Die Winterferien sind vorbei, es geht weiter mit dem Kurs. Science Fiction steht auf dem Programm, wenngleich einem der Begriff im Zusammenhang mit Leoš Janáček nicht gleich einfällt. Zu seinem speziellen Realismus, der sich auch musikalisch in den »Sprachmelodien« manifestiert, scheint Utopisches oder vermeintlich Realitätsfernes nicht zu passen. Und doch setzte er in seinen Werken immer wieder eine ideale, gerechte Welt dem Chaos und der Ungerechtigkeit der Gegenwart entgegen. Und zwei Mal wählte er dafür Sujets aus der utopischen Literatur. Beides sind Komödien, bittere Komödien, um genauer zu sein. Das erste Sujet stammt von Svatopluk Čech und kombiniert zwei seiner Erzählungen zu Výlety páně Broučkovy (Die Ausflüge des Herrn Brouček), eine zweiteilige Oper, die er zwischen 1908 und 1917 komponierte. Das zweite stammt von Karel Čapek, dem tschechischen Science-Fiction-Klassiker von dem der Ausdruck »Roboter« stammt. Der war 1921 bis 1923 Dramaturg und Regisseur am Prager Theater in den Weinbergen (heute Prager Stadttheater), wo er einige seiner Bühnenwerke herausbrachte. Am Prager Nationaltheater war schon Anfang 1921 R. U. R. herausgekommen; der Titel ist eine Abkürzung für Rossumovi Univerzální Roboti (Rossums Universalroboter oder auch in anderer Übersetzung Werstands Universal Robots). »Robota« heißt »schwere Arbeit« und »Roboter« wurde fortan ein Begriff für einen mechanischen Arbeiter. Im Juli 1923 besuchte Janáček im Prager »Theater am Weinberg« eine Aufführung der am 21. November 1922 uraufgeführten Komödie Věc Makropulos und entschied sich sofort dafür, diese zur Grundlage seiner nächsten Oper zu machen. Er wandte sich an den Autor der erst skeptisch war, ob sich seine wortreiche Komödie überhaupt zur Vertonung eigne, aber nichts dagegen hatte. Die Verhandlungen mit František Xaver Šalda um die Vertonung von dessen ebenfalls ganz neuer Komödie Dítě hatten sich damit erledigt; Šalda zierte sich ohnehin.
An der Oberfläche ist Věc Makropulos (Die Sache Makropulos) eine Gerichtskomödie um einen »Jahrhundertprozess« im wörtoichen Sinn; das Thema aber ist der menschliche Wunsch nach Unsterblichkeit. Prag ist der plausibelste Ort, an dem sich die Geschichte ereignen kann, obwohl die Stadt im Libretto gar nicht erwähnt wird. Sie nimmt nämlich ihren Ausgang beim Habsburger Kaiser Rudolf II., der seine Residenz 1583 auf dem Hradschin einrichtete. In seiner Umgebung blühte nicht nur die Wissenschaft mit Tycho Brahe und Jonahhes Kepler, sondern auch Okkultes und besonders die Alchemie. Vor allem ging es dabei darum, aus minderwertigen Metallen Gold herzustellen. Aber auch einen Weg zu ewiger Jugend sollten die Alchemisten finden. Das mit der ewigen Jugend hat ebensowenig geklappt wie das mit dem Gold, obwohl der Kaiser ein Medikament verabreicht bekam und die Versuche der Goldherstellung nicht enden wollten. Zu Rudolfs Umgebung gehört auch Rabbi Löw, der angeblich einen Golem (also so etwas wie ein Roboter) geschaffen hat.
In diese Umgebung passt der griechische Arzt Hieronymos Makropulos, eine Erfindung Čapeks und Ausgangspunkt seiner Komödie Věc Makropulos. Dass niemand jemals etwas von ihm gehört hat, scheint durchaus plausibel, denn er wurde von Rudolf II. in den Kerker geworfen und kam dort ums Leben, nachdem seine Erfindung scheinbar nicht funktioniert hatte. Er wurde nämlich dazu gezwungen, so Čapek, die Erfindung zuerst an seiner Tochter Elina auszuprobieren. Diese fiel in todesähnlichen Schlaf und wurde für tot gehalten. Sie wachte aber wieder auf und floh unerkannt mit dem Rezept nach Ungarn. Das alles erfahren wir in der Komödie und in Janáčeks Oper erst gegen Ende. Spannender als in jeder Anwaltsserie wird alles erst nach und nach enthüllt. Wir stehen, wie von Emilia Marty, der gegenwärtigen Gestalt Elina Makropulos', genauestens vorgerechnet, an einem Punkt 337 Jahre nach der Verabreichung des Wundermittels. Elina wurde eine gefeierte Bühnenkünstlerin, um aber nicht aufzufallen verschwand sie regelmäßig nach einer gewissen Zeit und tauchte an einem anderen Ort unter neuem Namen wieder auf. Die Initialen ihrer Künstlernamen blieben jedoch immer E. M., so konnte sie Besitztümer, die sie eingraviert oder aufgestickt hatten, weiter benutzen.
Wie in einem klassischen französischen bzw. antiken Drama konzentriert sich die Handlung auf »einen Sonnenlauf«, und nicht nur diese »Einheit« ist gewahrt, sondern auch die des Ortes und der Handlung. Wir nähern uns dem Kosmos der Elian Makropulos auf drei Stationen: im 1. Akt begenen wir den verstaubten Akten des namengebenden Prozesses, der wiederaufgenommen werden soll, in einer Kanzleistube. Der Gehilfe Vítek durchsucht die Regale, während der Kläger Albert Gregor ungeduldig wartet. Die Tochter des Gehilfen stürmt herein und schwärmt von einer Opernaufführung mit Emilia Marty, die selbst alsbald von dem Chef der Kanzlei mitgebracht wird (das Libretto schreibt für ihren Auftritt ein »seltsames Licht« vor). Sie interessiert sich für den Prozess und hat unerklärliches Detailwissen über die schon längst verstorbenen ursprüngichen Kontrahenten. Sie macht den Rechtsanwalt auf ein Geheimversteck mit Briefen aufmerksam, die in dem Prozess hilfreich sein könnten (und wo sie ein für sie interessantes Dokument vermutet). Wie alle schwärmt Gregor für die Marty, sie lässt aber seine Avancen vorerst abblitzen, sie will ja nur an das Dokument. Jaroslav Prus ist überzeugt, dass er nun den Prozess verloren hat. Der 2. Akt ist die Bühne, auf der Emilia Marty ihre Triumphe feiert. Die Vorstellung ist vorbei. Eine Putzfrau und ein Maschinenmeister unterhalten sich über den Erfolg der Marty. Nach und nach kommen alle, die mit ihr zu tun haben auf die Bühne als wäre es die Garderobe. Zuerst sind es Krista und und ihr Verehrer Janek, der junge Prus. Dann der Vater Prus, ehe die Marty selbst kommt und gleich darauf auch Gregor, den sie inzwischen fest an sich gebunden hat. Marty führt sich als Diva auf und wird erst etwas milder als der Diplomat Hauk-Šendorf dazu kommt, den sie aus früheren Zeiten zu kennen scheint. Sie schickt alle weg bis auf Prus, der inzwischen im Besitz der für sie interessanten Dokumente ist und nun doch glaubt, vorerst seinen Familienbesitz behalten zu können. Er will das Dokument nicht herausgeben und so versucht sie, als er gegangen ist, erst Gregor und dann Janek dazu zu verführen, das Dokument für sie zu stehlen. Der zurückkehrende Prus bekommt das mit und schickt seinen Sohn weg. Für eine Nacht mit Emilia, ist er selbst bereit, das Dokument herauszugeben. Im 3. Akt begeben wir uns quasi auf die Reise: wir sind im Hotel, wo Prus die Nacht mit Emilia verbracht hat. Enttäuschend mit einer seelenlosen Frau, aber das Dokument gibt er wie versprochen heraus. Auch die Reaktion auf Janeks Selbstmord zeigt, dass sie nichts fühlt. Im Abgehen trifft Prus auf Hauk-Šendorf, mit dem Emilia die Abreise zu planen beginnt, der aber inzwischen gänzlich den Verstand verloren hat. Kolenaty ist inzwischen die Ähnlichkeit von Emilia Martys Autogramm mit den Untershriften auf den Dokumenten von Ellian MacGrogor aufgefallen und nach und nach löst sich das Rätsel um Emilias Existenz. Sie erklärt sich, aber ihre Kräfte schwinden, denn die Wirkung des geheimen Medikaments lässt nach, sie braucht das Rezept aus dem Dokument, um weiter leben zu können. Doch sie entschließt sich, es nicht zu verwenden und gbt es an Krista weiter, die ja auch eine berühmte Sängerin werden will. Die aber verbrennt es und Emilia Marty stirbt, endlich, nach 337 Jahren.
Das ist die Geschichte von Elina Makropulos. Am Mittwoch rekapitulieren wir einiges von dem, was wir schon anläßlich Katja Kabanova über Janáček gelernt haben und ergänzen es um Die Sache Makropulos.
Bis dann
Ihr Curt A. Roesler
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