Montag, 10. Mai 2021

Der zweite Abend mit Bach

Soeben ist die Linkliste zu den ersten beiden Abenden in der VHS-Cloud fertig geworden. Schauen Sie dort vorbei, wenn Sie das hier und den Vortrag am Mittwoch vertiefen wollen.

Am Mittwoch betrachten wir Bachs Leben und Schaffen bis zur offiziellen Wahl Bachs als Thomaskantor am 22. April 1723. Vollwaise mit noch nicht einmal zehn Jahren, kam er aus seiner Geburtstadt Eisenach zu einem älteren Bruder nach Ohrdruf für die fünf Jahre des Lyzeums und zur weiteren musikalischen Ausbildung, die der Vater schon begonnen hatte. Dazu gehört die »Mondschein-Anekdote«: Bei Mondenschein soll der junge Johann Sebastian Bach Noten abgeschrieben haben, die sein Bruder Johann Christoph vor ihm verschlossen hielt. Als das entdeckt wurde, nahm man ihm die Abschriften wieder weg und erst nach dem Tod des Bruders soll er sie wiederbekommen haben. Ganz so unwahrscheinlich ist die Geschichte allerdings nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Komponieren vor allem durch Abschreiben von Noten gelernt wurde und dass das Abschreiben von Noten, die der Lehrer besaß, gebührenpflichtig war. Daraus speiste sich nämlich sein Honorar. Es war also keine Marotte von Johann Christoph, seine Noten in einem Schrank zu verschließen und genau aufzupassen, welche Noten sein Schüler abschreibt. Die Abschrift konnte als Diebstahl gesehen werden und musste dann zwangsläufig eingezogen werden.

Mit 15 ging Johann Sebastian Bach aus der Prima vom Lyzeum ab und machte sich mit einem älteren Kameraden auf den Weg nach Norden, sei es, weil eine Pandemie in Arnstadt wütete, sei es, dass niemand mehr für das Schulgeld aufkommen wollte. Das Ziel war Lüneburg; dort konnte er sich als Kapellsänger an der berühmten Johanniskirche, an der Georg Böhm als Kantor und Organist wirkte, erst einmal das Schulgeld für die Michaelisschule verdienen. Als Lehrer taugte Georg Böhm vielleicht nicht perfekt, aber von Lüneburg aus war es nicht mehr so weit nach Hamburg. Dort gab es viele Kirchen, und eine ganz berühmte Orgel. In der Katharinenkirche wirkte der da schon fast sechzigjährige Johann Adam Reincken, der für seine Improvisationen berühmt war, der aber auch die Hamburger Oper am Gänsemarkt mitbegründet hatte. Eine Orgel gab es in der Katharinenkirche spätestens seit 1400, schon 1630/31 wurde sie auf vier Manuale (und natürlich Pedal) erweitert. Spätestens 1720 durfte Bach, inzwischen ein weitbekannter Orgeleperte, spielen. Da bewarb er sich um das Organistenamt an St. Jacobi, aber Reincken gehörte zur Prüfungskommission, daher fand ein Teil der Prüfung in seiner Kirche statt. Er hat das Amt nicht bekommen, weil er keine finanzielle Vorleistung geben konnte oder wollte.

1702 kehrte Bach nach Thüringen zurück und bewarb sich um die Stelle eines Lakaien am Weimarer Hof. Dort spielte er wohl die Orgel, aber auch Streichinstrumente. Er war aber schon ein angesehener Orgelexperte und wurde zur »Abnahme« der Orgel in der Neuen Kirche in Arnstadt. Die Orgel muss in Ordnung gewesen sein, aber ganz besonders begeistert waren die Kirchenoberen von dem jungen Experten: sie bestallten den 18jährigen am 9. August 1703 zum neuen Organisten. Sie sollten es noch bereuen, denn der junge Mann zeigte wenig Respekt vor Obrigkeiten. So marschierte er in der zweiten Hälfte 1705 nach Lübeck und blieb dort drei Monate ohne sich um seinen Dienst in Arnstadt zu kümmern. An der Marienkirche in Lübeck wirkte seit 1668 Dietrich Buxtehude, ein hoch angesehener Komponist von Kantaten und Orgelwerken. Der Gedanke, dass Bach in Lübeck auch seine Chancen sondieren wollte, Nachfolger von Buxtehude zu werden, liegt nicht fern. Wie das zu bewerkstelligen wäre, wusste jeder, wenn auch seit dem letzten Wechsel 37 Jahre vergangen waren. Damals war der 30jährige Organist Buxtehude aus Helsingør nach Lübeck gekommen und hatte sich mit der Tochter des verstorbenen Organisten Franz Tunder verlobt. Nachdem er im April dessen Nachfolger geworden war, heiratete er sie im August auch brav. Der Nachfolger Buxtehudes heiratete nach diesem alten Brauch dessen älteste Tochter. Aber es war nicht Bach und auch nicht Händel oder Mattheson, die sich auch schon für den Posten interssiert hatten, sondern Johann Christian Schieferdecker, von dem heute kaum noch jemand etas weiß.

Mühlhausen sollte die nächste Station werden für Johann Sebastian Bach. Die Oster-Kantate BWV 4 »Christ lag in Todesbanden«, eine der frühesten, die wir von ihm besitzen (wenn auch nur in einer Variante, die er in Leipzig 1724 zu Gehör brachte), hatte er zur Bewerbung komponiert. Es ist eine Osterkantate ganz ohne Pauken und Trompeten, dafür mit theologischem Tiefsinn: Auferstehung ist nicht denkbar ohne das Leiden, das ihr vorangeht. Nicht einmal ein Jahr blieb Bach in Mühlhausen, aber hier heiratete er und schrieb weitere Kantaten wie die Ratswahlkantate BWV 71 »Gott ist mein König«, das erste Werk, das auch gedruckt wurde.

Möglicherweise hat wieder eine Orgelprobe zu der nächsten Anstellung geführt. In der Schlosskirche Weimar musste im Juni eine neue oder umgebaute Orgel abgenommen werden und noch im gleichen Monat wurde eine Besoldungsanweisung für Bach am Hof des Herzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar als Organist und Kammermusiker geschrieben. In den neun Jahren in Weimar entstehen weitere Kantaten kirchlicher und weltlicher Natur, so 1713 die Jagdkantate für den Herzog Christan von Sachen-Weißenfels, aber auch sehr viel Instrumentalmusik. Der Herzog reist viel, u. a. auc nach Holland, wo er Drucke von Vivaldi, Albinoni u. a. erwirbt. Für den Hausgebrauch bearbeitet Bach 16 Konzerte für ein Tasteninstrument BWV 972–987. Ein erfolgreiches Probespiel in Halle kann er in eine Beförderung am Weimarer Hog zum Konzertmeister ummünzen. Als der Herzog 1716 die Prinzessin Eleonore Wilhelmine von Anhalt-Köthen heiratet, neigt sich die Zeit Bachs dem Ende zu. Die ist nämlich nicht sehr musikliebend. Als dann auch noch der Hofkapellmeister Johann Samuel Drese stirbt (und Bach nicht sein Nachfolger wird) gibt es nur noch eines: weg hier! Im Herbst 1717 kommt es zu dem legendären Cembalo-Wettstreit mit Lous Marchand in Dresden. Bach, der schon einen Vertrag mit dem Hof in Köthen unterschrieben hat, begibt sich heimlich dahin. Als er zurückkommt, wird er in Haft genommen und nach vier Wochen in Ungnaden entlassen.

Von Köthen aus reist Bach nun häufiger, schon im ersten Jahr 1718 und auch wieder 1720 begleitet er den Fürsten nach Karlsbad, 1719 holt er in Berlin ein zweimanualiges Cembalo für den Köthener Hof ab und lernt den Markgrafen von Schwedt, Christian Ludwig von Brandenburg kennen und im gleichen Jahr reist er erfolglos nach Halle, um Händel zu treffen. Als er 1720 nach der erneuten Kur des Fürsten in Karlsbad, heimkehrt, ist seine Frau gestorben. Im gleichen Jahr bricht er noch zu der berühmten Reise nach Hamburg auf, wo er große Chancen hat, Organist und Kantor an St. Jacobi zu werden. Die Bewerbung zieht er allerdings im Dezember zurück, vermutlich, weil er nicht bereit war, Geld dafür zu investieren. Heute würde man das Korruption nennen, es gibt aber auch Rechtfertigungsversuche für das Verfahren: man müsse doch bereit sein, in ein Unternehmen, das später reichen Gewinn abwerfen wird (Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen), zuerst etwas zu investieren. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen, es ist etwas zu kapitalistisch gedacht. In Köthen beginnt er das Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach, heiratet die Sängerin Anna Magdalena Wilcke, für die er später ebenfalls ein Clavier-Büchlein anfängt. Er fasst sechs Konzerte in Reinschrift zusammen, die er dem Markgrafen von Schwedt widmet, die Six concerts, die deshalb Brandenburgische Konzerte genannt werden.

Für die Leipziger Ratsherren und Kirchenoberen ist Bach derjenige Kandidat, der 1723 übrigleibt, um den Thomaskantor Johann Kuhnau (1660–1722) zu ersetzen. Zu den sechs Musikern, die der »Enge Rat« zunächst in Betracht zieht, zählt er gar nicht. Auch nach dem Rückzug Telemanns, der doch lieber in Hakburg bleiben wollte, denkt noch niemand an ihn; er muss sich selbst bewerben, was er gleichzeitig mit Christoph Graupner kurz vor Weihnachten tut. Graupner wollen sie haben, aber sie laden trotzdem Bach auch noch ein. Erst als Graupner sich zurückziehen muss, weil sein Dienstherr in Darmstadt ihn nicht ziehen lassen will, machen sie mit Bach einen Vertrag.

Bis Mittwoch,
Curt A. Roesler

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