Montag, 22. September 2025

Robert Schumann auf der Opernbühne

Die Oper Genoveva wurde im gleichen Jahr uraufgeführt wie Lohengrin, 1850. Seit 1840 hatte Schummann nach einem Stoff gesucht, in Frage stand auch – ganz unabhängig von Wagner – die Nibelungensage. Ein Libretto, Die Nibelungen. Text zu einer großen heroischen Oper, stand einigen Komponisten seit Mitte der 1840er Jahre zur Verfügung. Verfasst hatte ihn Louise Otto(-Peters), die nachmalige Initiatorin der Frauenbewegung in Deutschland. Da außer Niels Wilhelm Gade (nach Felix Mendelssohns Tod alleiniger Leiter der Leipziger Gewandhauskonzerte) niemand Anstalten machte, das Libretto zu vertonen, ließ sie es 1852 drucken. Darauf reagierte Schumann und strebte ein Treffen mit ihr im Herbst 1853 an. Dazu kam es wegen der gesundheitlichen Probleme, die ihm schließlich auch jedes Komponieren verunmöglichten, nicht mehr. Es blieb bei der einzigen Oper Genoveva.

Zurück aber zu den Anfängen Schumanns als Opernkomponist. Christoph Columbus, Till Eulenspiegel, Faust, Romeo und Julia gehörten zu den Sujets und praktisch alles, was Wagner später ausgeführt hat. Für Tristan und Isolde gab es sogar ein Libretto von Robert Reinick. Um 1844 fing er mit der Komposition von Lord Byrons The Corsair an, kam aber nicht über den Einleitungschor hinaus. 1847 endlich hatte er sich für Genoveva von Friedrich Hebbel entschieden. Genoveva war 1843 im Druck erschienen, aber noch nicht aufgeführt worden, Schumann bat Hebbel selbst um die Gestaltung eines Librettos, was dieser aber ablehnte. Daher übernahm sein Freund Robert Reinick auch hier die Ausgestaltung. Vor Hebbel hatten schon andere die Legende von Genoveva auf die Bühne gebracht: 1800 Ludwig Tieck (1773–1853); 1811 Friedrich Müller (1749–1825), genannt »Maler Müller«; 1835 Ernst Raupach (1784–1852). Auf Tieck beziehen sich Schumann und Reinick ausdrücklich, was aber ein Ablenkungnsmanöver sein könnte, da das Libretto doch sehr an Hebbel erinnert.

Inszenierungen von Schumanns Genoveva sind zeimlich selten. Zum Schumannjahr 2010 (200. Geburtstag) kamen einige Produktionen heraus, die jedoch alle längst verschwunden sind. Meines Wissens gibt es in dieser Spielzeit keine einzige Neuinszenierung oder Repertoirevorstellung an einem bekannten Opernhaus. Die Aufführung des Zürcher Opernhauses von 2008 – Dirigent: Nikolaus Harnoncourt, Regie: Martin Kušej – ist noch auf DVD erhältlich, wird aber weder auf Medici.tv noch auf Naxos zum Streamen bereitgehalten. Die einzige Aufführung mit Bild und Ton, die man auf YouTube bekommt, ist dieses Konzert aus Dresden von 2023 mit dem Helsinki Baroque Orchestra und dem Wiener Arnold Schönberg Chor. Die Originalinstrumente (und die dazugehörige, für heutige Verhältnisse klein anmutende Besetzung) bekommt Schumann ungemein, wie man schon bei Harnoncourt feststellen kann. Wer nur die Musik hören möchte, dem empfehle ich diese Rundfunkaufnahme von 1951. Leider ist sie nicht nur unvollständig, sondern auch von Störgeräuschen durchzogen, aber die Sänger sind so textverständlich, dass man kein Libretto braucht.

Noch davor, in den frühen 1840er Jahren, entstand das Oratorium Das Paradies und die Peri, das Tobias Kratzer und Omer Meir Wellber an den Anfang ihrer Intendanz in Hamburg stellen. Auf dem »Roten Sofa« äußerten sie sich dezidiert dazu (hier verfügbar bis 7. Juni 2026). Den Stoff entnahm Schumann der »Oriental Romance« Lalla Rookh (1817) von Thomas Moore (1779–1852). Der war seinerseits angeregt durch eine im 17. Jahrhundert in Delhi erschienene Sammlung von Erzählungen, Bahar-i-Danish (Frühling des Wissens oder Garten des Wissens), wo von einer indischen Prinzessin die Rede ist, die zu ihrem Bräutigam nach Samarkand reist und unterwegs allerhand Geschichten hört und erlebt. Lalla Rookh enthält neben der Reisebeschreibung und vielen Prosageschichten vier Verserzählungen: 1. Der verschleierte Prophet (angelehnt an die Geschichte von Al-Muqanna, der in Persien im 8. Jahrhundert einen vergeblichen Aufstand gegen die Araber anführte); 2. Das Paradies und die Peri (darauf kommen wir gleich); 3. Die Feueranbeter (Geschichte Sieges der inzwischen islamisierten Perser über die Zoroastrier); 4. Das Licht des Harems (die Sultanstochter Nurmahal bittet die Zauberin Namouna um Hilfe, um den Kronprinzen Selim zu gewinnen, das Ganze endet in einem Rosenfest).

Schon vor Schumann hat Lalla Rookh Komponisten, Dramatiker und bildende Künstler angeregt. In Belriner Schloss etwa wurde schon am 27. Januar 1821 ein »Festspiel mit Gesang und Tanz« Lalla Rûkh aufgeführt. Die Bühnenbilder stammten von Karl Friedrich Schinkel, die Musik komponierte der neue Generalmusikdirektor Gaspare Spontini. Der ganze Hof machte mit wie einst beim Sonnenkönig in Frankreich. Dieser Marsch, der seltsamerweise Anklänge an die Marseillaise aufweist, soll daraus stammen. Es ist der Marsch der Großfürstin Alexandra Feodorowna. Das war Charlotte, die älteste Tochter Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise. Sie war mit dem russischen Großfürsten Nikolaus verheiratet, auch schon nach St. Petersburg gezogen und hatte zwei Kinder mit ihm, darunter den späteren Zaren Alexander II. Nach einer Fehlgeburt 1820 verfiel sie in Depressionen und kam mit ihrem Mann zur Heilung nach Berlin, wo beide bis zum Sommer 1821 blieben. Nach einer weiteren Totgeburt 1823 kamen sie wieder nach Berlin und kehrten erst kurz vor dem Tod des Bruders von Nikolaus, Zar Alexander I., nach St. Petersburg zurück, wo er dann ziemlich unerwartet dessen Nachfolge als Nikolaus I. antrat. Bei einer Wiederaufführung des Festspiels Lalla Rûkh vor einigen Jahren auf dem Potsdamer Pfingstberg wurde die Handlung mit der Lebensgeschichte Charlottes verknüpft, die 1817 19-jährig wie die Romanfigur Lalla Rûkh die beschwerliche Reise zu ihrem fernen Bräutigam von Berlin nach St. Petersburg angetreten hatte.

1822 schrieb Spontini das erste Originalwerk für die Berliner Oper, Nurmahal oder das Rosenfest von Kaschmir ein »Lyrisches Drama in 32 Abtheilungen«, gewidmet der 19-jährigen Alexandrine, Erbgroßherzogin von Meklenburg-Schwerin (hier noch ohne »c« gedruckt), einer Schwester Charlottes. Die Oper basiert auf der vierten Verserzählung aus Lalla Rookh. Einen Klavierauszug gibt es bei IMSLP, eine Ton- oder Bildaufnahme von Nurmahal habe ich nirgendwo gefunden. Von der nächsten musikalischen Reaktion auf Thomas Moores Lalla Rookh, dem Song of Nurmahal, von Carl Maria von Weber 1826 in London kurz vor seinem Tod komponiert, gibt es nicht einmal Noten bei IMSLP, geschweige denn eine Aufnahme.

Nun also zum Oratorium von Schumann. Zu Chor und Solistenquartett kommen diese singenden Personen (im Konzert auch aus dem Quartett zu besetzen): die Peri und eine Jungfrau (beide Sopran), ein Engel (Alt), ein Jüngling (Tenor), ein Mann (Bariton) und der Tyrann Gazna (Bass). Hier der Inhalt in 153 Worten: Eine Peri steht sehnsüchtig vor dem Paradies und lauscht den himmlischen Klängen. Ein Engel stellt die Bedingung für den Eintritt: sie muss des Himmels liebste Gabe darbringen. Nicht recht wissend, was das sein soll, begibt sie sich nach Indien, das sich zuerst idyllisch zeigt, doch alsbald vom Krieg des Eroberers Gazna überzogen wird. Nur ein Jüngling leistet zuletzt noch Widerstand, vergeblich. Seinen letzten Blutstropfen hebt die Peri auf als Gabe für den Himmel. 
Viel heiliger muss jedoch die Gabe sein, also macht sich die Peri zu den Quellen des Nils auf. Auch dort wird die Idylle gestört, denn es herrscht die Pest. Sie begleitet ein Liebespaar in den Tod und hebt deren letzten Seufzer auf. 
Auch das öffnet das Himmelstor nicht. Also auf nach Syrien. Dort wird sie von Artgenossinnen verspottet, aber dann findet sie einen Sünder, der Reue empfindet. Gleich ihm, der Vergebung empfängt, ist auch sie »entsühnt« und darf ins Paradies.

Es gibt mehrere Konzertmitschnitte des Oratoriums auf YouTube zu sehen. Aus alter Verbundenheit mit Siobhan Stagg, die einige Jahre an der Deutschen Oper verbrachte, greife ich diese Aufführung aus der Vredenburg in Utrecht von 2023 heraus. Mehrere CD-Aufnahmen sind verfügbar, darunter auch eine mit Nikolaus Harnoncourt, allerdings nicht mit Originalisntrumenten, sondern mit dem Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks. Wer unbedingt »period instruments« haben möchte, muss zu John Eliot Gardiner greifen, der mit seinem Monteverdi Choir und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique eine Doppel-CD dirigiert hat mit Requiem für Mignon, Nachtlied und Das Paradies und die Peri, hier die YouTube Playlist für das ganze Album.

Drei Opern im Zusammenhang mit Lalla Rookh, die etwas später geschrieben wurden, sind noch zu erwähnen. Allen voran Lalla Roukh (1862) von Félicien David (1810–1876), der den romantischen »Exotismus« in die Musik brachte. Von der Opéra comique gibt es hier eine Aufnahme mit Partitur. Lalla Roukh verliebt sich hier auf dem Weg in den Sänger und Geschichtenerzähler Noureddin und ist ziemlich unglücklich als sie dort den König heiraten soll. Aber alles fügt sich, denn Noureddin war niemand anders als der verkleidete König von Samarkand. So ähnlich geht es in Feramors (1863) von Anton Rubinstein (1829–1894), nur spielt da alles in Hindustan und Feramors ist der verkleidete König von Bokhara, der an den Hof kommt, um Lalla Rookh zu heiraten. Der verschleierte Prophet (1881) von Charles Villiers Stanford (1852–1924) folgt der ertsen Verserzählung aus Lalla Rookh und wurde 2019 beim Wexford Festival konzertant aufgeführt.

Gerade habe ich gesehen, dass arte.tv die Hamburger Inszenierung von Das Paradies und die Peri am 27. September um 20.00 Uhr überträgt. Bei der derzeitigen miserablen Bahnverbindung nach Hamburg wäre das also eine Alternative.

An der Hamburgischen Staatsoper gibt es noch mehr Schumann in dieser Spielzeit. Unter dem Titel Frauenliebe und -sterben inszeniert Tobias Kratzer am 12. April 2026 einen gemischten Abend mit zwei Einaktern von Béla Bartók und Alexander von Zemlinsky, Herzog Blaubarts Burg und Eine florentinische Tragödie und dem Liedzyklus Frauenliebe und -leben von Robert Schumann.

Soviel bis Mittwoch. Ich freue mich auf die Schumann-Entdeckungen mit Ihnen,
Ihr Curt A. Roesler

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