Montag, 28. Februar 2022

Giuseppe Verdi: Falstaff

2013 hat die Deutsche Oper Berlin ihre letzte Neuinszenierung herausgebracht, 2018 die Staatsoper, jetzt ist die Komische Oper dran. Falstaff ist also ein Werk, das von den Theaterschaffenden als essentiell für das Repertoire angesehen wird. Leider sehen das nicht alle Opernfreunde so und entscheiden sich im Zweifelsfall eher für Carmen oder Aida, für La Bohème oder Die Zauberflöte. Das sagen zumindest die Aufführungsstatistiken. Trotzdem: Falstaff gehört zur Tradition der Komischen Oper, selbstverständlich muss sie eine Inszenierung im Repertoire haben. 1952 war Falstaff die 12. Inszenierung von Walter Felsenstein an der Komischen Oper – die Aufführungen mit Hans Reinmar wurden legendär. Es wurde natürich in deutscher Sprache gesungen. So klingt das mit Hans Reinmar in einer zwei Jahre vorher entstandenen Aufnahme mit dem Kölner Rundfunkorchester unter Georg Solti. Da man in dieser Aufhanme buchstäblich jedes Wort versteht, ist die Aufnahme eine gute Vorbereitung auf den Opernbesuch, wo man zwar den Text in der Rückenlehne lesen, aber nicht gleichzeitig auf die Bühne schauen kann. Georg Solti war natürlich nicht für monatelange Probenarbeiten in die Trümmerstadt Berlin zu locken, aber Hans Reinmar war ja seit 1928 Enseblemitglied der Städtischen Oper und die Sektorengrenze war noch offen für alle jene, die nicht allzu offensichtlich aus der DDR fliehen wollten. Es dirigierte Arthur Grüber, auch er ehemals an der Städtischen Oper engagiert, der von 1947 bis 1955 1. Kapellmeister der Komische Oper war, ehe die DDR verließ.

Die klassische Inszenierung von Götz Friedrich wurde als Kinofilm einst auf VHS-Kassetten vertrieben, eine DVD hat es bisher nach meiner Kenntnis nicht gegeben, von der Deutschen Oper wurde sie natürlich nicht in die Reihe aufgenommen, es singt zwar der Chor der Deutschen Oper Berlin, aber es spielen die Wiener Philharmoniker unter Georg Solti. Hier gibt es sie aber bei YoutTube mit deutschen Untertiteln. Dieser Falstaff ist im Studio produziert worden, es gibt jedoch viele Parallelen zu der Inszenierung von Götz Friedrich, die viele Jahre an der Deutschen Oper Berlin gespielt wurde.

1913, zum hundertsten Geburtstag wurde in dem kleinen oberitalienischen Städtchen Bussetto, zu dem der Landsitz Verdis Sant'Agata gehört, ein Opernhaus errichtet. In diesem Opernhaus spielte man 1901 zum 100. Todestag Verdis Falstaff. Hier eine Aufzeichnung dieser sehr konventionelle Inszenierung bei YouTube. Ambrogio Maestri, einer der seit 20 Jahren überall die Partie des Falstaff singt, singt hier die Titelpartie. Da lohnt es sich vielleicht in eine halbszenische Aufführung zu schauen mit dem anderen prominenten Sänger dieser Partie, Bryn Terfel, er hat 2017 es im Gasteig gesungen, hier der Link. Es gibt noch viele weitere Aufnahmen bei YouTube. Ich möchte nur noch diese mit Tito Gobbi (und Fedora Barbieri als Quickly) hervorheben.

Verdi hat nur zwei Komödien vertont, die fast vergessene »opera buffa« Un giorno di regno, seine zweite Oper überhaupt von 1840, und die allerletzte Oper Falstaff. Heiter oder spöttisch geht es allerdings auch in einigen seiner »melodrammi« zu, so enthält Un ballo in maschera einen Lachchor, und La forza del desetino die berühmte Kapuzinerpredigt, die Schiller in seinen Wallenstein setzte. Nur kurz dauerten jeweils die Überlegungen, 1850 für London The Tempest zu komponieren und 1868 für Paris Tartuffe. 1851 wurde ein »buffone« Hauptfigur in einer tragischen Oper, Rigoletto. 1869 entschied er sich gegen Trartuffe und für Aida. Aber am Ende kam er auf seinen Wunsch, auch einmal eine Komödie zu schreiben, zurück, wenn es auch noch eines Anstoßes durch den Librettisten Arrigo Boito bedurfte. Verdi bestand während des ganzen Schaffensvorgangs darauf, dass er nur zu seinem eigenen Vergnügen schreibe. Dass er die Arbeit immer wieder unterbrach, und auch nicht streng in der Reihenfolge blieb, also etwa den 2. Teil des dritten Aktes in der Komposition vorzog, ist der flüssigen Musik nicht anzumerken.

Verdi liebte es, Shakespeare als »Papà« zu bezeichnen, also als denjenigen, der schon alle Theatertricks viel früher erfunden hat, und von dem man nur lernen kann. Notorisch ist seine lange Arbeit an einem Re Lear, der in seiner Korrespondenz schon 1843, also lange vor Macbeth, auftaucht. 1850 begann er ernsthaft daran zu arbeiten, unterbrach dies aber wieder, um die drei Opern zu komponieren, die seinen Ruhm schießlich ins Unermessliche steigern sollten: Rigoletto, Il trovatore, La traviata. 1853 war, nach dem Tod von Salvatore Cammarano, der schon Il trovatore nicht vollenden konnte, ein Wechsel des Librettisten notwendig. Verdi arbeitete daher nun mit Antonio Somma erneut an einem König Lear, was wiederum durch einen wichtigen Auftrag unterbrochen wurde – Les vêpres siciliennes. Am konkretesten wurden die Planungen um 1856, als er mit dem Teatro San Carlo in Neapel über diesen Stoff verhandelte. Aber letztlich war Verdi mit der angebotenen Besetzung nicht einverstanden und schwenkte auf Un ballo in maschera um – der allerdings in Neapel auch nicht zur Uraufführung kam, sondern in Rom. Mit dem Tod von Antonio Somma 1866 kam das Projekt erst einmal zu, stehen, aber auch um 1880 dachte Verdi noch einmal daran. Später jedoch wohl kaum noch. Als nach der Uraufführung des Falstaff Gerüchte die Runde machten, Verdi und Boito würden schon wieder an einer Shakespeare-Oper breiten, nämich eben an einem Re Lear, waren dies wirklich nur Gerüchte. Für Verdi stand fest, dass sein Bühnenwerk mit Falstaff beendet sein sollte. Danach komponierte er nur noch vier geistliche Werke, 1895 ein Ave Maria, das er 1898 um ein Stabat mater, Laudi alla vergine Maria und ein Tedeum zu den Quattro pezzi sacri ergänzte.

Die historische Figur, die hinter dem Namen Falstaff steht, ist ein englischer Ritter, der im hundertjährigen Krieg gegen Johanna von Orléans gekämpft hat, Sir John Fastolf (ca. 1380 – 1459). 1426 wurde er in den heute noch bestehenden und von Elizabeth II. angeführten Hosenbandorden aufgenommen. 1440 kehrte er endgültig nach England zurück und beteiligte sich an den Rosenkriegen an der Seite von Richard Plantagenet, dem Vater der künftigen Könige Edward IV. und Richard III. Shakespeare verwendete den Namen Fastolf im 1. Teil seines Heinrich VI., den als erstes seiner Geschichtsdramen um die Häuser York und Lancaster schrieb. Später, also in den drei Teilen von Heinrich IV., nannte er ihn Falstaff, so  auch in der Komödie Die lustigen Weiber von Windsor, die er 1597/98 angeblich auf Wunsch von Elizabeth I. schrieb, die sich sehr über den sauflustigen alten Ritter amüsiert hatte. Die Figur, die Shakespeare aus der Vorlage entnahm, dem 1594 veröffentlichten Drama The Famous Victories of Henry the fifth: Containing the Honourable Battel of Agin-court: As it was plaide by the Queenes Maiesties Players, ist die historische Figur John Oldcastle. Die Änderung des Namens in erst Fastolf und dann Falstaff erfolgte möglicherweise auf Verlangen von Nachkommen des Oldcastle, dessen Ehre sie verletzt sahen. Oldcastle ist allerdings historisch eine ganz andere Figur als Fastolf. Er gehörte der Sekte der Lollarden an und konnte schließlich auch von der Freundschaft des inzwischen Heinrich V. gewordenen Prince Hal nicht mehr geschützt werden. 1417 wurde er als Ketzer verbrannt. Auch war er nie Mitglied des Hosenbandordens. Weder Oldcastle, noch Fastolf aber konnten in der »Boar's Head Tavern« saufen oder sonst ihr Unwesen treiben, die nämlich wurde erst im 16. Jahrhundert gebaut und brannte im großen Feuer 1666 wieder ab. Sie war ein beliebtes Ausflugsziel von Shakespeare und seinem Publikum.

Boito und Verdi waren längst nicht die ersten, die The Merry Wives of Windsor zur Grundlage eines Musiktheaterwerks machten. Bekannt sein dürfte Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai, uraufgeführt 1849 in Berlin. Auch gelegentlich gespielt wird Falstaff, ossia Le tre burle von Antonio Salieri. Ziemlich vergessen sind jedoch die Falstaff-Opern von Michael William Balfe (1838) und Adolphe Adam (1856). Die älteste bekannte Vertonung stammt von dem französischen Komponisten Louis-August Papavoine (1761). In den 20er Jahren des 20. Jahrhundert haben es zwei berühmte englische Komponisten versucht: Gustav Holst At the Boar's Head (1925, Einakter nach Henry IV.) und Ralph Vaughan Williams Sir John in Love (1929)

Falstaff von Giuseppe Verdi umfasst drei Akte zu jeweils zwei Bildern, also insgesamt sechs Bilder. Im ersten Bild lernen wir Falstaff und seine beiden Diener-Kumpane Bardolfo und Pistola kennen, sowie Dr. Cajus. Falstaff schreibt die zwei gleichlautenden Briefe an Alice und Meg und muss sie vom Pagen bringen lassen, weil Bardolfo und Pistola sich »wegen der Ehre« weigern. Daraufhin hält er ihnen einen Vortrag über »die Ehre« (»L'onore«). – Alice und Meg erhalten im zweiten Bild die Briefe, unterstützt werden sie von Mrs. Quickly, wenig Beachtung schenkt ihnen Alices Tochter Nannetta, sie ist verliebt in Fenton. Rachepläne entstehen, doch erst räumen die Damen das Feld für die Herren. Dr. Cajus möchte von Ford die Hand seiner Tochter, Fenton möchte das verhindern; Bardolfo und Pistola verraten Ford die Pläne Falstaffs. In einer zweiten Runde verinigt sich das Damen-Quartett und das Herren-Quintett zum Nonett. Quickly wird beauftragt, Falstaff zu einem Stelldichein mit den beiden Adressatinnen seiner Briefe einzuladen, da will man es ihm dann heimzahlen. – Quickly überbringt die Einladung, Falstaff freut sich auf das Abenteuer, aber er bekommt noch mehr Besuch. Ford kommt inkognito und stachelt ihn an, es ernsthaft bei Alice zu versuchen, denn wenn Falstaff beweisen könne, dass Alice untreu ist, dann könne sie ihn, »Signor Fontana« nicht mehr abweisen. – Alice wartet auf Falstaff; Meg, Quickly und Nannetta verstecken sich sofort, als er kommt. Er macht Alice den Hof, aber es dauert nicht allzulange, bis sich Meg anmeldet und so muss er hinter einem Wandschirm versteckt werden. Als unerwartet (für Alice) Ford eintrifft muss Falstaff in einem Wäschekorb untergebracht werden, während sich Fenton und Nannetta hinter dem Wandschirm einrichten. Ford lässt alles auf den Kopf stellen und findet natürlich – nicht Falstaff, sondern die beiden Liebenden. Er jagt Fenton aus dem Haus, und damit Falstaff nicht doch noch entdeckt wird, lässt Alice den Wäschekorb in die Themse ausleeren. – Mit Glühwein wärmt sich Falstaff auf, da kommt Quickly wieder und lädt ihn zu einem neuen Abenteuer ein. Er soll um Mitternacht als Schwarzer Jäger verkleidet zur großen Eiche in den Park von Windsor kommen, dort werde ihn Alice erhören. – Im Park von Windsor treffen sich die Bürger zu einem ausgelassenen Fest. Allerhand Mummenschanz ist vorbereitet, Ford etwa hat die Verlobung von Cajus mit Nannetta arrangiert, und Falstaff soll natürlich von allen gefoppt werden. Cajus aber gerät an Bardolfo, während Fenton schon die richtige Braut findet. Als Falstaff sein Kostüm verliert, ist klar, dass er kein Naturgeist ist, sondern ein Mensch und der wird nun von allen gezwickt. Aber er macht gute Miene, den alle hätten ja gar nichts zu lachen, wenn er sich nicht lächerlich gemacht hätte. Und überhaupt ist doch alles nur ein Witz: Schlussfuge »Tutto nel mondo è burla.«

Das sind unsere Themen für Mittwoch,
herzlich, bis dann, Curt A. Roesler

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