Dienstag, 18. Oktober 2022

Drei neuere Werke

Gerade aus einer szenischen Probe Negar in der Tischlerei der Deurtschen Oper Berlin kommend, suche ich nach dem Verbindenden der drei Werke, bzw. der drei Komponisten. Aber ich muss gestehen, das gibt es nicht. Hans Werner Henze und Giorgio Battistelli haben zwar Gemeinsamkeiten, aber Keyvan Chemirani ist ein ganz anderer Komponist als diese beiden. Was Chemirani macht, kann man mit »World music« umschreiben. Dabei geht es um die Verbindung westlicher (Pop-)Musik mit traditioneller Musik regionaler Herkunft. Die regionale Herkunft bei Chemirani ist Iran bzw. die persische Musiktradition, sein Instrument ist die Zarb, ein Schlaginstrument, das als Trommel zu bezeichnen viel zu kurz greift. Er lernte den Umgang mit dem Instrument von seinem Vater, der in Teheran ein Schüler von Hossein Tehrani war, dem Begründer des modernen Zarbspiels. Er selbst ist 1968 in Paris geboren und wuchs in Manosuqe auf, einer Kleinstadt zwischen den Alpen und der Côte d'Azur. Er trat zusammen mit Größen des Jazz auf wie Albert Mangelsdorf und mit Vertretern eben der »Weltmusik« wie Ballaké Sissoko aus Mali. Sein erstes eigenes Album erschien 2001 und vereint unter dem Titel »Le rhythme de la parole« (»Der Rhythmus des Wortes«) Sänger aus Südindien, Iran, Marokko, der Provence und der Bretagne. Hier eine Playlist. Mit seinem Vater und seinem Bruder bildt er seit 1999 das Trio Chemirani, das weltweit auftritt. Hier ein Auftritt des Trios zusammen mit Maryam Chemirani in Polen (mit polnischer Einleitung, die ich nicht verstehe, der Auftritt ist nach etwa vier Minuten, da wird dann Englisch gesprochen). 

Auch klassische Musik gehört zu den Betätigungsfeldern Chemiranis, er tritt mit verschiedenen Spezialensembles für Alte Musik wie dem Ensemble Gilles Binchois, der Chapelle rhénane und der Cappella Mediterranea auf. Aber auch die Avantgarde steht ihm offen, 2015 lud ihn das Ensemble Intercontemporain, ein 1976 von Pierre Boulez gegründetes Kammerorchester, das heute eine Pariser Institution für zeitgenössische Musik ist,  für ein Programm mit dem Titel »Au Zarb, musiciens« ein. Hier der Fernsehmitschnitt aus der Cité de la musique (mit viel französischem Kommentar).

Mit Negar hat die Deutsche Oper Berlin (in Zusammenarbeit mit der Oper in Montpellier) ein Thema getroffen, das in diesen Tagen noch eine besondere Aktualität bekommen hat. Am Beginn der Oper legen Frauen in einem Konzert der Sängerin Negar in Teheran nach ihrem Vorbild ihre Schleier ab. Aus dem aktuellen Anlass hat die Deutsche Oper Berlin nun am Sonntag, 30. Oktober noch ein Podiumsgespräch in das  Programm genommen.

Die Musik von Keyvan Chemirani entwickelt eine ganz besondere Sogkraft – fernab von klangtüftelnden Experimenten anderer Zeitgenossen. Man ist eher an Meyerbeer oder Verdi erinnert, wenn etwa das brutale Verhör der Shirin im Teheraner Gefängnis als Terzett Shirins und der beiden Polizisten (männlich und weiblich) daherkommt.

Sowohl Giorgio Battistelli wie auch Hans Werner Henze hatten in ihrem Schaffen Phasen, wo sie sich in später Reaktion auf die Formalismus Debatte der 30er Jahre dazu aufmachten, »verständlicher«, ja »volkstümicher« zu werden und aus der Blase der »Neutöner« auszubrechen. An einem Projekt Henzes ist das besonders deutlich auszumachen, an der Kinderoper Pollicino, die für Laien und Profis komponiert wurde. Eine frühe Form des »Bürgertheaters«, und außerdem eine, an die sich die Oper selten traut. (Spoiler: die Matthäus-Passion an der Deutschen Oper Berlin wird in diese Richtung gehen.) Battistelli war 1980 noch nicht am Cantiere Internazionale d'Arte in Montepulciano beteiligt, als Henze das Projekt erstmals zur Aufführung brachte, aber 1993 bis 1996 war er Künstlerischer Leiter des Cantiere.

Auch La Cubana, eine Vaudeville in 5 Bildern von Hans Magnus Enzensberger und Hans Werner Henze, 1974 ursprünglich für das Fernsehen konzipiert, spielt mit Elemeten, die außerhalb der »Neuen Musik« zu suchen sind. Den Stoff fanden Enzensberger und Henze bei Miguel Barnet, der auch schon für das Einpersonenstück El Cimarrón die Vorlage geliefert hatte. Erzählt wird in einer Rahmenhandlung von 1959 (Abschluss der kubanischen Revolution unter Castro und Guevara) die Geschichte der Kubanerin Amalia Vorg, die unter dem Künstlernamen Rachel im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Habana als Variété-Sängerin auftrat. Siue erinnert sich an fünf Stationen ihres Lebens, die in Zusammenhang mit der aufkeimenden revolutionären Stimmung gebracht werden. Die Oper wurde 1974 im Channel 13 in New York in einer Produktion des WNET Oper Theatre New York unter der musikalischen Leitung von Hans Werner Henze zur Uraufführung gebracht, die szensche Uraufführung (also live in einem Theater) fand ein Jahr später im Münchner Theater am Gärtnerplatz statt. Bald danach kam die Idee einer reduzierten Fassung auf, die jedoch von Henze nie realisiert wurde. Das hat jetzt der Berliner Komponist Jobst Liebrecht nachgeholt, der viel mit Henze zusammengearbeitet hat und der mit seinem Jugendsinfonieorchester in Marzahn-Hellersdorf ebenfalls das Zusammenwirken von Laien und Profis geübt hat.

Über Battistellis Experimentum mundi haben wir bereits gesprochen, so kann ich hier nur noch abschließend die Anregung geben, sich mit der Encyclopédie des Diderot zu befassen, von dort nämlcih sind die Texte für diese musikaische Handwerksschau ausgeborgt.

Bis morgen, Ihr Curt A, Roesler

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