Montag, 16. Januar 2023

Daphne

Als kurz nach dem Abschluss der Arbeit am Text der Oper Arabella Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1929 plötzlich verstarb, blieb Richard Strauss ohne den Librettisten zurück, der ihm seit zwei Jahrzehnten zur Seite gestanden hatte. Zwei Jahre später fand er zwar in Stefan Zweig einen Nachfolger, mit dem er neue Projekte in Angriff nahm. Doch schon Die schweigsame Frau, ihre erste und einzige vollständige Zusammenarbeit stand unter ungünstigen Vorzeichen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste Strauss wie ale anderen Stellung beziehen. Er entschied sich für Kooperation und nahm das Amt des Präsidenten der Reichsmusikkammer an im naiven Glauben, Positives – vor allem natürlich für sich selbst und die Aufführung seiner Werke – bewirken zu können. Zwei Jahre später wurde er daraus wieder entfernt, nachdem Briefe abgefangen worden waren, in denen er sich negativ über die Regierung äußerte. Letztlich wurde die Uraufführung der Schweigsamen Frau 1935 in Dresden ermöglicht und Strauss konnte sogar durchsetzen, dass auch der Name des Librettisten auf dem Programm genannt wird, aber die Oper wurde bald abgesetzt und Stefan Zweig war bereits nach London emigriert. Strauss und Zweig war klar, dass die Projekte, die sie sich noch vorgenommen hatten, nun in Deutschland nicht mehr realisiert werden konnten. Von Zweig selbst kam die Idee, den Theater- und Kulturwissenschaftler Joseph Gregor als Ersatzlibrettisten einzusetzen. Der arbeitete die Texte für Friedenstag und Die Liebe der Danae aus, außerdem wirkte er bei Capriccio mit, wo als Textdichter auch Strauss selbst und die Dirigienten Clemens Krauss und Hans Swarowsky genannt werden, und dessen Entstehung von Ferne auch von Stefan Zweig begleitet wurde.

Daphne ist in der griechischen Mythologie eine Nymphe, ein weiblicher Naturgeist. Das Wort bedeutet eigentlich nur »heiratsfähiges Mädchen«, aber männliche Fantasie kann da Vieles hineininterpretieren. Im 3. Jh. vor Christus taucht der Mythos zuerst auf, der in drei verschiedenen lokalen Ausprägungen überliefert ist. Die einfachste Variante kommt aus Arkadien, der idyllischen Landschaft im Zentrum des Peloponnes, der für die städtischen Dichter und Philosophen der Antike einen Sehnsuchtsort darstellte. Apollon liebt Daphne, wird aber nicht erhört, sie wendet sich an ihre Mutter Gaea (die Göttin der Erde), die sie verspeist und als Lorbeerbaum wieder sprießen lässt. In der lakonischen Variante (Lakonien liegt im Süden des Peloponnes) gibt es einen Nebenbuhler, Leukippos, den Apollon beseitigen lässt, Zeus verwandelt hier Daphne in einen Lorbeerbaum. Das ist die Fassung, die Plutarch überlieferte. Die weiteste Verbreitung hat jedoch die Fassung von Ovid in seinen Metamorphosen gefunnden. Diese spielt in Thessalien und dort ist Daphne eine Jägerin, Tochter des Flussgottes Peneios und – als Jüngerin Dianas – von Männern angewidert. Hier ist es Peneios, dem die Metamorphose gelingt und Apollon bleibt nichts anderes übrig, als den Lorbeer zu seinem heiligen Baum zu machen. Darauf kann man es auch zurückführen, dass berühmte Dichter mit Lorbeer bekränzt werden. Bei Ovid spielt aber auch Amor eine Rolle. Apollon hat dort den Drachen Python besiegt und brüstet sich gegenüber Cupido mit seiner Waffe, der daraufhin einen Pfeil auf ihn abschießt. Daher die Liebe zu der schönen Nymphe Diana.

In der Variante von Ovid finden wir die Geschichte in einer der ältesten Opern, die wir überhaupt kennen, Dafne mit einem Libretto von Ottavio Rinuccini, geschrieben 1598 für Jacopo Peri und Jacopo Corsi. Deren Musik muss als verloren gelten, aber eine zweite Vertonung, die wie Monteverdis Orfeo in Mantua in Auftrag gegeben wurde, ist erhalten. Die Musik ist von Marco da Gagliano, eine Aufführung können Sie hier hören. Auch die verschollene einzige Oper von Heinrich Schütz basierte auf diesem Libretto in einer Übersetzung von Martin Opitz, die später auch Giovanni Bontempi für eine Schauspielaufführung in Dresden benutzte. 1640 brachte Francesco Cavalli einer der frühen Meister der Oper neben Monteverdi, in Venedig Gli amori di Apollo e di Dafne heraus, die sie hier hören können (Playlist). Händel komponierte, als er aus Italien nach Deutschland zurückkam, eine Kantate für Bass und Sopran Apollo e Dafne. Vermutlich wurde sie 1710 am Hof des Kurfürsten in Hannover aufgeführt.

Auch Hans Sachs verfassste eine Daphne, eines Königs Tochter und während des geanzen Mittelalters war der Stoff in der Literatur präsent. Es gab Interpretationen, die die Geschichte mit christlichen Motiven verband, besonders die »keusche Jungfrau« interessierte die Kirchenvertreter, die aus ihr eine Maria machten und den verwundetetn Apollo zu einem Christus. Einiges davon wird Joseph Gregor zumindest nach dem Titel gekannt haben, als er Richard Strauss den Vorschlag zu diesem Stoff machte. Strauss lehnte zuerst ab und erst als sich Gregor Rückendeckung von Stefan Zweig holte, willigte Strauss ein. Doch zuerst  vollendeten Strauss und Gregor das bereits mit Zweig begonnene Projekt 1648. Der endgültige Titel dafür war Friedenstag, die Uraufführung am 24. Juni 1938 war ein großer Erfolg. Daphne war von vornherein als Pendant zum Friedenstag geplant und zur Uraufführung am 15. Oktober des gleichen Jahres in Dresden erklang auch Friedenstag. Die Uraufführung dirigierte Karl Böhm, die Titelpartie sang Margarethe Teschemacher. Beide nahmen den Schluss der Oper noch im gleichen Jahr im Studio auf, hier ist der Schlussgesang zu hören.

Zu Apollo und Daphne kommen in der Fassung von Strauss noch Vater und Mutter Daphnes, Peneios und Gaea sowie ihr Jugendgespiele Leukippos. Dazu kommen als Individuen aus der Dorfgemeinschaft vier Schäfer und zwei Mägde. Den von Gregor ursprünglich noch hinzugezogenen Zeus lehnte Strauss ab. Der sollte die Verwandlung Daphnes in den Lorbeer anstoßen, die nun rein musikalisch vollzogen wird. Leukippos, der Jugendgespiele Daphnes, begehrt sie, sie jedoch ist nicht bereit. Ein Rinderhirt (der verkleidete Apollo, Bruder des Peneios, der einst auch ein Gott war) dringt in die Dorfgemeinschaft ein. Daphne soll ihn bewirten, was sie auch tut. Seltsamerweise kennt der Fremde ihr Abendlied und überhaupt kommt er ihr irgendwie vertraut vor, doch als er sie umarmt und küsst, flieht sie zu ihrer Mutter. Auf dem Fest erscheint Leukippos auf den Rat der Mägde hin in Frauenkleidern. Apollo entlarvt ihn und will Daphne zwingen, sich zwischen ihm und Leukippos zu entscheiden. Als sich Apollo als Sonnengott zu erkennen gibt, wird er von Leukippos verflucht. Apollo tötet den Nebenbuhler. Daphne fühlt sich dreifach schuldig: 1. hat sie Leukippos nicht erhört, 2. hat sie Apollo nicht angefleht, in seinen Götterhimmel zurückzukehren, 3. hat sie Leukippos nicht gerettet indem sie sich Apollo hingegeben, also sich selbst geopfert hat. Apollo erkennt nun, dass auch er schuldig ist, weil er Daphne »als Mensch« begehrte und Leukippos tötete. Daphne verlor dadurch ihre Reinheit. Damit sie aber ihrem Wunschgemäß Teil der Natur werde, bittet er Zeus, sie in einen Lorbeerbaum zu verwandeln.

Während Friedenstag nach dem 2. Weltkrieg und außerhalb des deutschen Sprachraums kaum aufgeführt wurde, kam Daphne schon 1948 wieder in Buenos Aires heraus. Erich Kleiber dirigierte eine international viel beachtete Aufführung, die vom Rundfunk mitgeschnitten und um die Welt getragen wurde, hier ist der Mitschnitt zu hören in einer der Zeit entsprechenden Qualität. Eine Fernsehaufführung aus den 60er Jahren mit Stefania Woytowicz, Fritz Wunderlich und James King fnden Sie hier.

Mehr am Mittwoch,

Ihr Curt A. Roesler



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