesellschaftsschicht, die sich im Absolutismus aus Adligen (»la cour«) und Großbürgern (»la ville«) bildete. Sie will sich durch Anstand und Bildung von den verrohten Sitten des Frankreichs der Hugenottenkriege absetzen und gerät leicht in ein affektiertes Gebaren, das von Molière und anderen kritisiert wird.
In den lächerlichen Preziösen verkleiden die abgewiesenen Liebhaber ihre Diener als falsche Grafen, die das affektierte Gebaren perfekt beherrschen und so die beiden Landeier aufs Glatteis führen. Das führt alles natürlich zu keiner Heirat und in Arabella spielt das auch alles gar keine Rolle mehr, bzw. es ist durch die zahlreichen Umarbeitungen, die Strauss und Hofmannsthal bis zur engültigen Form vorgenommen haben, komplett umgedreht worden. Zdenka und Arabella sind die Haupstädterinnen, während Mandryka aus der Provinz kommt. Die Verkleidete ist Zdenka, während die Werber Arabellas ganz offen agieren. Auch der »Fiaker als Graf« kommt in Arabella letztlich gar nicht mehr vor. Die Hauptfigur aus Lucidor ist das als Junge verkleidete Mädchen, Zdenka. Damit aus der Schwester, die als Erste verheiratet werden soll, Arabella, die Hauptfigur der Oper werden konnte, musste aus ihr von einem flatterhaften Mädchen, das nicht so recht weiß, was es will, eine ernsthafte junge Frau werden, die singen kann: »Aber der Richtige, wenn's einen gibt auf dieser Welt.«
Walzer von seinem Namensvetter Johann Strauß hat Richard Strauss nicht zitiert in Arabella, obwohl sich das angeboten hätte, dafür aht er aber mehrere kroatische Volksweisen in seiner Partitur untrgebracht. Er fand die Melodien in einer Sammlung des Pianisten und Komponisten Franjo Kuhač. Dieser war wie später etwa Béla Bartók in Ungarn von Dorf zu Dorf gezogen und hatte sich Volkslieder vorsingen lassen und diese 1878 in Zagreb drucken lassen. Selbst die bekannteste Melodie aus der Oper, Arabellas »Aber der Richtige« im Duett mit Zdenka im 1. Akt, ist keine eigene Erfindung von Strauss, sondern ist von dieser Sammlung inspiriert. Auch das »Und du wirst mein Gebieter sein« in ihrem Duett mit Mandryka im zweiten Akt stammt aus dieser Sammlung, sowie noch mindestens zwei weitere einfache Melodien, die eine besondere Wirkung erzielen, eine, die in der Tat nicht fern von Operette ist.
Arabella erzählt in nostalgischem Ton die Geschichte des schon im Kaiserreich sich verarmten fühlenden Grafen Waldner, wobei nicht ganz klar ist, ob die Spielsucht ders Rittmeisters a. D. dafür verantwortlich ist, oder ob es andere Gründe gibt. Jedenfalls glauben die Waldners, dass sie es sich nicht leisten können, zwei Töchter standesgemäß mit einer Mitgift auszustatten. Deswegen lassen sie die jüngere, Zdenka, als Junge aufwachsen, und konzentrieren ihre Bemühungen eine Tochter so vorteilhaft zu verheiraten, dass sie alle Geldsorgen loswerden, auf die ältere Arabella. Verehrer hat sie genug, doch nicht nur scheint sie wenig Lust aufs Heiraten zu haben, die Verehrer, die Grafen Elemer, Dominik und Lamoral sind auch nicht so reich, dass sie wirklich die Lösung wären; der vierte Verehrer, der Jägeroffizier Matteo, ist vermutlich der einzige, der es wirklich ernst meint, aber er hat erst recht keine Chance, weder bei Arabella, noch bei ihren Eltern. Der Graf hatte nun die Idee, allen seinen früheren Regimentskameraden ein Bild von Arabella zu schicken, in der Hoffnung, einer von ihnen könnte sein Schwiegersohn werden. Aber keiner hat auf seine Briefe reagiert, auch nicht der Provinzadlige Mandryka, der über reiche Ländereien verfügt. Eine Heirat pophezeit aber die Kartenaufschlägerin, die zu Anfang der Oper bei der Gräfin Adelaide im Salon eines Stadthotels weilt. Es sei ein reicher Offizier, der durch einen Brief herbeigerufen worden sei. Adelaide glaubt, es müsse sich um den Grafen Elemer handeln, Zdenka aber, die den »Bruder« Arabellas, Zdenko, spielt, ist sich sicher, dass es nur Matteo sein kann, in den sie selbst verliebt ist. Dass es Verwicklungen geben könnte, verursacht durch eine zweite Tochter, die der Heirat entgegenstünde, will niemand hören, die Wahrsagerin wird ins Nebenzimmer komplimentiert, wo sie erneut die Karten befragen soll. Zdenka macht sich Sorgen, dass die Familie aus Geldnot vielleicht Wien verlassen muss, dann würde sie Matteo nie wieder sehen, wenn es mit der Hochzeit nicht klappt. Deswegen tut sie alles dafür, dass der bei der Stange bleibt, besonders schreibt sie Briefe im Namen Arabellas. Matteo merkt indessen schon, dass etwas nicht stimmt, denn in persönlichen Begegnungen ist Arabella immer sehr kühl ihm gegenüber. Zdenka/Zdenko beruhigt ihn einstweilen mit der Ankündigung eines neuen Briefes. Ihm blebt nichts, als seine Blumen dazulassen, denn Arabella ist noch auf einem Stadtgang. Als sie zurückkommt, macht ihr Zdenka Vorhaltungen, wirft ihr Flatterhaftigkeit und Gefühlskälte vor. Aber Arabella weiß, dass Matteo nicht »der Richtige« ist. Den »Richtigen« würde sie nämlich sofort erkennen. Graf Elemer holt sie ab zum Fiakerball, das ist der traditionelle Abschluss des Faschings. Arabella hat am morgen einen geheimnisvollen Fremden vor dem Fenster beobachtet, und nun sieht sie ihn wieder. Der Graf kommt zurück, die Gräfin schickt die Töchter weg, damit sie sich mit ihm bereden kann; er hat wieder alles verloren im Spiel. Aber jetzt meldet sich Mandryka, allerdings nicht der Regimentkamerad Waldners, sondern dessen Neffe, der den Brief an den Verstorbenen geöffnet hat, und sich tatsächlich sofort in das Bild verliebt hat. Er bittet Waldner förmlich um die Hand seiner Tochter, der sagt zu und will die Verlobung auf dem Fiakerball verkünden. Jetzt kann der Schlitten Elemers alle zum Ball bringen.
Mandryka war der geheimnisvolle Fremde vor dem Fenster. Die erste Begegnung mit Arabella am Rande des Balls ist zögerlich, aber beide kommen sich schnell näher. Mandryka ist »der Richtige«. Er erzählt von einem Brauch in seiner Heimat, nach dem die Braut für den Bräutigam aus dem Brunnen hinter dem väterlichen Haus ein Glas Wasser schöpft. Arabella gibt Mandryka ein Eheversprechen und bittet um eine letzte Stunde allein, um von ihrer Mädchenzeit Abschied nehmen zu können. Der Fiakerball ist – auch musikalisch – der richtige Ort dafür. Arabella wird Ballkönigin, besungen von der Fiakermilli, einer Jodlerin. Sie nimmt nacheinander Abschied von ihren Verehrern. Für die Grafen Dominik, Elemer und Lamoral ist das nicht weiter trgisch, aber für Matteo bricht eine Welt zusammen, doch nun erhält er den angekündigten Brief (von Zdenka geschrieben) und den Schlüssel zu Arabellas Zimmer mit einer Einladung für die Nacht. Leider bekommt das Mandryka mit. Er gerät außer Fassung, und führt mit frivolen Reden ein Bacchanal an. Waldner muss die Ehre seiner Tochter und seiner Familie verteidigen und fordert Mandrka auf, ihn nach Hause zu begleiten, wo alles aufgeklärt werden soll.
Auf der Treppe im Hotel begegnen sich Arabella, die gerade vom Fiakerball zurückkommt, und Matteo, der aus Arabellas Zimmer kommt. Die Unterhaltung ist grotesk, denn er glaubt, gerade in ihren Armen gelegen zu haben, und sie bezieht alle seine Bemerkungen auf den Fiakerball. Waldners und Mandryka kommen nun auch und für Mandryka scheint alles klar zu sein: Arabella hat ihn betrogen. Waldner fordert ihn zum Pistolenduell, und er will sich mit Matteo duellieren. Da kommt Zdenka, nun endlich als Frau gekleidet die Treppe herunter und bekennt, dass sie mit Matteo die Zeit im Zimmer Arabellas verbracht hat. Beschämt will sich Mandryka zurückziehen, doch Arabella hält ihn zurück. Er bittet bei Graf Waldner für Matteo um Zdenkas Hand, der stimmt sofort zu, umso schneller kann wieder zum Kartenspiel zurückkehren. Arabella besorgt sich ein Glas Wasser und bringt es Mandryka. Erneut schwören sich beide ewige Treue. Ob es mit Zdenka und Matteo auch etwas wird, bleibt allerdings ungewiss – sie haben nichts mehr zu singen.
Richard Strauss widmete die Partitur Alfred Reucker, dem Generalintendanten der sächsischen Staatsoper und Fritz Busch, deren Generalmusikdirektor, der auch die Uraufführung dirigieren sollte. Am 7. und 8. März 1933 wurden beide aus ihren Ämtern entlassen. Fritz Busch, dem Göring noch die Leitung der Städtischen Oper Berin angeboten hatte, die er aber ablehnte, emigrierte nach England und gründete dort die Festspiele in Glyndebourne. Reucker blieb zwar in Dresden, betrat aber bis nach dem Krieg kein Theater mehr. Außer dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal, der 1929 verstorben war, fehlten also bei der Premiere zwei weitere Persönlichkeiten, die den Komponisten in der Arbeit begleitet hatten. Da Hugo von Hofmannsthal jüdische Vorfahren hatte, musste sogar darum gerungen werden, dass sein Name genannt wird. Regie führte Josef Gielen, der Vater von Michael Gielen, verheiratet mit einer Jüdin und daher auch unter ständiger Gefahr; 1937 emigrierte er nach Wien, 1939 nach Südamerika. Aus Wien kam 1933 der Dirigent der die Uraufführung von Fritz Busch übernahm, Clemens Crauss, und er brachte seine Ehefrau Viorica Ursuleac für die Titelpartie und Alfred Jerger für den Mandryka mit.
Wer Arabella in der klassischen Inszenierung von Otto Schenk (1977), dirigiert von Georg Solti mit Gundula Janowitz und Bernd Weikl sehen will, kann dies bei YouTube hier.
An der Städtischen Oper Berlin kam Arabella zum ersten Mal 1953 auf den Spielplan. An der Deutschen Oper Berlin gab es 1975 (mit Gundula Janowitz), 1990 und 2006 weitere Neuinszenierungen. An der Staatsoper Unter den Linden gab es die erste Inszenierung schon bald nach der Uraufführung 1933 und danach in großen Abständen ebenfalls Neuinszenierungen. Insgesamt ist Arabella zwar eine der bekanntesten Opern von Richard Strauss, aber sehr viele Aufführungen gibt es nicht. Man kann also gespannt sein auf die Neuinszenierung von Tobias Kratzer am 18. März.
Mehr am Mittwoch, Ihr Curt A. Roesler
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