Dienstag, 15. März 2022

Die Meistersinger von Nürnberg

In diesem Post werde ich historische und auch einige neuere Ton- und Videoaufnahmen vorstellen. Fangen wir ganz vorne an: Ein YouTube-User mit dem sprechenden Namen Music Lover hat sich die Mühe gemacht einige ganz alte Schallplatten aus der Ära der akustischen Aufnahmetechnik hier zusammenzustellen. Eine knappe Stunde können Sie den internationalen Stars von 1900 lauschen, Anton van Rooy, Leopold Demuth, Theodor Bertram, Ernst Kraus und anderen; dabei ist auch einer der wenigen Sänger, die noch mit Wagner selbst gearbeitet haben, wenn auch nicht an den Meistersingern. Hermann Winkelmann, der erste Sänger des Parsifal singt drei Ausschnitte aus dem 3. Akt der Meistersinger. Man braucht natürlich sehr strapazierfähige Ohren, um diese Aufnahmen zu genießen. 

Fahren wir fort mit einem speziellen Interpretationsvergleich. 1943 brachten die »alten« Bayreuther Festspiele zum letzten Mal eine Neuinszenierung heraus, Die Meistersinger von Nürnberg. Wilhelm Furtwängler dirigierte, die Büghnenilder stammten von Wieland Wagner. Der Rundfunk übertrug mehrere Aufführungen live, allerdings mit ein paar Unterbrechungen – die Nachrichten durften anders als heute bei Fußballübertragungen nicht verschoben werden. Bei den Aufzeichnungen wurde erstmals mit Stereo experimentiert. 1951 begann die Ära »Neu-Bayreuth« mit u. a. wieder Die Meistersinger von Nürnberg, dirigiert von Herbert von Karajan und in Bühnenbildern von Hans C. Reißiger. Wieland Wagner konzentrierte sich ganz auf Parsifal, den er inszenierte und ausstattete. Hier der Vergleich: Furtwängler 1943 vs. Karajan 1951. Wenn Sie nicht so viel Zeit haben, die Oper zwei Mal komplett anzuhören, spulen sie vor zu Ihren Lieblingsstellen. Der Unteerschied ist nicht zu überhören. Und das liegt nicht nur an den Dirigienten; die sind gar nicht so unterschiedlich, für Karajan blieb Furtwängler immer ein Vorbild. Und wenn es Jaro Prohaska auch immer leichter fiel, pointiert zu artikulieren, als Otto Edelmann, dem die Partie streckenweise hörbar zu hoch liegt und der deshalb gern in das Lyrische wechselt, so ist ganz klar, dass die Richtung in der Wagner-Interpretation geändert hatte. Die alte Interpretation, bei der unter gar keinen Umständen eines der geheiligten Worte des Meisters verloren gehen durfte, musste einer Konzentration auf die Melodie weichen, bei der notfalls die Worte, denen man jetzt ohnehin mit einer gewissen Skepsis entgegentrat, auch ins Ungefähre verschwinden konnten. Man kann die Interpretation Prohaskas für »pathetisch« halten, wie es oft beschrieben wird, aber sie ist unzweifelbar auch ein Dokument der Zeit, in der in der Sowjetunion, der »sozialistische Realismus« erfunden wurde. Wer sich also an den Gesangsstil an der Komischen Oper Berlin in den 50er und 60er Jahren erinnert fühlt, ist nicht ganz falsch. Edelmann und Karajan sind hingegen auf einer damals neueren Spur. In dieser Zeit wurde der »Wiener Mozart-Stil« entwickelt, der auf Mozart ebenso klassizistisch zugreift wie hier auf Wagner zugegriffen wird. Die Ouvertüre gibt es mit Furtwängler auch als Video. Dieser NS-Propagandafilm zeigt ihn im AEG-Werk in einer Aktion für »Kraft durch Freude«. Und 1943 wurde noch eine andere Aufführung in Bayreuth aufgezeichnet, die nicht Furtwängler dirigierte, sondern Hermann Abendroth, und statt Jaro Prohaska sang Paul Schöffler den Hans Sachs. Vergleicht man in beiden Aufnahmen den besonders heiklen Monolog »Verachtet mir die Meister nicht«, schleicht sich noch ein anderer Verdacht ein: versucht schon Prohaska so schnell wier möglich darüber hinweg zu kommen, als ob er ahnte, dass es mit der deutschen Überlegenheit schon aus ist, so hetzt Schöffler regelrecht darüber hinweg. 

Karajan hat später Die Meistersinger von Nürnberg noch oft dirigiert, im Studio etwa in einer seltenen Ost-West-Kooperation mit der Dresdner Staatskapelle, Helen Donath, René Kollo und Theo Adam sangen die Hauptpartien und natürich Peter Schreier, und 1975 in Salzburg, ebenfalls mit Schreier und Kollo, aber mit Gundula Janowitz und Karl Ridderbusch.

Gehen wir noch einmal zurück zu den Anfängen der elektrischen Aufnahmetechnik. 1927 bis 1931 nahm Friedrich Schorr, einer der prominentesten Wagner-Sänger der Zeit, großere Ausschnitte aus dem 2. und 3. Akt der Meistersinger auf. Einige der Aufnahmen entstanden in Berlin mit der Staatskapelle unter Leo Blech, andere in London mit Lawrence Collingwood, Albert Coates und John Barbirolli; die übrigen Partien wechselten, Elisabeth Rethberg und Elisabeth Schumann waren Evchen, Lauritz Melchior und Rudolf Laubenthal Walther. Hier ist eine Zusammenstellung der Aufnahmen. 1938 nahm Karl Böhm in Dresden den kompletten 3. Akt auf mit Margarethe Teschemacher, Torsten Ralf und Hans-Hermann Nissen. Später hat er die Oper öfter in Bayreuth dirigiert, 1964 mit Anja Silja, Sandor Konya und Josef Greindl, 1968 mit Gwyneth Jones, Waldemar Kmentt und Theo Adam.

Und nun noch eine letzte Tonaufnahme, bevor wir zu den Videos kommen: 1967 hat der Bayerische Rundfunk aus Anlass der bald bevorstehenden 100. Wiederkehr der Uraufführung in München eine aufwändige Studioaufnahme vorgenommen. Rafael Kubelik dirigierte, es sangen Gundula Janowitz, Sandor Konya, Gergard Unger, Thomas Stewart und Thomas Hemsley. Später ist die Aufnahme dann glücklicherweise auch auf CDs veröffentlicht worden. Und die Aufnahme begleitet mich seit der ersten Sendung im Bayerischen Rundfunk 1968 und hat nichts an der Faszination verloren, die vor allem in der unendlichen Sorgfalt liegt, mit der jedes Detail herausgearbeitet ist.

Die gleiche Sorgfalt ließ Götz Friedrich seiner Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin angedeihen, die 1995 unter der Musikalischen Leitung von Rafael Frühbeck de Burgos aufgezeichnet wurde, der sich auch auf eine Münchner Tradition berufen konnte, die seines Lehrers Kurt Eichhorn: 1. Akt, 2. Akt, 3. Akt. Die erste Inszenierung von Götz Friedrich in Stockholm war ebenfalls vom Fernsehen übertragen worden, leider ist diese Aufzeichnung aber bei YouTube nicht zu finden. Man könnte sehr gut die Weiterentwicklung der Grundidee verfolgen. Die Versöhnung am Ende mit dem Handschlag zwischen Sachs und Beckmesser, war auch schon da, aber das spezifische Bewusstsein für Nürnberg als Ort des Missbrauchs von Wagner für nationalsozialistische Zwecke noch nicht so sichtbar. In dem Zusammenhang soll eine Peinlichkeit nicht verschwiegen werden: es gibt einen Filmausschnitt aus dem Deutschen Opernhaus von 1935, wo Karl Böhm für Goebbels Ouvertüre und Finale mit Wilhelm Rode als Sachs, der alles auf die entsprechende Ideologie ausrichtet, dirigiert.

Viele Jahre sang Bernd Weikl an allen großen Opernhäusern den Hans Sachs. Später hat er die Oper sogar einmal selbst inszeniert, was man auch auf YouTube sehen kann. Hier aber die kreuzbrave Inszenierung von Wolfgang Wagner aus dem Jahre 1984. Ganz etwas anderes ist natürlich die Iszenierung von Barrie Kosky von 2017.

Darüber am Mittwoch mehr in der Alten Feuerwache,
Ihr Curt A. Roesler

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