Zum gefühlt funfundzwanzigsten Mal seit 1992 hat Daniel Barenboim einen Mozart-Zyklus begonnen (es waren wahrscheinlich nur vier, vielleicht fünf). Und das ist gut so, denn an Mozart kommt seit über zweihundert Jahren kein Opernhaus vorbei. Er ist so populär wie gelehrt, so kompliziert wie einfach zu verstehen. Ein Mozart-Zyklus besteht aus mindestens zwei oder drei Opern: man kann die beiden deutschsprachig komponierten, Die Zauberflöte und Die Entführung aus dem Serail, zu einem Mini-Zyklus zusammenfassen (das hat 1991 die Deutsche Oper Berlin gemacht, überlebt hat nur Die Zauberflöte); häufiger werden die drei Opern auf Texte von Lorenzo da Ponte, Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte (so jetzt wieder an der Staatsoper); beides zusammen gibt einen fünfteiligen Zyklus, dafür wird aber oft die heute nicht mehr so beliebte Entführung durch La clemenza di Tito oder Idomeneo ersetzt. Kern aber bleiben die drei (oder mindestens zwei, denn Così fan tutte gilt als Kassengift) Da-Ponte-Opern. Le nozze di Figaro wurde am 1. April aus der leeren Staatsoper bei Mezzo.tv übertragen, die beiden anderen werden in der Inszenierung von Vincent Huguet und dirigiert von Daniel Barenboim mit Sicherheit ebenfalls übertragen werden. Das ist für uns der Anlass, einmal Lorenzo da Ponte in den Mittelpunkt der Zehlendorfer Operngespräche zu setzen. Er war schon öfter Gegenstand unserer Betrachtungen, denn wir haben ja alle drei Mozart-Opern hier schon besprochen. Jetzt befassen wir uns aber in erster Linie mit ihm und seinen Libretti – und zwar nicht nur mit denen, die er für Mozart verfasst hat.
Als Emanuele Conegliano (ein »m« reicht, manchmal liest man aber auch Emmanuele) wurde er 1749 in dem Städtchen Ceneda in Venetien geboren. Mit zwei Nachbarstädtchen wurde sein Geburtsort 1866 zu der Stadt Vittorio (ganannt nach dem ersten König des vereinten Italien, Vittorio Emanuele) vereinigt. Nach dem zweiten Weltkrieg bekam sie den Zusatz Veneto, um sie von anderen nach dem König benannten Städten zu unterscheiden. Der Bischof von Ceneda – heute heißt das Bistum natürlich Vittorio Veneto – hatte die Familie Conegliano aus der gleichnamigen Stadt als Geldwechsler eingeladen. Im Ghetto von Ceneda lebte sie seither, der Vater Emanueles arbeitete in der Lederbranche. Bis er sich 1763 zur Konversion entschloss. Er zog mit seinen Kindern (die Ehefrau war bereits gestorben) in das Kastell des Bischofs und wurde im christlichen Glauben erzogen. Durch die Taufe erhielt die Familie den Namen des Bischofs, Da Ponte, und der Erstgeborene Emanuele auch dessen Vornamen, Lorenzo. Der Vater heiratete nun ein junges Mädchen, nur vier Jahre älter als Emanuele/Lorenzo, und kam langsam in der Gesellschaft des Städtchens an. Lorenzo bat den Bischof für sich und seinen Bruder Baruch/Girolamo um einen Platz im Priesterseminar, was dieser gewährte und finanzierte. Das alles wissen wir aus den Archiven der Diözese und nicht von Da Ponte selbst, der eine umfangreiche Autobiografie verfasste, darin aber seine jüdische Herkunft mit keinem Wort erwähnt.
Das wechselvolle Leben Da Pontes erinnert ein wenig an das Leben Giacomo Casanovas (1725–1798, also eine Generation älter). Einiges verbindet die beiden: die Priesterweihe, die Liebe zur Oper, die Verbannung aus Venedig. Sie sind sich auch begegnet und freundeten sich an, als Casanova 1774 aus seinr ersten Verbannung nach Venedig zurückgekehrt war. 1779 musste Da Ponte u. a. wegen einer Anklage wegen Ehebruchs Venedig verlassen und sein Fluchtweg über Triest und Görz nach Wien erinnert ein wenig an die Flucht Casanovas aus den Bleikammern 23 Jahre zuvor. 1787 soll Casanova in Prag für den vom Kaiser nach Wien zurückbeorderten Da Ponte in die Bresche gesprungen sein, als es galt, letzte Korrekturen am Libretto des Don Giovanni vorzunehmen. Eine (nicht verwendete) Variante der Flucht Leporellos ist in Casanovas Handschrift überliefert.
In vier Großstädten des 18. und 19. Jahrhunderts wirkte Lorenzo da Ponte: unmittelbar nach Beendigung des Priesterseminars zog es ihn 1773 in Venedig, die Hauptstadt der Republik; Vermittelt durch Caterino Mazzolà (dem späteren Librettisten von Mozarts La clemenza di Tito) kam er 1780 nach Dresden und 1781 nach Wien; als er seine dortige Stellung am Hof wieder verlor, ging er 1791 nach London und von da 1805 nach New York, wo er 1838 starb.
1783 war er in Wien erstmals verantwortlich für ein Libretto. Es handelte sich um eine Umarbeitung des Librettos La scuola degli gelosi (Die Schule der Eifersüchtigen) von Caterino Mazzolà, der Komponist war der Adressat des Empfehlungsschreibens von diesem, Antonio Salieri. Fast alle seiner 46 für Wien und London geschriebenen Libretti sind Bearbeitungen eines schon vorhandenen Stücks, Oper oder Schauspiel, aber die meisten überflügeln mit ihrem Erfolg die Vorlage. Oder wer kennt denn das Libretto von Giovanni Bertati für Giuseppe Gazzaniga Don Giovanni? Es sind schätzungweise nur wenige und vor allem Opern-Profis. Zu den Komponisten außer Mozart und Salieri, für die Da Ponte Libretti schrieb, gehörten einige der berühmtesten ihrer Zeit: der erwähnte Giuseppe Gazzaniga (1743–1818), Vicente Martín y Soler (1754–1806), Giovanni Paisiello (1740–1816); dazu kamen einige aus der zweiten Reihe wie Vincenzo Righini (1756–1812), Stephen Storace (1762–1798), Peter von Winter (1754–1825) und Joseph Weigl (1766–1846).
Libretti hat Da Ponte nur in Wien und in London geschrieben, in New York war er Händler und Privatlehrer, ehe er 1825 eine Professur für italienische Literatur, die erste am berühmten Columbia College, erhielt. Außerdem setzte er sich für die Errichtung eines Opernhauses ein und vor allem schrieb er seine Memoiren. Interessanter für uns sind daher die zehn Jahre in Wien und die darauf folgenden 14 in London.
Die drei Libretti, die Da Ponte für Mozart schrieb, sind Meisterwerke. Außerdem sind sie das Ergebnis einer nicht immer selbstverständlichen engen Zusammenarbeit von Dichter und Musiker. Mozart musste in seiner Jugendzeit oft Libretti vertonen, an denen nichts mehr geändert werden konnte, erst beim Idomeneo konnte er eigene Ideen für das Libretto einbringen, oft ging das da aber nur über den Umweg von Briefen an seinen Vater, der dann mit dem Librettisten vor Ort diskutierte. Mit Da Ponte war das anders. Darauf kommen wir zurück, nachdem wir einen Blick auf ein paar Libretti geworfen haben, die Da Ponte für andere Komponisten schrieb.
Für sein bestes Werk hielt Da Ponte L'arbore di Diana, 1787 mit Vicente Martín y Soler geschrieben. Es ist eine der wenigen Opern, für die es keine Vorlage gab. Die Geschichte von dem Baum der Diana, dessen Früchte zu leuchten beginnnen, wenn tugendhafte Nymphen darunter gehen, die aber bei solchen, die gesündigt haben, schwarz werden und herunterfallen und sie dabei verletzen, hat er sich selbst ausgedacht. Wenn am Ende Amor den Tempel Dianas zerstören lässt, wollte Da Ponte das als Anspielung auf die Aufhebung der Klöster verstanden wissen, die aufgeklärte Monarchen wie Joseph II. brereits verfügt hatten, ohne damit die Entwicklung zur Revolution aufhalten zu können. So passt das Libretto aber in die Reihe mit den beiden anderen, die er gleichzeitig schuf, Axur, Re d'Ormus mit Salieri und Don Giovanni mit Mozart. Das Libretto für Salieri sollte erst nur eine Übersetzung des Textes werden, den Beaumarschais für ihn geschrieben hatte, Tarare. Aber es wurde doch eine ganz neue Fassung mit zustäzlichen Chören und Arien; Arien nämlich gab es ursprüngich in dem ganz im Sinne der Opernreform von Christoph Willibald Gluck geschriebenen Werk nicht. Tarare (in der itaienischen Fassung Atar) ist eine ebenso revolutinäre Gestalt wie Figaro. Er arbeitet sich vom einfachen Soldaten zum Feldherrn herauf und stürzt den despotischen König Axur, vom Volk bejubelt. Nicht der Stand macht die Größe des Menschen aus, sondern sein Charakter, so die von den Göttern am Ende verkündete Quintessenz.
Zwischen Una cosa rara und L'arbore di Diana hatte Da Ponte noch ein Libretto für Stephen Storace geschrieben, einen italo-englischen Komponisten, der sich zu der Zeit gerade in Wien aufhielt (zusammen mit seiner Schwester, der Sängerin Nancy Storace – Susanna in Le nozze di Figaro – und deren Verehrer, dem irischen Tenor Michael Kelly – Don Curzio und Don Basilio in Le nozze di Figaro). Gli equivoci ist eine Opernfassung der Comedy of errors von William Shakespeare.
Soviel für heute, bis bald,
Curt A. Roesler
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