Drei Mal haben wir uns in den letzten Jahren mit Franz Schreker befasst. 2018, hundert Jahre nach der Uraufführung in Frankfurt setzte die Komische Oper Berlin Die Gezeichneten auf den Spielplan; als die Deutsche Oper Berlin Der Zwerg von Alexander von Zemlinsky herausbrachte, kamen wir noch einmal darauf zurück, denn das Libretto hatte Schreker ursprünglich für ihn geschrieben. Viele Jahre davor hatte die Staatsoper Unter den Linden Der ferne Klang gespielt. Gewiss war damals auch in den Zehlendorfer Operngesprächen davon die Rede, aber wir kamen 2019 noch einmal darauf zurück, als das Opernhaus in Frankfurt am Main dieses Werk wieder spielte und einige von uns auch dahin fahren wollten. Die Gezeichneten ist die Oper von Schreker, die bei der Uraufführung (noch vor dem Ersten Weltkrieg) am meisten Aufsehen erregte – viel Opposition auch wegen des skandalträchtigen Stoffes. Der ferne Klang ist der Titel, der am engsten mit dem Namen Schreker verbunden ist: die Suche nach dem ultimativen Klangerlebnis manifestiert sich schon im Titel. Der Schatzgräber war einst die populärste Oper von Schreker. Über 350 Mal wurde sie von der Uraufführung bis zum Verbot 1933 gespielt. Vor zwei Wochen haben wir schon einmal ein ähnliches Werk betrachtet (inzwischen war die Premiere an der Komischen Oper), Schwanda der Dudelsackpfeifer. Auch diese Oper gehörte bis in die dreißiger Jahre zu den beliebtesten zeitgenössischen Opern. Es gibt allerdings bemerkenswerte Unterschiede: der weitaus größte Teil der Schatzgräber-Aufführungen waren zwischen der Uraufführung 1920 und 1924 und alle fanden im deutschsprachigen Raum statt, während Schwanda erst 1927 uraufgeführt wurde und es dann aber bis an die Metropolitan Opera schaffte.
1924 erfuhr Schreker bei der Urauführug seiner nächsten Oper, Irrelohe, einen unerwarteten Popularitätseinbruch; davon erholte er sich bis zu seinem Tod 1934 nicht mehr. Was aber hat sich 1924 gegenüber 1920 geändert? Einmal fand die Nachkriegsinflation und -hyperinflation in Deutschland mit der Einführung der Rentenmark ein vorläufiges Ende. In der Kunst baute sich die »neue Sachlichkeit« auf und löste den Expressionismus ab. Mit Intermezzo brachte Richard Strauss eine erste »Zeitoper« heraus; der Begriff wird es erst drei Jahre später geprägt, aber was ist Intermezzo anderes als eine Zeitoper. Keine besonders erfolgreiche übrigens, aber ein wenig ist auch Strauss, zumindest eine Zeitlang, Opfer seines eigenen (Rosenkavalier)-Erfolges, wie später Weinberger Opfer des Schwanda-Erfolges ist.
Eine wirkliche Zeitoper hat Schreker nie geschrieben – anders als eben Strauss, Hindemith, Krenek und sogar Schönberg. Wie Schwanda ist Der Schatzgräber eine Märchenoper, allerdings weit entfernt von etwa Hänsel und Gretel oder den zahlreichen Opern von Richard Wagners Sohn Siegfried. Das Märchen das er sich für den Schatzgräber ausgedacht hat, soll eher auf dem Pfad von Tristan und Isolde gehen. Darauf deutet auch die Verwendung des »Tristan-Akkordes« und die rein instrumentale Liebesnacht von Els und Elis. Eingeteilt ist die Handlung mit nicht weniger als 21 Personen (und Chören) in vier Akte nebst Vor- und Nachspiel. Das Vorspiel und der vierte Akt spielen am Königshof, der erste und dritte Akt und das Nachspiel im Bereich der Els und der zweite Akt auf einem Platz in einer dem König zugehörigen Stadt. »Schauplatz der Handlung: ein deutsches Königreich. Zeit der Handlung: Mittelalter.« Die vier Akte sollen innerhalb einer Woche spielen, das Vorspiel etwa acht Wochen früher, das Nachspiel ein Jahr später. Die Hauptpersonen heißen Els und Elis, hoffentlich vertippe ich mich gleich nicht, wenn ich versuche, den Inhalt darzustellen. Else hieß ein junges Mädchen, das Schreker in den Sommerferien 1915 in Siebenbürgen Vokslieder und Balladen singen hörte, was ihn offenbar zur Konzeption der Oper anregte.
Der Schmuck der Königin ist verschwunden. Der Schmuck dient allerdings nicht nur der Schönheit, er verleiht der Königin auch ewige Jugend und Fruchtbarkeit, das heißt die Königin ohne Schmuck ist für das Königreich wie die Götter ohne Freias Äpfel im Rheingold. (Die Anspielung an Wagner ist gewollt.) Der Narr hat die Lösung: er weiß von einem fahrenden Sänger, Elis, dessen Laute ihn zu verborgenen Schätzen führt. Gegen die Zusage, sich dann eine Frau aussuchen zu können, macht er sich auf die Suche nach Elis. – Els soll auf Geheiß ihres Vaters den Junker heiraten, der sich ihr bereits übergriffig nähert. Sie verspricht ihm, ihn zu erhören, wenn er ihr vom Hehler in der Stadt den Schmuck der Königin bringt, der ewige Jugend verleiht. Der macht sich auf, aber Els beauftragt den Knecht Albi, den Junker auf dem Nachhauseweg zu erschlagen. Wie wir erfahren, hat er das schon mit zwei früheren Freiern gemacht. Die Gäste bereiten sich auf die Hochzeit vor, als Elis hereinkommt. Er singt ein Lied, das niemandem außer Els gefällt. Er zeigt den Schmuck, den er im Wald gefunden hat, da wird der Mord entdeckt. Er wird vom Vogt sofort verdächtigt. Da der Vogt Els auch liebt, verhaftet er den Elis sofort, er ist ja sein Nebenbuhler. – Im Morgengrauen trifft Els am Galgenplatz auf den Narren. Der verliebt sich sofort in sie und verspricht ihr trotzdem, Elis zu retten. Auf den Rat von Els erbittet Elis als letzten Wunsch noch einmal singen zu dürfen. Wieder gefällt sein Gesang nicht besonders und die Zuschauer verlangen sogar eine beschleunigte Hinrichtung, aber die Rettung trifft gerade noch rechtzeitig ein: Der Bote des Königs befreit ihn, denn er soll ja den Schmuck der Königin finden. Jetzt erfährt Els von Albi, dass der Schmuck, den Elis gefunden hat, der Schmuck der Königin ist. Daher beauftragt sie ihn, ihm die Laute zu rauben, damit er ihn nicht wiedeer findet. – Els singt das alte Wiegenlied von ihrer Mutter; Elis besucht sie, verzweifelt, weil er ohne Laute seine königliche Aufgabe nicht lösen kann. Els zeigt sich ihm in der Liebesnacht im vollen Schmuck und liefert ihn ihm am Ende sogar aus gegen das Versprechen, nie zu fragen, woher sie ihn hat und ihm immer zu vertrauen. – Elis hat der Königin den Schmuck gebracht, ein großes Fest wird gefeiert. Er wird gezwungen, zu erzählen wie er ihn gefunden hat. Er vergisst sich dabei und fordert in der Erinnerung an die wunderschöne Liebesnacht mit Els den Schmuck zurück. Er soll schon wegen Majestätsbeleidigung verhaftet werden, da geht der Vogt dazwischen. Er hat von Albi ein Geständnis erpresst und verlangt die sofortige Hinrichtung von Els. Nun rettet sie aber der Narr, indem er vom König das Versprechen einfordert, sich eine Frau auszusuchen; das soll Els sein. Els hofft vergeblich auf die Verzeihung von Elis, doch der wendet sich stumm ab. – Els liegt im Sterben. Der Narr hat Elis aufgetrieben, der ihr nun mit einem Lied das Sterben erleichtert.
In der Uraufführung am 21. Januar 1920 sangen in Frankfurt am Main John Gläser und Emma Hutt das Paar. In der von Leo Blech dirigierten Erstaufführung an der Berliner Staatsoper, sang Vera Schwarz die Els. Später aber wurde die Interpretin der Els Maria Schreker. 1927 wurde eine Schallplattenaufnahme vom Wiegenlied der Els mit der Staatskapelle unter der Leitung von Franz Schreker gemacht. In den 60er Jahren wurde die Aufnahme auch auf LP veröffentlicht (zusammen mit Szenen aus Der ferne Klang und Die Gezeichneten und weiteren Aufnahmen von Wagner, Verdi und Puccini). Leider gibt es das Album von »Lebendige Vergangenheit« nicht auf CD. Daher gibt es sie auch nicht bei den Streamingportalen. Leider hat sie auch niemand auf YouTube hochgeladen. Und überhaupt gibt es bei YouTube nur wenig vom Schatzgräber zu hören und zu sehen. Auch die beiden älteren Rundfunkaufhnahmen vom ORF (1968 unter der Leitung von Robert Heger und 1985 unter der Leitung von Lothar Zagrosek) sind nicht zu finden. Lediglich die beiden bisher einzigen Ton-Gesamtaufnahmen unter Gerd Albrecht (1989) und Marc Albrecht (2013).
Bis Mittwoch! Ihr Curt A. Roesler
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