Montag, 15. März 2021

Das Opernorchester

Erst die Umstellung in der Kunstmusik vom vielstimmigen Durcheinander der Sänger nicht nur in der geistlichen Musik zur auf eine Singstimme mit Begleitung fokussierten Textdarstellung machte Oper überhaupt möglich. Die »Monodie« war in der Straßen- und Jahrmarktsmusik natürlich immer der Standard, aber auf die Kunst der Troubadoure im späten Mittelalter folgten ab der zweiten Hälfte des 12. die Jahrhunderte der Polyphonie, die ihren Höhepunkt am Ende des 16. Jahrhunderts bei Palestrina fanden. Die nun entstehende »Zweite Praxis« (so nannte es Monteverdi, der erste Großmeister der Oper) der Textvertonung stellte den Gesang eines Solisten in den Mittelpunkt und machte aus den anderen Stimmen eine Begleitung. Gleichzeitig entwickelte sich die Praxis des Generalbasses, also einer Begleitung, die auf einer Basslinie beruht und alles was noch nötig ist, um der Begleitung der Solostimme oder des Soloinstrumentes bzw. auch mehrerer Stimmen und Instrumente Fülle zu geben, an Akkordinstrumente wie Laute, Gitarre, Theorbe, Harfe, Cembalo, Orgel delegiert. Zweihundert Jahre lang blieb die Generalbassgruppe das Zentrum des Opernorchesters. Die sogenannten Rezitative, also der Dialog zwischen den Darstellern, der die »Handlung« vorantreibt, wurde zum größten Teil »secco« (»trocken«) ausgeführt, also nur von der Generalbassgruppe (mindestens Violoncello und Cembalo) begleitet. Das Orchester der allerersten Opern bestand praktisch nur aus einer Generalbassgruppe, lediglich für sogenannte »Ritornelle«, kleine Instrumentaleinlagen, die Pantomimisches begleiten oder Szenen voneinander trennen sollten, wurden ein paar Streichinstrumente hinzugezogen. Wo das Orchester aufgestellt wurde, ist nicht so genau zu rekonstruieren, es ist aber davon auszugehen, dass die Orchestermusiker mit auf der Bühne waren, eventuell auch hinter einem Vorhang versteckt.

Claudio Monteverdi (1567–1643), der erste Reformer der Oper setzte dagegen in seinem Orfeo auf ein reiches und buntes Orchester von knapp 40 Musikern. Laut Deckblatt der Partitur sind das: Duoi Grauicembani (zwei Cembali), Duoi contrabassi de Viola (zwei Kontrabässe), Dieci Viole da brazzo (zehn Streichinstrumente: 4 Violinen, 4 Bratschen, 2 Violoncelli), Un Arpa doppia (eine Doppelharfe), Duoi Violini piccoli alla Francese (zwei Violinen), Duoi Chitaroni (zwei große Barockgitarren), Duoi Organi di legno (zwei Orgelpositive), Tre bassi da gamba (drei Bassgamben oder Violoncelli), Quattro Tromboni (vier Posaunen), Un Regale (ein Regal, d. i. ein Orgelpositiv mit ausschließlich Zungenregistern), Duoi Cornetti (zwei Zinken, das sind Holztrompeten), Un Flautino alla Vigesima Seconda (vermutlich ist eine Sopranino-Blockflöte gemeint) Un Clarino con tre trombe sordine (eine hohe Trompete und drei mit Dämpfern versehene Trompeten). Liest man die Partitur genau durch, stellt sich heraus, dass vier statt drei Posaunen gebraucht werden und auch vier statt drei Trompeten. Außerdem wird dort eine »Ceterone« erwähnt, vermutlich eine Abwandlung der Chitarrone, also eine Riesengitarre. Glücklicherweise gibt es diese Partitur, die der fürstliche Auftraggeber hat drucken lassen, genau rekonstruieren lässt sich die Aufführung aber  nicht. Es ist anzunehmen, dass dafür ein Bühnenpodest aufgebaut wurde und dass das Orchester vor dieser Bühne platziert wurde, auf einer Ebene mit dem Publikum. Monteverdi hat sich übrigens bei seiner späten Oper Il ritorno d'Ulisse in patria vollkommen zurückgenommen, hier spielen nur Streichinstrumente, während in der einzigen erhaltenen weiteren Oper L'incoronazione di Poppea, seiner letzten, wieder ein reicheres Orchester verwendet wird.

Das Orchester auf Parkettebene, die adligen Zuschauer in den Logen, Militärs und Bürger im Parkett oder auf dem »Olymp« stehend, das blieb dann nahezu zwei Jahrhunderte die Regel. In dem 1778–1784 errichteten Theater von Besançon wurde erstmals das Orchester »versenkt«, André-Ernest-Modeste Grétry wird davon gewusst haben, als er im Dritten Band seiner Memoiren 1789 die Bedingungen für ein ideales Opernhaus festhielt. Das Orchester wie auch die Pultbeleuchtung müsse für das Publikum unsichtbar sein. Auch sonst entspricht sein Plan ziemlich genau dem Bayreuther Festspielhaus, mit der Ausnahme, dass er fordert, das Theater soll maximal 1.000 Zuschauer fassen. Nun ist sein Orchester allerdings auch noch deutlich kleiner als das Wagners, was die akustischen Verhältnisse entsprechend verändert. Neu kommt bei Wagner hinzu, dass der Zuschauerraum während der Vorstellung abgedunkelt wird. Das war natürlich noch nicht möglich, als der Kronleuchter mit Kerzen bestückt war und erst kruz vor der Vorstellung zur Decke hochgezogen wurde. Das hat allerdings auf die Akustik keinen Einfluss, lediglich auf die Aufmerksamkeit der Zuschauer.

40 Musiker sind bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in etwa die Norm – mit deutlichen Abweichungen in ganz kleinen Theatern wie dem in Eszterháza, wo Haydn wirkte und mit höchstens 25 Musikern rechnen konnte, oder in ganz großen wie dem Teatro San Carlo in Neapel, wo schon 1740 einmal 70 Musiker wirkten, später allerdings wieder weniger. Auch in Paris waren an der Opéra schon vor der Revolution bis über 70 Musiker im Einsatz, während Mozart sich 1787 für die Uraufführung des Don Giovanni in Prag mit 27 begnügen musste. Zwischen 70 und 80 liegt die übliche Orchesterstärke im 19. Jahrhundert, mit Ausnahmen etwa in Berlin, wo schon 1865 die von Wagner für Bayreuth geforderten 32 Violinen vorhanden waren, bei Insgesamt 95 Musikern. Es fragt sich allerdings, ob die auch alle gleichzeitig im Einsatz waren und ob sie überhaupt im für das Orchester vorgesehenen Raum Platz gefunden hätten. Relativ genau dokumentiert ist die Anzahl der Musiker bei Aufführungen von Verdi-Opern. Das geht von 45 beim Trovatore in Rom 1853 bis zu 93 beim Otello in Mailand 1887.

Der »typische Klang« eines Orchesters hängt von vielen Faktoren ab. Natürlich zuerst einmal von der Größe des Orchesters und der Zusammensetzung der Instrumente. Wie ist das Verhältnis von Streichinstrumenten zu Blasinstrumenten? Das ist zum Teil von den Komoponisten vorgegeben und so könnte das Orchester in verschiedenen Theatern gleich klingen. Das tut es aber schon deswegen nicht, weil die Säle unterschiedlich gebaut sind und mehr oder weniger Nachhall haben, bestimmte Frequenzen bevorzugen oder herausfiltern etc. Das trifft natürlich auch auf die Konzerthäuser zu. Der Concertgebouw in Amsterdam und der Goldene Saal des Musikvereins in Wien sind ganz einmalig, aber auch die Berlner Philharmonie hat einen eigenen Klang wie die Elbphilharmonie in Hamurg. Wichtig sind auch die Instrumentenbauer. Ein französisches Fagott klingt ganz anders als ein deutsches Fagott. Und die tradierte Spielweise, die von Orchestermusiker zu Orchestermusiker weitergegeben wird, tut ein Übriges. Bei den Wiener Philharmonikern etwa darf der Oboist kein Vibrato verwenden, bei den Berliner Philharmonikern schon. Ferner ist auch die Stimmung entscheidend für den Klang. Im 20. Jahrhundert hat man sich mehr oder weniger auf den Kammerton a bei 440 Hz geeinigt, aber Abweichungen davon sind immer wieder festzustellen.

Ganz allegemein ist aber festzhalten, dass mit der Globalisierung der Oper und der klassischen Musik die Unterschiede geringer werden. Also seit etwas mehr als 100 Jahren gleichen sich die Orchester immer mehr an. Das französische Fagott etwa wird heute gar nicht mehr verwendet, so wie heute ein Konzertflügel einfach wie ein Steinway klingen muss, egal wo er gebaut wurde. Während der Beginn des Sacre du Printemps von Igor Strawinsky mit dem klagenden Fagott-Solo in einer frühen französischen Aufnahme ganz anders klingt als in einer deutschen Aufnahme, ist das schon beim Orchestre de Paris, das Karajan in den 1969 bis 1971 leitete, nicht mehr der Fall.

Es gibt viel zu entdecken, wir machen uns am Mittwoch auf den Weg. Bleiben Sie gesund bis dahin,

Ihr Curt A. Roesler

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