Suche nach Opernstoffen
Schon 1904, Madama Butterfly war in der zweiten Fassung gerade doch noch ein Erfolg geworden, spielte Puccini mit dem Gedanken, einen Opernabend aus drei Einaktern zu schreiben. Einakter waren recht beliebt in der Zeit, Einkater, die man kombinieren konnte (z. B. Cavalleria rusticana / I Pagliacci), aber auch Einakter, die für sich stehen konnten (die von Richard Strauss z. B.). In der italienischen Oper hatte der Konkurrent von Puccinis Verleger, Edoardo Sanzogno, mit seinen fünf Wettbewerben für Einakter (1883, 1889, 1891, 1903, 1906) dazu beigetragen, ergänzt durch den Wettbewerb eines »ausländischen« Velegers, des Wieners Steiner 1896. Puccini selbst hatte am ersten Wettbewerb mit Le villi teilgenommen, die Partitur wurde jedoch als unleserlich zurückgewiesen. Puccini las also 1903 fleißig Novellen, insbesondere Maxim Gorki faszinierte ihn. Er schlug einen Abend vor mit Die Holzflößer, Der Chan und sein Sohn und Sechsundzwanzig und eine, doch sein Verleger, Tito Ricordi, lehnte Gorki rundweg ab. Erst 1907 wurde der nächste Opernstoff gefunden, der auch wirklich realisiert werden konnte: das Drama The Girl of the Golden West von David Belasco, dem auch schon die Vorlage für Madame Butterfly zu verdanken ist.
Bis dahin haben Puccini und sein Verleger fast ein Dutzend Projekte gefasst und wieder verworfen. Mit Gabriele d'Annunzio wurde ein Verrtag für ein Libretto abgeschlossen, ohne einen Stoff zu nennen. Mit Luigi Illica arbeiteten sie lange an einer Maria Antonietta, später L'Austriaca genannt, einem Drama, das in der französischen Revolution angesiedelt war, die schon Umberto Giordanos Andrea Chénier (1896) bearbeitet worden war.
Der Roman La femme et le pantin von Pierre Louÿs schien Puccini interessant, er verhandelte bereits mit dem Übersetzer und Librettisten Maurice Vaucaire. Aber auch aus Cocnchita wurde nichts, Riccardo Zandonai vertonte des Libretto von Vaucaire schließlich. Sie kennen den Stoff möglicherweise unter einem anderen Titel, nämlich Cet obscur objet du désir, so heißt ein Film von Louis Buñuel, der aber nicht der erste und nicht der letzte nach diesem Stoff ist. Am ersten, einem Stummfilm von 1920 war ein Puccini-Star beteiligt, Geraldine Farrar.
Auch A Florentine Tragedy von Oscar Wilde steht zur Diskussion, als es wieder um einen Einakterabend geht. Alexander Zemlinsky machte später aus der deutschen Übersetzung von Max Meyerfeld eine Oper. Bis 1910 arbeitet Puccini dann jedoch konzentriert an La fanciulla del West (die hier auch schon behandelt wurde). Gleich nach der Uraufführung an der Met geht aber die Suche wieder los:
L'oiseau bleu von Maurice Maeterlinck, 1908 in Moskau von Stanislawski zur Urauffhrung gebracht, steht zur Diskussion – Maurice Wolff bekommt den Zuschlag, seine Oper wird 1919 an der Met uraufgeführt. Hanneles Himmelfahrt von Gerhart Hauptmann steht zur Diskussion – viel später wurde eine Oper daraus, Paul Graener, im 3. Reich sehr beliebter Komponist, brachte sie 1927 in Dresden heraus. Two little Wooden Shoes von Ouida (=Maria Louise Ramée, 1839–1908) steht zur Diskussion als Due zoccoletti (ein Libretto von Adami mit Anmerkungen von Puccini bewahrt die Pierpont Morgan Library in New York auf) – daraus wird Lodoletta von Pietro Mascagni, wofür aber Giovachino Forzano das Libretto schreibt (Rom 1917). Giuseppe Adami bietet Anima allegra an, seine Adaptation der Komödie El genio alegre der Brüder Serfain und Joaquín Álvarez Quintero – der ansonsten vergessene Franco Vittadini komponiert das Libretto 1918/19, Ricordi verlegt die Oper, 1921 kommt sie in Rom zur Urauffürung.
Opern in einem Akt
1912 sah Puccini La Houppelande von Didier Gold in Paris, wo er u. a. auch Le sacre du printemps von Strawinsky sieht und mit Claude Debussy in Kontakt kommt. D'Annunzio hat inzwischen doch etwas geliefert, La crociata dei fanciulli, das gefällt aber Puccini nicht, der Text wird 1915 als La crociata degli innocenti, mistero in quattro atti gedruckt und kommt 1917 als Stummfilm heraus. Im nächsten Jahr fasst er den Entschluss, Didier Golds Drama zu vertonen, doch alsbald kommt das Projekt La rondine dazwischen. Teilweise arbeitet er an beidem parallel, 1916 ist die Partitur zu Il tabarro, wie die Oper nun heißt, vollendet. Aber für den 2. und 3. Teil des Einakterabends gibt es noch keine Idee, außer, ein früheres Projekt, Margherita da Cortona, auf zwei Akte einzudampfen – viel später komponierte Licinio Refice eine Oper mit der mittelalterlichen Heiligen im Mittelpunkt. Oder eine Kombination mit Le villi, die dafür revidiert werden sollten.
Da kam Giovacchino Forzano ins Spiel. Puccini kannte ihn schon als Juristen, der in der Frage La rondine zu seiner Zufriedenheit verhandelt hatte. Er hatte aber auch schon ein Libretto verfasst, Notte di leggenda, ein Einakter für Alberto Franchetti (und er arbeitete gerade an Lodoletta für Pietro Mascagni). Forzano schlug zuerst Suor Angelica und dann Gianni Schicchi als Sujets vor. Beides sind – ganz ungewöhnlich für die italienische Oper – Originalstoffe, d. h. es gibt keine literarischen oder dramatischen Vorlagen, an denen man den möglichen Erfolg messen könnte. Für beide Figuren gibt es Anregungen aus der Literatur, aber nicht mehr. Für die Schwester Angelica steht Ermengarda, eine Hauptfigur in Adelchi von Alessandro Manzoni, als Vorlage. Sie ist Desiderata nachempfunden, der von Karl dem Großen nach dem Bruch mit den Langobarden verstoßenen Ehefrau, die (nach Manzonis Darstellung) in einem Kloster in Brescia Zuflucht fand. Der Erbschleicher Gianni Schicchi findet eine kurze Notiz in Dantes Inferno.
Ermutigung zur Komposition der Suor Angelica fand Puccini in einem Welterfolg von 1902: Le Jongleur de Notre-Dame von Jules Massenet. Auch diese Oper spielt in einem Kloster, in einem Männerkloster, und zwar in einem sehr berühmten, dem von Cluny. Alle Solisten sind männlich (außer den zwei Engeln, die am Ende das Wunder verkünden), so wie in Suor Angelica alle weiblich sind. Und auch hier erlebt die Hauptfigur am Ende im Sterben ein Wunder, das sich auch musikalisch manifestiert.
In ingewöhnlich kurzer Zeit komponierte Puccini Suor Angelica (März bis September 1917) und ebenso schnell Gianni Schicchi (September 1917 bis April 1918). Bei der Uraufführung konnte Puccini nicht dabei sein, der Waffenstillstand trat erst am 12. November in Kraft, für Passagierschiffe war es bis dahin viel zu gefährlich auf dem Atlantik. Auch Toscanini war nicht mehr in New York, er war 1915 nach Italien zurückgekommener dirigierte also die Urauffüphrung des Il trittico nicht, sondern Roberto Moranzoni. Puccini behielt sich dem Verleger gegenüber vor, Änderungen vorzunehmen, wenn er an den Proben zur Erstauffürung in Rom teilgenommen hatte. Und so geschah es auch: der berühmte Monolog des Michele am Ende von Il tabarro z. B, »Nulla, silenzio« wurde erst danach komponiert.
Il tritticò
1. Il tabarro
Das Libretto von Giuseppe Adami hält sich ziemlich genau an die 1910 am Théâtre Marigny zur Uraufführung gelangte »Pièce en un Acte« La Houppelande von Didier Gold (1874–1931, bekannt nicht nur für seine naturalistischen Bühnenstücke, sondern vor allem für die ab 1920 entstandenen Chansontexte): Michele (Bariton), Besitzer eines Lastkahns auf der Seine hat seit dem Tod des gemeinsamen Kindes die Liebe seiner viel jüngeren Frau Giorgetta (Sopran) verloren. Seine Versuche, die Liebe zurückzugewinnen, kontrastieren mit den Melodien eines Liedverkäufers am Ufer. Er gewinnt die Überzeugung, dass sie einen anderen lieben muss. Das ist tatsächlich der Ladearbeiter Luigi (Tenor), mit dem Giorgetta heimlich ein Zeichen verabredet. Wenn die Luft rein ist, und er sie besuchen kann, wird sie ein Zündholz anzünden. Doch Michele kann nicht schlafen und schickt Giorgetta in die Kajüte. Er zündet sich seine Pfeife an, Luigi hält das für das verabredete Zeichen und läuft in das Messer des eifersüchtigen Ehemanns. Aus dem Mantel, den Giorgetta und Michele als Symbol früherer Gemeinsamkeit erinnern fällt der Ermordete vor die Füße der aufgeschreckten untreuen Ehefrau. Hier eine Aufführung in deutscher Sprache mit Dietrich Fischer-Dieskau, Julia Varady und Robert Ilosfalvy aus der Bayerischen Staatsoper München, Wolfgang Sawallisch dirigiert die klassische Inszenierung von Günther Rennert. Noch einmal in s/w erläutert hier Tito Gobbi die Rolle des Michele, die er oft interpretiert (und auch inszeniert) hat, dabei ist auch eine Studioaufführung (vermutlich auf Grundlage einer Inszenierung an Covent Garden) größter Teile der Oper (insgesamt 44 Minuten inklusive der Kommentare von Gobbi) mit Gobbi selbst, Marie Collier und Charles Craig. Wer es lieber in Farbe mag: hier eine Aufführung der Scala von 1983 mit Piero Cappuccilli, Silvia Sass und Nicola Martinucci, Gianandrea Gavazzeni dirigiert die Inszenierung von Sylvano Bussotti mit echtem Pferd für die Entladung des Kahns.
2. Suor Angelica
Angelica (Sopran), unverheiratete Mutter, wurde zur Buße ihrer Sünde in ein Kloster gesteckt, dort eignet sie sich die Künste einer Kräuterheilerin an. In die Idylle des Klosterlebens bricht La Zia Principessa (Die adelige Tante, Alt) ein, die von ihr eine Erbverzichtserklärung verlangt, damit ihre Schwester heiraten könne. Die Frage nach dem Sohn beantwortet sie kühl damit, dass dieser nach schwerer Krankheit gestorben sei. Angelica besinnt sich nun auf ihre Kräuterkünste und braut sich ein Gift für den Selbstmord. Im Sterben wendet sie sich noch einmal, Gnade erflehend, an die Heilige Jungfrau. Ein Wunder geschieht, das Kloster wird von hellem Licht erstrahlt und die Madonna schickt das lebendige Kind auf den Weg zu seiner Mutter.
Eine Oper, in der am Ende ein Wunder geschieht, scheint nicht so ganz in die Zeit zu passen, die seit der Jahrhundertwende von realistischen Stoffen auf der Bühne überflutet wurde. Puccini war ebenso wie sein Verleger erst skeptisch, aber es gab einen Welterfolg, der als Vorbild dienen konnte, Le jongleur de Notre-Dame von Jules Massenet, 1902. Der spielt in einem Männerkloster, dem berühmten von Cluny, und die Solisten sind alle männlich (mit Ausnahme der zwei Engel, die am Ende das Wunder begleiten), so wie in Suor Angelica alle weiblich sein sollten. Und die Hauptfigur, Jean der Gaukler, empfängt im Tod die Gnade eines Wunders. Hier eine konzertante Aufführung der Oper mit Roberto Alagna in der Titelpartie. Lassen Sie sich nicht von der Tourismuswerbung zwischendurch stören und achten Sie auf die Instrumentation des Wunders (Klavier, Celesta, Harfen, Sopranklänge) ab ca. 1 Stunde, 40 Minuten. Und vergleichen Sie das später mit dem Schluss von Suor Angelica, hier gesungen von Asmik Grigorian, nein, nicht in der Aufsehen erregenden Produktion der Salzburger Festspiele vom letzten Sommer, das finden Sie selbst bei YouTube, sondern in einer Produktion der Lettischen Nationaloper von vor 13 Jahren.
Für die Figur der Suor Angelica fand Giovacchino Forzano eine Anregung beim Vater der italienischen Romantik, Alessandro Manzoni. In I promessi sposi (1827, deutsch: Die Verlobten oder auch Die Brautleute) kommt die historische Figur der Gertrud von Monza vor, die mit 13 Jahren ins Kloster gesteckt wurde, dort eine Liebesaffäre begann und 1602, mit 27 Jahren, eine Tochter zur Welt brachte. Noch wichtiger aber ist als Vorlage das Drama Adelchi (1822). Hier ist »Ermengarda« eine Hauptfigur, in der Geschichte auch Desiderata genannt, die Ehefrau Karls des Großen, der sie nur geheiratet hatte, um die Allianz mit den Langobarden zu besiegeln, und sie verstieß, als die Allianz zerbrach. Sie zog sich in ein Kloster von Brescia zurück. Im 4. Akt stirbt sie und Manzoni lässt ihren Tod von einem Chor begleiten, dessen Text zur klassischen italienischen Lyrik zählt. Hier der Tod der Ermengarda in einer italienischen Fernsehproduktion von 1961 (die ersten fünf Minuten, danach geht es weiter mit dem 5. Akt der Tragödie). Den Text des Chores gibt es in zahlreichen Fassungern, gesprochen von berühmten Schauspielern, darunter vn Vittorio Gassmann, dem Regisseur der Fernsehproduktio, ebenfalls auf YouTube.
Die ganze Oper jetzt ebenfalls in zwei Iterpretationen, 1. Metropolitan Oper 2007; die Inszenierung mit Barbara Frittoli in der Titelpartie wurde damals in die Kinos übertragen. 2. Covent Garden, London 2011; eine etwas modernere Inszenierng (Kasper Holten) mit Ermonela Jaho in der Titelpartie, dirigiert von Antonio Pappano.
3. Gianni Schicchi
Der Erbschleicher bekam von Dante ein Denkmal gesetzt, ein Kommentar aus dem 19. Jahrhundert führte das, was ihm zur Last gelegt wurde, etwas detaillierter aus. Daraus formte Forzano eine Komödie im Sinn der italienischen Tradition von der Commedia dell'arte bis zu Verdis Falstaff. Buoso Donati ist gerade im Kreise seiner Familie gestorben, die gespielte Trauer der Hinterbliebenen schlägt in echtes Entsetzen um, als sie erfahren, dass er sein ganzes Vermögen der Kirche vermacht hat. Da kann nur einer helfen, sagt Rinuccio, Gianni Schicchi. Er liebt nämlich dessen Tochter Lauretta, darf sie aber nicht heiraten, da Schicchi nicht zum reichen Adel von Florenz gehört. Er erreicht es, dass Gianni Schicchi zumindest befragt wird. Der hat auch schnell einen Plan: er wird sich in das Sterbebett Buosos legen und das Testament notariell ändern, denn noch weiß niemand, dass Buoso Donati gestorben ist, so kann er leicht seine Stelle einnehmen, nachdem man den Leichnam versteckt hat. Es braucht aber erst noch die Fürsprache seiner Tochter (die berühmte Arie »O mio babbino caro«), damit er wirklich den Donatis auf diese Weise hilft. Schicchi lässt sich einkleiden und notiert dabei alle Wünsche der Verwandten nach ihrer individuellen Berücksichtigung im neuen, gefälschten Testament (wunderbare Parodie der Terzette von Richard Strauss im Rosenkavalier und Ariadne). Als der Notar und die Zeugen kommen, vermacht Schicchi jedoch das gesamte Vermögen sich selbst, die Verwandten können nichts ausrichten, da sie ja sonst selbst als Testamentsfälscher auffliegen würden. Am Schluss wirft Schicchi alle aus dem nun ihm gehörenden Haus. Am Schluss tritt er für einen Epilog aus seiner Rolle und spricht das Publikum direkt an, dem er rät, wenn es sich gut unterhalten habe, diese Erfahrung doch über die Fragen der Moral zu setzen und ihn nicht wie Dante in die Hölle zu verdamnen.
Eine der ersten Fernsehproduktionen der RAI galt dieser Musikalischen Komödie. Hier eine Kopie mit manchmal leider gestörtem Fernsehton, Antonino Votto dirigierte das Mailander RAI-Orchester, Renato Capecchi singt die Titelpartie, Bruna Rizzoli seine Tochter Lauretta. In Farbe geht es natürlich auch: Hier eine Produktion der Scala von 2008, Riccardo Chailly dirigiert die Inszenierung von Luca Ronconi mit Leo Nucci, Nino Machaidze und Vittorio Grigolo.
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