Montag, 29. November 2021

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Richard Wagners Tannhäuser ist immer wieder für einen Skandal gut. Den Skandal 1861 in Paris hat Wagner selbst beschrieben: seine Neufassung der Oper wurde von den Traditionalisten heftig bekämpft, aber von den jungen Künstlers ebenso begierig aufgesogen. Beaudelaire war der Wortführer der Jungen und er setzte sich an die Spitze des französischen »Wagnerisme«, der in den Symbolismus führte. Mehr als 100 Jahre später machte eine Inszenierung in Bayreuth Furore. Der damalige Bayerische Ministerpräsident schwang sich 1972 sogar zum Kritiker auf und verdammte in der Welt am Sonntag die ganze Kunstrichtung, die ihm nicht passte. »Regietheater« war man da in der Oper noch nicht gewohnt, zumal in der Bundesrepublik nicht. In der DDR war das etwas anderes, da gab es die Komische Oper in Berlin unter der Leitung von Walter Felsenstein. Aber da wurde ja kein Wagner gespielt. Doch ein Schüler und Mitarbeiter von Felsenstein hatte sich nun in Bayreuth vorgestellt: Götz Friedrich. Der Skandal auf dem grünen Hügel war, nebenbei, nur ein Vorspiel zu dem, was vier Jahre später Patrice Chéreau mit dem Ring des Nibelungen auslöste, da wurde genauso mit Trillerpfeifen operiert wie einst in Paris. Die Inszenierung des Tannhäuser wurde 1978 für das Fernsehen aufgezeichnet. Und man kann sie hier bei YouTube sehen. Harmlos, oder? Ich wurde eben aufgefordert, mein Alter zu bestätigen. Es liegt vermutlich am Bacchanal, choreografiert von John Neumeier, und nicht an den Arbeiterklamotten des Chors der älteren Pilger am Schluss des 3. Aktes. Die wurden im übrigen von Götz Friedrich nicht als Statement für den Arbeiter- und Bauernstaat eingesetzt (den hatte er, was Franz Josef Strauß vielleicht noch nicht wusste, schon endgültig verlassen). Die Kostüme wurden schnell zusammengekauft, weil sich die Idee des Regisseurs für den Schluss nicht verwirklichen ließ, nämlich den Chor unsichtbar hinter dem Publikum auftreten zu lassen. Eine Idee, die er erfolgreich im »Miserere«-Chor im Troubadour an der Komischen Oper eingesetzt hatte.

Man unterscheidet bei Tannhäuser zwischen einer (etwas kürzeren) »Dresdner Fassung« und einer (etwas längeren) »Pariser Fassung«. Und gerade die großen Opernhäuser wechseln gern ab, auf eine Neuinszenierung der »Dresdner« folgt eine »Pariser« und so weiter. So war es auch an der Deutschen Oper: 1992 inszenierte Götz Friedrich eine »Pariser Fassung«, 2008 ließ Kirsten Harms eine »Dresdner Fassung« folgen. Geht man in den Annalen zurück, so gab es vor der Inszenierung von Götz Friedrich eine »Dresdner« und davor eine »Pariser« Fassung. Aber was ist denn nun der Unterschied? In der Pariser Fassung ist nicht nur das Bacchanal viel länger, auch die Partie der Venus ist ausgeweitet. Was  in Paris jedoch nicht gemacht wurde, ist die Kürzung der Schlusstakte in der Ouvertüre, so dass sie direkt in das Bacchanal übergeht. Das verfügte Wagner erst 14 Jahre später bei seiner Inszenierung in Wien. Genau betrachtet gibt es mindestens fünf von Wagner autorisierte Fassungen, die sich in drei »Stadien« aufteilen lassen. Zu einem vierten Stadium kam es nicht mehr. Wagner hatte nach den erfolgreichen Festspielen 1882 für das Folgejahr nicht nur eine Wiederaufnahme von Parsifal vor (was seine Erben auch realisierten), sondern auch Musteraufführungen von Tristan und Isolde und Tannhäuser. Denn er war »der Welt noch den Tannhäuser schuldig«, wie er gemäß der Tagebuchaufzeichnungen von Cosima Wagner wenige Wochen vor seinem Tod im Februar 1883 sagte.

Das 1. Stadium ist mit der Uraufführung abgeschlossen. Wagner selbst hielt die Uraufführung für misslungen und fing sofort mit Umarbeitungen an, das 2. Stadium beginnt also unmittelbar danach und ist erst kurz vor der Pariser Erstaufführung abgeschlossen mit dem Partiturdruck 1860. Die Uraufführungsfassung hatte Wagner ebenfalls drucken lassen, allerdings auf eigene Kosten und nur in 100 Exemplaren. Die Umarbeitungen, die er noch für Dresden 1846 und 1847 vornahm, wurden bereits in einem Klavierauszug 1852 festgehalten. Das 3. Stadium beginnt mit den Umarbeitungen für die Pariser Oper, die sich nicht auf den Einschub des Bacchanals beschränkten, sondern auch im zweiten Akt Änderungen umfassten. Wagner komponierte eine Alternative für Walther von der Vogelweide, die dann allerdings doch nicht verwendet wurde, sein Beitrag zum Sängerkrieg entfiel ersatzlos. 1867 wollte Ludwig II. Tannhäuser in der Neufassung in München haben, er wünschte sich eine »Musteraufführung«, Wagner weigerte sich aber, daran mitzuwirken. Erst als er aus Wien einen Regieauftrag erhielt, nahm er sich das Werk noch einmal vor, übersetzte, was in Deutsch noch nicht vorlag, und erstellte tatsächlich so etwas wie eine Musteraufführung – die er aber immer noch für verbesserungwürdig hielt, wie wir gesehen haben.

Was wir heute als »Dresdner Fassung« betrachten, ist eine Fassung aus dem 2. Stadium, während wir als »Pariser Fassung« eigentlich immer den Abschluss des 3. Stadiums verstehen, also direkten Übergang von der Ouvertüre in das Bacchanal und den Sängerkrieg natürlich mit dem Beitrag des Walther von der Vogelweide. Allerdings gibt es bei hier YouTube eine wirkliche »Pariser Fasssung« (ohne Walther) in französischer Sprache. Nathalie Stutzmann dirigiert eine Inszenierung von Jean-Louis Grinda in Monte-Carlo mit José Cura in der Titelpartie.

Aufnahmen von der allerersten Fassung habe ich nicht gefunden, die Verbesserungen und Präzisierungen, die Wagner spätestens 1846 vorgenommen hat, sind immer berücksichtigt. An folgenden Punkten hat er eingegriffen: Der letzte Pilgergesang wurde ursprünglich nur von Sopran und Alt gesungen, also nur von den »jüngeren Pilgern«, das hat Wagner schnell für den ganzen Chor gesetzt, weil die hohen Stimmen offenbar im Finale untergingen. Das berührte aber noch nicht das Problem mit Venus. Wagner hatte Tannhäusers endgültige Entscheidung für den Weg des »christlichen« Heils und gegen die »heidnische« Ausschweifung zuerst nur durch einen Bühnenbildeffekt unterstützt: der Hörselberg mit den Verführungen der Venus leuchtete noch einmal auf. Das, so schien es ihm, hatte das Publikum nicht verstanden. Aus diesem Grund fügte er einen Auftritt der Venus ein. Der heute ganz selbstverständlich Teil einer jeden »Dresdner Fassung« ist.

In Bayreuth gab es bis heute 8 Inszenierungen des Tannhäuser. Die unter den Auspizien von Cosima Wagner entstandene Erstaufführung von 1891 wurde bis 1904 gespielt, erst 1930 inszenierte Siegfried Wagner, der 1904 dirigiert hatte, das Werk neu. Jetzt dirigierte Arturo Toscanini, der sich offenbar unter den Nazis nicht sehr wohl fühlte, ab 1933 jede Zusammenarbeit ablehnte und stattdessen in Salzburg auftrat, ab 1938 nur noch in Luzern. Rudolf Laban steuerte 1930 die Choreografie bei. Tannhäuser wurde nur noch 1931 gespielt und kam erst 1954 wieder auf den Spielplan, jetzt in »Neu-Bayreuth« inszeniert von Wieland Wagner. Die Inszenierung blieb bis 1967 auf dem Spielplan, interessant ist allerdings, dass die Choregrafien wechselten, die ursprüngliche Choreografie von Gertrud Wagner wurde 1961 durch die von Maurice Béjart ersetzt, kam jedoch 1964 noch einmal zum Einsatz, ehe sie 1966 wieder durch eine von Birgit Culberg abgelöst wurde. Die Inszenierung von Götz Friedrich wurde mit Unterbrechungen von 1972 bis 1978 gespielt, Wolfgang Wagner inszenierte 1985 neu mit Giuseppe Sinopoli am Pult, der 1992 durch Donald Runnicles abgelöst wurde. Und wieder dauerte es einige Jahre, bis 2002 Philippe Arlaud und Christian Thielemann eine Neuproduktion herausbrachten. Bei dieser ist ebenso wenig wie bei den beiden folgenden, Sebastian Baumgarten 2011 und Tobias Kratzer 2019, ein Choregraf oder eine Choregrafin genannt.

Meine Powerpoint enthält noch ein paar weitere Daten von Aufführungen an der Met, an Covent Garden, in Paris und wir werden uns natürlich wieder ein paar historische Aufnahmen anhören.

Bis Mittwoch, Ihr Curt A. Roesler

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