Montag, 21. März 2022

Turandot

Der letzte Abend bei den Operngesprächen gilt der letzten Oper von Giacomo Puccini. Nach der Uraufführung von La Rondine in Monte-Carlo, noch während des Krieges, und bevor Il trittico in Abwesenheit des Komponisten in New York zur Uraufführung kam, war dieser schon wieder auf der Suche nach einem neuen Stoff. Im Sommer 1918 spricht er in einem Brief von einem »sentimentalen Thema«, in dem »zwei Knaben... (gespielt von Frauen)« im Zentrum sind. Es ist aber nicht bekannt, was das für en Stoff gewesen sein soll. 1919, vermutich im Frühjahr, besuchte Puccini in London die Aufführung eines Bühnenstücks nach Oliver Twist. Giuseppe Adami und Renato Simoni begannen ein Libretto nach dem Roman von Charles Dickens unter dem Titel Fanny, Puccini gefiel die Arbeit jedoch nicht und so kamen sie nicht über den 1. Akt hinaus. Bald danach hatte er die Idee, einen orientalischen Stoff zu suchen. Zur Auswahl standen da etwa Chu Chin Chow, ein Musical nach Ali Baba und die 40 Räuber von Harold Asche (Buch) und Frederic Norton (Musik), das 1916 in London und 1917 am Broadway herausgekommen war. 1923 wurde daraus ein Stummfilm und 1934 ein Tonfilm. Wenn auch das Musical selbst am Broadway danach verschwand, so wird Musik daraus doch gelegentlich aufgeführt, hier etwa können wir den Song »Cleopatra's Nile« hören, mit sehr deutlichen Orientalismen, die mehr nach Peking als nach Bagdad weisen. Weiters ließ Puccini sich von Mr. Wu berichten, einem in London 1913 herausgekommenen Schauspiel von Harry M. Vernon und Harold Owen. Daraus wurde tatsächlich eine letzte, vom Komponisten nicht selbst vollendete Oper, aber nicht von Puccini, sondern von Eugen d'Albert. Nachdem Puccini von beiden Stoffen wieder Abstad genommen hatte, schlug ihm Giovacchino Forzano (der Librettist von Suor Angelica und Gianni Schicchi) Sly vor. Den Stoff hatte er aus dem Prolog zu The Taming of the Shrew von Shakespeare gewonnen, aber Puccini zögerte. Forzano ließ Cristoforo Sly dann erst einmal als Schauspiel aufführen, mit großem Erfolg. Aber da hatte Puccini schon seinen neuen Stoff gefunden, Turandot. Es fand sich ein anderer Komponist, der eine Oper aus Sly machte, Ermanno Wolf-Ferrari. Eine Live-Tonaufnahme dieser Oper aus Barcelona ist hier zu finden. Die Aufführung gibt es auch als Video mit ausgedehnten Pausengesprächen in sehr niedriger Video-Qualität.

In einer sehr lesenswerten Publikation von 2016 Opera in a Multicultural World ist das Kapitel über Turandot-Inszenierungen in China überschrieben mit Returning to Where She Didn't Come From. Die Geschichte von der grausamen Prinzessin, die alle ihre Freier umbringen lässt und schließlich doch von einem Helden bezwungen wird hat nämlich in ihrer ursprünglichen Form mit China nichts zu tun. In Haft Peykar (Sieben Schönheiten) von Nezami von Gandscha (1197), einer durch die Rahmenerzählung 1001 Nacht nahestehenden persischen Erzählsammlung finden wir sie zum erstenmal beschrieben. Die sieben Erzählungen sind den Wochentagen zugeschrieben, von Samstag bis Freitag. Am Dienstag ist die Rede von der Prinzessin Nasrin-Nush im Land Saqaliba. Mit Saqaliba wird im Arabischen die Herkunft von meist slawischen Sklaven aus Mittel-, Ost- und Südeuropa bezeichnet, die beispielsweise in das Maurische Spanien verkauft wurden. 1704 bis 1717 veröffentlichte der französische Orientalist und Antiquar des »Sonnenkönigs« Antoine Gallard seine Übersetzung einer arabischen Handschrift von 1450 unter dem Titel Les mille et une nuits. In der 844. und 904. Nacht tauchen Motive aus der erwähnten Erzählung von Nezami auf. 1710 aber veröffentlichte der Übersetzer und Diplomat François Pétis de la Croix ein Konkurrenzprodukt unter dem Titel Les mille et un jours. Auch er berief sich auf eine Handschrift, die er 1675 in Isfahan erhalten haben will und die nicht arabischen, sondern persischen Ursprungs ist. Einige der Erzählungen hat er wohl selber erfunden oder auch abgeändert. Jedenfalls taucht das Motiv bei ihm jetzt im Zusammenhang mit China auf, wie es schon in einer persischen Quelle um 1500 zu finden ist. 45. Tag: L'histoire du Prince Calaf et de la Princesse de Chine. Daraus formten Alain-René Lesage (Autor von Gil-Blas und Der hinkende Teufel) und Jacques-Philippe d'Orneval 1729 die Opéra Comique La Princesse de la Chine. Die Musik stammte von von Jean-Claude Gillier. Vor allem aber inspirierte die Erzählung von Pétis de la Croix Carlo Gozzi für seine »Fiaba teatrale« Turandotte, die 1762 in Venedig zur Uraufführung kam und 40 Jahre später von Schiller übersetzt und bearbeitet wurde. Schillers Drama in der Übersetzung von Andrea Maffei ist wiederum die Inspiration für die Oper von Giacomo Puccini.

1809 schrieb Carl Maria von Weber eine Bühnenmusik für eine Aufführung der Schillerschen Version in Stuttgart. Er verwendete dabei als erster westlicher Komponist überhaupt eine originale chinesische Melodie, die er als »Air chinois« bezeichnet im Dictionnaire de la musique von Jean-Jacques Rousseau fand. Diese Tonufnahme beginnt gleich damit. Für Paul Hindemith war dies das hauptsächliche »Carl-Mairia-von-Webersche Thema« das er in seinen Metamorphosen verwendete, die er 1944 für die New York Philharmonic schrieb. Hier werden sie vom hr-Sinfonieorchester gespielt unter der Leitung von Alain Altinoglu, der auch oft an der Deutschen Oper Berlin dirigiert hat. Gleich nachdem sich Puccini 1920 für Turandot entschieden hatte, wandte er sich an einen Bekannten, den Italienischen Diplomaten Edoardo Fassini-Camossi (nicht zu verwechseln mit dem üblen faschistischen Industriellen und Politiker Alberto Fassini), und fragte ihn nach originaler chinesischer Musik. Der Baron Fassini war um 1900 zur Zeit des Krieges gegen die Yihetuan (als »Niederschlagung des Boxeraufstandes« euphemisiert) in Peking und hatte vermutlich aus den Plünderungen, die von den Alliierten geduldet, wenn nicht initiiert waren, eine Spieldose mit chinesischen Melodien mitgebracht. Drei der Melodien übernahm Puccini in seine Komposition der Turandot. Eine ähnliche, etwas ältere Spieldose enthält übrigens auch eine Melodie, die Puccini in Madama Butterfly verwendet hatte, und von der man bisher dachte, es sei eine japanische Melodie.

Ende 1920 lag schon eine erste Fassung der ganzen Oper in drei Akten vor und im Januar 1921 begann Puccini mit der Komposition. Es gab jedoch viele Unterbrechungen und Grundsatzdiskussionen. So wollte Puccini im September 1921 die Oper auf zwei Akte reduzieren. Und im Oktober schaute er sich noch einmal nach einem anderen Stoff um, Giovacchino Forzano stad mit Thien Hua wieder im Rennen, aber es hätte auch eine Oper um den Grafen Cagliostro werden können. Erst im Dezember einigte man sich auf die drei Akte, aber bis zu ernsthaften Vertragsverhandlungen mit dem Verlag dauerte es noch einige Monate. Erst im November 1922 war die Komposition des 1. Aktes komplett abgeschlossen. Nach einer viermonatigen Pause begann Puccini mit dem zweiten Akt, während schon wieder heftig über den dritten Akt gestritten wurde und man sich schließlich auf den Szenewechsel mitten im Schlussduett einigte. Schon im Juni 1923, als der 2. Akt noch keineswegs fertig war, begann Puccini mit der Arie des Calaf im 3. Akt und entschied sich auch für die Stimmen im Hintergrund in dieser Arie. Im Februar 1924 ist der zweite Akt fertig und im März prakisch das ganze Werk, nur fehlt noch das Duett, um das es nun noch einmal viele Dikussionen gibt. Im Oktober ist Puccini endlich mit dem Libretto zufrieden und nimmt es nach Brüssel mit, wo er seinen Kehlkopfkrebs mit einer Strahlenbehandlung kurieren wollte. Er konnte daran aber kaum noch arbeiten, ehe er am 29. November dort starb.

Der Verlag, die Erben und Arturo Toscanini, der die bereits im Mai 1925 terminierte Uraufführung an der Scala dirigieren sollte, einigten sich darauf, Franco Alfano zu bitten, aus dem vorhandenen Material von Puccini ein Finale zu erstellen. Leider war doch viel weniger vorhanden, als man gehofft hatte, so war Alfano gezwungen sehr viel eigene Musik zu verwenden. Die Uraufführung wurde auf den 25. April 1926 hinausgeschoben, und bekanntlich brach Toscanin nach der Arie der Liù ab und informierte das Publikum, dass an dieser Stelle die Komposition Puccinis zu Ende sei. Ab der zweiten Aufführung wurde Alfanos Ergänzung gespielt und zwar – wie man jetzt weiß – vollständig. Die extremen Kürzungen im Schlussduett, die danach auch in die gedruckte Partitur eingingen, nahm man vermutlich erst bei der von Ettore Panizza dirigierten Wiederaufnahme im November vor. Auch die deutsche Erstaufführung in Dresden unter der Leitung von Fritz Busch war noch weit vollständiger als man es nachher mehr als ein halbes Jahrhundert lang gewohnt war. Jürgen Maehder entdeckte im Archiv des Verlages Ricordi 1978 das vollständige Finale in der Handschrift von Franco Alfano wieder, seit 1983 wird das an verschiedenen Opernhäusern auch wieder verwendet, allerdings meist doch auch mit Kürzungen, die jedoch weniger ins Gewicht fallen. Das große dramaturgische Problem ist, dass weder Puccini noch Alfano eine Musik für den Kuss gefunden haben. Daher hat Luciano Berio 2002 eine eigene Fassung des Schlussduetts herausgegeben, die inzwischen ebenfalls gelegentlich gespielt wird; sie hat außerdem den Vorteil, dass sie weit weniger bombastisch endet als das Original von Alfano. Hier kann man das Finale in der Version von Berio hören (inklusive »In questa reggia«). Hier ist zum Vergleich das Orginal von Franco Alfano zu hören. Es gibt eine ganze Reihe von Videos der gesamten Oper bei YouTube, es hat mich aber keine so beeindruckt, dass ich sie hier empfehlen wollte. Machen Sie sich gerne selber auf die Suche, indem Sie neben »Turandot« und »Puccini« noch den Naen Ihres Lieblingssängers oder Ihrer Lieblingssängerin eingeben, die gerne hören möchten.

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