Mittwoch, 26. Mai 2021

Bach und die Nachwelt

Es ist nicht sehr viel, was von Bach zu seinen Lebzeiten gedruckt wurde. Mit Ausnahme der beiden frühen Ratswahlkantaten (von denen eine vollsändig verloren ist) war das erst in den letzten beiden Jahrzehnten in Leipzig der Fall. Mindestens zwei Drucke aber waren von Bach noch vorbereitet worden: Die Kunst der Fuge und die Achtzehn Choräle verschiedener Art. Die Kunst der Fuge wurde noch im Todesjahr oder spätestens 1751 gedruckt, herausgegeben und bearbeitet von Carl Philipp Emanuel Bach. Mindestens zwei weitere Werke, die heute zum Kernrepeertoire der Bach-Pflege gehören, sind vom Komponisten vermutlich ebenfalls – ob gedruckt oder nicht – für die Nachwelt bestimmt worden, die h-Moll-Messe und das Weihnachtsoratorium. Beide Namen stammen nicht von Bach, aber die Zusammenstellungen sind von ihm. Fangen wir mit dem Einfacheren an, dem Weihnachtsoratorium.

Selten sind Aufführungen aller sechs Teile des Weihnachtsoratoriums an einem Abend, oft wird es auf zwei Abende aufgeteilt und noch viel öfter fallen die Teile 3 bis 6 ganz weg. Aber für den Konzertgebrauch waren die Kantaten ohnehin nicht bestimmt, sie stehen aber in engem Zusammenhang, sind für die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel 1734/35 komponiert worden und Bach hat die Manuskripte zusammengebunden. Vergleicht man sie mit den anderen Kantaten, die er für die entsprechenden Sonn- und Feiertage komponierte, so fällt die Betonung des Evangelientextes auf und auch die thematische Reihenfolge, die es vermeidet, die in der Liturgie verdrehte Reihenfolge von Anbetung der Könige und Flucht nach Ägypten allzusehr auffallen zu lassen. Trotzdem: ein wirkliches »Weihnachtsoratorium«, wie die Historia von der Geburt Christi (1660) von Heinrich Schütz, L'enfance du Christ (1854) von Hector Berlioz oder das Oratorio de Noël (1858) von Camille Saint-Saëns ist es nicht. Und was wäre gewesen, wenn der 25. Dezember 1734 nicht auf einen Samstag, sondern auf einen Montag, Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag gefallen wäre? Dann stünde zwischen dem dritten und dem vierten Teil noch eine weitere Kantate, die Kantate für den Sonntag nach Weihnachten. Drei solche Kantaten sind von Bach erhalten, eine aus Weimar 1714, Tritt auf die Glaubensbahn BWV 152, eine aus dem 2. dem Choralkantaten-Jahrgang aus Leipzig für den 31. Dezember 1724, Das neugeborene Kindelein BWV 122 und noch eine aus dem dritten Leipziger Jahrgang für den 30. Dezember 1725, eine eindeutige Silvesterkantate, Gottlob nun geht das Jahr zu Ende BWV 28. BWV 122 würde von der Thematik am besten in den Zyklus passen,  BWV 28 wegen der festlichen Instrumentation, aber eben keine passt genau. Und vielleicht hat sich Bach ja absichtlich ein Jahr ohne Sonntag nach Weihnachten ausgesucht, weil er sich einen solchen Zyklus sechsteilig vorstellte und nicht siebenteilig.

Im liturgischen Gebrauch der lutherischen Kirche sind nur das Kyrie und das Gloria. Und das ist auch der Ursprung der Missa in h-Moll von Bach. Er schrieb diese beiden Teile 1733 für den neugekrönten sächsischen Kurfürsten und polnischen König August III. (den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II.). Sie hätten sowohl in der katholischen Hofkirche als auch in einer der protestantischen Kirchen Dresdens aufgeführt werden können, ob das aber geschehen ist, wissen wir nicht. Die anderen Teile, von Bach mit Nr. 2 Symbolum Nicaenum, Nr. 3 Sanctus und Nr. 4 Osanna, Benedictus, Agnus Dei überschrieben, vollendete er erst 1749, assistiert von Carl Philipp Emanuel. Hatte Bach schon im Kyrie und Gloria da und dort auf frühere Kompositionen zurückgegriffen, baute er nun in das Credo einen Bass-Ostinato ein, der ihn schon seit Weimar beschäftigte. In der Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen BWV 12 stand 1714 diese großangelegte Passacaglia im ersten Chor nach einer Sinfonia mit klagender Oboe, zehn Jahre später leitet eine abgewandelte Form davon die Choralkantate Jesu, der du meine Seele BWV 78 ein. Nun wird endgültig daraus das Crucifixus. Im Nachlass wird die Messe als »Große catholische Messe« bezeichnet, den Namen h-Moll-Messe gab ihr Carl Friedrich Zelter, der Teile davon 1811 in der Sing-Akademie zu Berlin aufführte. Carl Philipp Emanuel hatte das (von ihm bearbeitete) Credo schon 1786 einmal aufführen lassen und der Ruhm der Messe verbreitete sich Ende des Jahrhunderts, alle wollten eine Abschrift haben; der Musikschriftsteller Charles Burney, dem wir viele Beschrieibungen des Musiklebens am Ende des 18. Jahrhunderts verdanken, besaß eine und Baron Swieten, der Mäzen Haydns, Mozarts und Beethovens ebenfalls: diese drei kannten die Messe also, auch wenn sie noch kaum aufgeführt wurde. Gedruckt wurde sie von Hans Georg Nägeli 1818 und die erste öffentliche Aufführung in zwei Teilen ist wiederum in der Sing-Akademie zu Berlin verzeichnet, 1834 und 1835, also 100 Jahre nach der Komposition, genau so wie die Matthäuspassion hundert Jahre nach der Komposition zum ersten Mal wieder komplett aufgeführt wurde – auch das in der Berliner Singak-Akademie. Der Frankfurter Cäcilienverein fürte das Werk 1856 auf und 1859 kam es zur ersten Aufführung in der Leipziger Thomaskirche. Dafür musste es aber erst in die deutsche Sprache übersetzt werden, inzwischen war lateinischer Gesang in der lutherischen Kirche offenbar gänzlich tabu.

Auch das Wohltemperierte Klavier (1. Teil 1722, 2. Teil 1742) verbreitete sich zuerst nur in Abschiften, diese gab es allerdings sehr häufig. Das Wohltemperierte Klavier galt als unersetzbares Lehrbuch und war ads einzige von Bach, was über seinen Tod hinaus und ohne Unterbrechung bis heute gepflegt wurde und wird. Die erste Drucke erschienen 1800 und 1801, zuerst in Zürich (Hans Georg Nägeli) und Bonn (Simrock), dann in bei Peters in Leipzig.

Das und noch viel mehr ist heute in unserem Bach-Kurs dran.

Herzlich grüßt,

Curt A. Roesler

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