Montag, 22. November 2021

Richard Wagner: Die Feen

Die Hochzeit war der erste Versuch Richard Wagners mit der Oper. Wie auch später schrieb er das Libretto selbst und wie auch später präsentierte er dieses Libretto seinem Umkreis um die Wirkung zu prüfen. Die Prüfiung fiel ungünstig aus, seiner älteren Schwester Rosalie, Schauspielerin am Leipziger Theater, gefiel gar nicht, was sich der 19jährige da aus von J. G. G. Büsching gesammelten Rittersagen zusammengebraut hatte. Deswegen vernichtete Wagner den Text und fing schnell etwas Neues an, Die Feen. Worum es in Die Hochzeit ging, kann in groben Zügen rekonstruiert werden. Die Handlung enthält schon eine ganze Reihe von Wagner-typischen Situationen, die freilich meist ganz anders aufgelöst werden als später. Zugleich mit der Hochzeit Adas wird ein Versöhnungsfest mit den Erzfeinden ihrer Familie gefeiert. Der Sohn des Erzfeindes verliebt sich in sie und dringt nachts in ihre Kammer ein. Sie wehrt sich und er stürzt vom Balkon. Auf der Totenfeier erscheint sie und sinkt an seinem Sarg »entseelt« zu Boden. Ihr Vater kann nun auf die brennende Frage, wer denn für den Tod des Feindes verantwortlich sei, problemlos auf die ebenfalls tote Tochter weisen. Ob sie im Sinne der bürgerlichen Moral der Untreue ihrem Bräutigam bzw. Gatten gegenüber schuldig sei, weil sie sich dem Eindringling vielleicht doch hingegeben hat, muss nicht mehr geklärt werden. Die Situation hat eine gewisse Nähe zu dem, was in Don Giovanni zwischen Donna Anna und Don Giovanni passiert oder auch nicht passiert, je nach Interpretation. Mit dem Unterschied, dass hier nicht der Vater auf der Strecke bleibt, sondern der Eindringling selbst.

Die Feen ist als Gegenstück zu Die Hochzeit zu sehen. Auffällig ist schon, dass nicht weniger als vier Namen von Haupt- und Nebenpersonen in das ganz andere Sujet übernommen wurden. Bei den Nebenpersonen (Lora und Harald) kann das Zufall sein, aber beim Hauptpaar Ada und Arindal ist die Absicht eindeutig, Die Hochzeit durch Die Feen zu ersetzen. Vorlage für Die Feen ist ein »tragicomisches Mährchen in drey Akten« (so der Untertitel in einer zeitgenössischen Übersetzung) von Carlo Gozzi. Den Titel La donna serpente (Die Frau eine Schlange) konnte Wagner schon deswegen nicht übernehmen, weil er die titelgebende Verwandlung der Fee Cherestanì in eine Schlange nicht übernahm, sondern sie zu Stein werden ließ. Ein ganz altes Strafmaß für Ungehorsam oder Verrat, das mehrfach in den Metamorphosen von Ovid vorkommt (dort aber immer den Schguldigen selbst trifft und nicht dessen Liebstes. In einer anderen »fiaba teatrale« von Carlo Gozzi, Il corvo, kommt die Verwandlung zu Stein auch vor, Wagner mag diese durch die Übersetzung seines Onkels kennengelernt haben und stimmig ist sie allemal, wie wir gleich sehen werden.

Die Vorgeschichte ist so märchenhaft wie die von Pelleas und Melisande oder Lohengrin: Der Thronerbe und spätere König von Tramond Arindal folgt beim Jagen bis in die Nacht einer Hirschin und findet sich plötzlich im Feenreich wieder, wo er statt der Hirschin Ada gegenüber steht – einer Fee. Die beiden verlieben sich und heiraten unter der Bedingung, dass Arindal 8 Jahre lang nie danach fragt, wer sie sei. (Beim späteren Lohengrin ist es dann Elsa, die nicht fragen darf und zwar überhaupt nicht, wie es zuerst aussieht, denn erst am Schluss sagt Lohengrin, dass ein Jahr genügt hätte.) Natürlich fragt Arindal vor Ablauf der Frist und wird unmittelbar wieder zurückversetzt in die Menschenwelt. 1. Akt, 1. Bild: Im Feengarten bereiten die Feen die unvermeidliche Trennung des Paares vor. 1. Akt, 2. Bild: Während Arindal in der Einöde, in die er ausgesetzt ist, vergeblich nach Ada sucht, können wir uns schon darauf konzentriern, die Namen Murold und Morald auseinanderzuhalten, was wir in der kommenden Szene brauchen. Morald ist der Verlobte von Arindals Schwester Lora. Zusammen mit Gunther sucht er in ebendieser Einöde Arindal, denn Tramond ist inzwischen von Murold, der Lora zur Frau begehrt, angegriffen worden. Murold tritt nicht sebst auf und wer weiß, ob es ihn überhaupt gibt. Vielleicht ist  der Krieg nur Blendwerk der Feen. Arindal wird auf jeden Fall zur Verteidigung des Landes gebraucht, zumal sein Vater vor Kummer über das Verschwinden des Sohnes gestorben ist. Als erstes treffen Morald und Gunther auf den Diener Gernot, der sie zu Arindal führt. Gernot, der so schnell wie möglich nach Tramond zurück will, weiß eine Geschichte von der bösen Hexe Dilnovaz. Er behauptet, Ada sei nichts anderes als eine solche Hexe. Weil das bei Arindal nicht zieht, verkleiden sich Gunther als Priester und Morald als Vater Arindals, doch sie werden durch zauberische Mächte entlarvt. Als Morald schließich ungeschönt berichtet, was in Tramond seit seinem Verschwinden geschah, ist Arindal zur Rückkehr bereit. 1. Akt, 3. Bild: Wieder im Feengarten, wohin Arindal erneut entrückt wurde, eröffnet ihm Ada, dass sie ihm folgen kann, wenn er schwört, sie am kommenden Tag, geschehe was wolle, nicht zu verfluchen. 2. Akt: Großes Wiedersehen am Hof von Tramond. Lora hat ihren Morald wieder, ihre Dienerin Drolla den Geliebten Gernot, der mit Arindal 8 Jahre verschwunden war. Und Ada erscheint vor Arindal, der ja geschworen hat, sie nicht zu verfluchen an diesem Tag. Sie erscheint jedoch als grausame Mutter, die ihre Kinder, die sie gemeinsam mit Arindal hat und die auch an den Hof von Tramond gekommen sind, in einen feurigen Abgrund stößt und als böse Fee Tramond mit Krieg überzieht. Natürlich verflucht Arindal sie jetzt und sie wird bestimmungsgemäß für 100 Jahre zu Stein. Sogleich entpuppt sich die Szene mit den Kindern als Blendwerk und der angebliche Krieg als Wohltat für Tramond. Arindal bleibt nur der Weg in den Wahnsinn. 3. Akt, 1. Bild: Morald und Lora herrschen jetzt über Tramond, da Arindal unfähig dazu ist. Der Zauberer Groma ruft Arindal zur Befreiung Adas auf, unterstützt von den Feen Farzana und Zemina, die hoffen, dass er dabei zugrunde geht und sie wieder mit ihrer Freundin Ada vereint werden. 3. Akt 2. Bild: Groma, der nur durch seine Stimme repräsentiert wird, hat Arindal in ein unterirdisches Feenreich geführt und mit Schild, Schwert und Leier ausgerüstet. Mit Schild und Schwert bezwingt er die Erdgeister und kommt in die Grotte mit Adas Versteinerung. Diese löst sich durch den Klang der Leier. 3. Akt. 3. Bild: Es ist nicht etwa so, dass Arindal jetzt Ada endgültig nach Tramond bringen kann, nein, wir sind im Feenreich, wo Ada auch bleiben muss. Und doch bleiben sie zusammen, denn Arindal erhält nun die Unsterblichkeit und gibt die Herrschaft über Tramond endgültig an Morald und Lola ab.

Musikalisch ist der 20jährige Wagner natürlich noch nicht auf der Höhe seiner Meisterschaft. Vorbilder sind unverkennbar. Etwa Der Templer und die Jüdin von Heinrich Marschner, 1829 in Leipzig uraufgeführt und ab dem Folgejahr in umgearbeiteter Form weiter im Repertoire. Oder auch Zampa von Ferdinand Hérold, 1831 in der Pariser Opéra-Comique uraufgeführt und 1832 als Novität in Wien auf dem Spielplan, als Wagner die Stadt für mehrere Wochen besuchte. Alles in allem aber überstrahlt die Qualität der Komposition das bemühte Vermeiden von Sprunghaftigkeit und die daraus resultierende proportionale Unausgewogenheit in der Dramaturgie – was man genauso auch über Der Templer und die Jüdin sagen könnte.

Von der Oper Leipzig findet sich hier ein Trailer zu der Produktion von 2013. Die komplette Musik kann man von zwei CD-Aufnahmen hören, die ältere, von Wolfgang Sawallisch im Bayrischen Rundfunk zu Wagners 100. Todestag dirigierte hier (Playlist), die jüngere (1998) aus dem Theater in Cagliari hier. Eine Rundfunkaufnahme von BBC 1976, die nicht auf CD erschienen ist gibt es hier. Auch die erwähnten Vergleichswerke sind bei Youtube zu hören: Der Templer und die Jüdin, vom ORF 1951 mit Georg Oeggl als Guilbert; Zampa aus Paris 2008 unter der Leitung von William Christie.

Wir sehen uns am Mittwoch, herzliche Grüße,
Ihr Curt A. Roesler

P.S. Die neuen Kurse für das erste Halbjahr 2022 können gebucht werden:

Zehlendorfer Operngespräche (Präsenzkurs, max. 5 Teilnehmende): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=623404

Zehlendorfer Operngespräche (online, keine Teilnahmebegrenzung): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=623405

Zehn Stationen der Musikgeschichte (Präsenzkurs, max. 5 Teilnehmende): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=622812

Zehn Stationen der Musikgeschichte (online, keine Teilnahmebegrenzung): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=628787

Igor Strawinsky (Präsenzkurs, max. 5 Teilnehmende): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=623406

Igor Strawinsky (online, keine Teilnahmebeschränkung): https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseDetail.aspx?id=628871


 

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