Montag, 14. Oktober 2024

Der Freischütz

Liebe Opernfreunde,

es ist kaum zu glauben, aber Der Freischütz war hier noch nie Gegenstand näherer Erläuterungen. Der Grund ist ganz einfach: diese Oper kennt doch jeder, da braucht es keine Erklärungen. Oder vielleicht doch?

Anlass ist auch nicht eine Berliner Premiere dieses Stücks – da haben wir schon einige hinter uns, gelungene wie weniger gelungene – und auch nicht die groß angekündigte Fernsehübertragung aus Bregenz (nach wie vor nur in der 3sat-Mediathek zu sehen und nicht auf YouTube, Sie müssen sich das Video also selbst heraussuchen), die habe ich noch gar nicht gesehen, und ich weiß auch nicht, ob ich das bis nächsten Mittwoch noch schaffe. Anlass ist die mit Spannung erwartete Neuproduktion der Oper in Cottbus unter der Musikalischen Leitung von Johannes Zurl, inszeniert von Tomo Sugao, dem Hausregissuer und Stellvertretenden Operndirektor des Staatstheaters. Sugao, der übrigens auch einige Jahre als Spielleiter an der Komischen Oper Berlin verbracht hat, hat das Werk schon einmal in seiner Heimat Japan inszeniert, aber das wird eine neue Produktion sein mit Julia Spinola als Dramaturgin. Premiere ist am 19. Oktober und die Oper wird Bestandteil des Repertoires, d. h. in der laufenden Spielzeit wird es noch Aufführungen bis Mai geben.

Der Freischütz ist einer der Grundpfeiler deutschsprachigen Musiktheaters, aber die Gespenstergeschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts hat es bis ins amerikanische (allerdings zuerst in Hamburg aufgeführte) Musical des 20. Jahrhunderts geschafft. Genau darüber wollen wir sprechen, über die Wandlungen der Erzählweise von einer wundersamen Geschichte. Die Ängste einer Braut, die den Bräutigam nicht recht kennt, die Ängste eines Jungen aus der hohen Gesellschaft, der beim Schießen von den verachteten Bauern übertroffen wird. Und über die Verführungskraft von Blendern, die Lösungen zum Nulltarif anbieten.

»Freikugeln« haben diese Verführungskraft in sich, die die beiden Jägerburschen zu Fall bringt. Natürlich gibt es keine Munition, die den Weg ganz alleine findet, die Künstliche Intelligenz versendet Lockrufe in die Richtung, aber der Drohnenpilot oder der Software-Entwickler muss das Gerät mit ewas füttern, und wenn er dabei einen Fehler macht, dann geht es daneben. Um von dieser Verantwortung abzulenken, werden immer wieder Geschichten von Hexerei und bösme Blick erfunden. Im 15. Jahrhundert ist zum ersten Mal von magischen Kugeln, oder eben Freikugeln die Rede. Immer negativ, als Teufelszeug konnotiert. 1449 wird ein Söldner in Basel ertränkt mit der Begründung, er habe magische Kuglen benutzt. 50 Jahre später wird aus Tiengen, einer Kleinstadt in der Nähe von Basel, von der Hinrichtung eines Juden berichtet. Er wurde offensichtlich nur hingerichtet, weil er Jude war, aber als man eine Begründung brauchte, kam man später darauf, dass er Freikugeln benutzt habe.

Europa stand vor der konfessionellen Spaltung, der Buchdruck revolutionierte die Kommunikation von Grund auf. Die »Kleine Eiszeit«, die gerade eine noch stärkere Abkühlung und Verkürzung der Vegetationszeit bewirkte, trug zur Verunsicherung der Bevölkerung bei. Dem Glauben an das Heil durch Christus oder Maria stellte sich ein negativer Wunderglauben entgegen, auf dem Eiferer wie der Dominikaner Heinrich Kramer (1430–1505) aufbauen konnten. Hexenprozesse erreichten einen ersten Höhepunkt. Die Religionskriege des 16. Jahrhunderts mündeten in den großen europäischen Krieg des 17., den Dreißigjährigen Krieg 1618–1648. Die Folgen dieses Krieges wählten der Librettist Friedrich Kind und Carl Maria von Weber als Folie, vor der sie ihre romantische Oper ausbreiteten.

Gerne wird im Zusammernhang mit dem Freischütz auch ein österreichisch-preußischer Kammerherr und Autor des 18. Jahrhunderts genannt, der sich mit Geistergeschichten auseinandersetzte, Otto von Graben zum Stein (1690–1756). In 18 Bänden veröffentlichte er ab 1730 Unterredungen von dem Reiche der Geister zwischen Andrenio und Pneumatophilo. Unter Friedrich Wilhelm I., der ihn als Beamten (und vielleicht auch österreichischen Spion, Gerüchte gab es) gewähren ließ, fing er sich damit 1731 ein Publikationsverbot ein. Und Friedrich II. strich ihm nach der Thronbesteigung gleich sämtliche Gehälter. (Keine »Gelder an die Narren.«) Die Unterredungen enthalten zwar eine Geschichte, in der es um das Kugel Gießen geht, die aber als Vorlage nicht in Frage kommt, bestenfalls als Ermutigung, sich mit solchen Geschichten zu beschäftigen.

Dies tat u. a. der Leipziger Jurist und Schriftsteller August Apel (1771–1816). Zusammen mit Friedrich August Schulze (1770–1849), der unter dem Namen Friedrich Laun Unterhaltungsromane und Theaterstücke verfasst hatte, gab er 1810–1815 ein Gespensterbuch in mehreren Bänden heraus, das den Weg für die Sammlungen von Sagen und Märchen der Brüder Grimm und von Ludwig Bechstein bereitete. Gleich den ersten Band eröffneten sie mit der Erzählung vom Freischütz, mit einem von der Oper deutlich abweichenden Schluss. Da gibt es nämlich keineHochzeit. Der fehlbare Jägerbursche endet im Wahnsinn. Das ist eine Parallele zu einer berühmten englischen Geschichte vom Teufelspakt, A Rake's Progress, zunächst eine Gemäldeserie von William Hogarth (1697–1764) und heute vor allem bekannt als Oper von Igor Strawinsky (1882–1971).

Schon 1812 kam Der Freyschütze in München als Schauspiel mit Musik auf die Bühne, der Text stammte von Franz Xaver von Caspar (1772–1833), die Musik von dem Violinisten Carl Neuner (1778–1830). Die beiden erfanden den »glücklichen« Schluss, an dem noch heute jeder Regisseur verzweifelt, weil er unlogisch ist. Carl Maria von Weber jedoch nahm die Lösung begierig auf, als er sich zusammen mit Friedrich Kind an die Arbeit an seiner Romantischen Oper nach der Gespenstergeschichte von August Apel machte.

Auch in den Deutschen Sagen der Brüder Grimm (1816/1818) finden sich zwei Stücke, die eine deutliche Nähe zum Freischütz haben. Der sichere Schuss und Der herumziehende Jäger. Wie die Unterredungen der Geister... sollten sie nicht als Vorlage angesehen werden, sondern als Beweis dafür, dass solche Geschichten gerade sehr beliebt waren, als die Oper herauskam.

Die Uraufführung des Freischütz am 18. Juni 1821 im neu erbauten Schauspielhaus am Gendarmenmarkt war ein unermesslicher Erfolg. Kaum eine andere Oper ist je schon bei der ersten Aufführung von Publikum so gefeiert worden. Und die Beliebtheit hat bis heute kaum nachgelassen. 

Die Geschichte vom Schwarzen Jäger hat auch unabhängig von der Oper bis heute ihre Attraktivität bewahrt: 1990 wurde in Hamburg The Black Rider uraufgeführt, den Tom Waits (*1949) und William S. Burroughs (1914–1997) auf Anregung uns zusammen mit Robert Wilson (*1941) schrieben, eine moderne Version der alten Geschichte, die inzwischen auch schon historisch geworden ist.

Der Volkshochschulkurs in Zehlendorf geht Corona-bedingt erst am 23. Oktober weiter.
Bis dann, ich freue mich, Ihr Curt A. Roesler

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