Montag, 8. Februar 2021

Frühe Opern in Charlottenburg

Die heimliche Ehe ist ein besonderes Juwel unter den DVDs der Deutschen Oper Berlin. Die Oper von Domenico Cimarosa hat den Auftraggeber, Kaiser Leopold II., so entzückt, dass er nach der zweiten Aufführung befahl, sofort noch einmal von vorne anzufangen. Für seinen Hofstaat wurde das zu einem sehr langen Theaterabend. Domenico Cimarosa lebte von 1749 bis 1801, war also ein Zeitgenosse Mozarts. Er schrieb über 80 Opern, Il matrimonio segreto, so der Originaltitel, ist seine 54. und heute die einzige, die regelmäßig, wenn auch nicht sehr oft, gespielt wird. Die Inszenierung vom 22. November 1965 ist die bisher einzige in Charlottenburg. Gustav Rudolf Sellner führte Regie und Lorin Maazel dirigierte. Das Ergebnis ist glücklicherweise für das Fernsehen aufgezeichnet worden. Die DVD dokumentiert eine Aufführungspraxis, die selbst schon historisch ist, denn Opern, die vor 1800 komponiert wurden, werden heute in der Regel, wenn nicht ganz und gar mit historischen Instrumenten, dann doch mit einer »historisch informierten« Spielweise aufgeführt. Die DVD beweist, dass Cimarosa (genauso wie Bach, Händel und Mozart) auch auf modernen Instrumenten und mit moderner Spieltechnik attraktiv klingt. Und macht es umso unverständlicher, dass er so selten gespielt wird. 

Musik, die vor 1800 komponiert wurde, wurde im Charlottenburger Opernhaus seit 1912 fast ausschießlich durch Mozart vertreten. Händel, Pergolesi, Gluck und Johann Schenk sind die Komponisten des 18. Jahrhunderts, die noch vor 1945 für wenige Aufführungen auf den Spielplan kamen, Cherubinis Medea (1797) wurde in den 50er Jahren gespielt, allerdings in einer Fassung, die mehr das 19. als das 18. Jahrhundert vertritt. Gluck wurde sogar schon im Kaiserreich aufgeführt. Der Premiere Iphigenie in Aulis am 11. Juni 1914 folgten noch ganze fünf Vorstellungen. Der zweite Versuch mit dieser Oper, 1925 unter der Leitung von Bruno Walter, brachte es sogar nur auf insgesamt 4 Vorstellungen. Es scheint also an der Kasse keinen großen Andrang gegeben zu haben. Überhaupt muss man einen Zusammenhang zwischen der Beliebtheit von klassischen und vorklassischen Opern und deren Aufführungszahlen vermuten. Allerdings: wie sollen Opern beliebt werden, wenn sie kaum aufgeführt werden?

Orpheus und Eurydike (die deutsche Übersetzung der italienischen Fassung Orfeo ed Euridice von 1762) von Christoph Willibald Gluck, ebenfalls von Bruno Walter auf den Spielplan genommen, in der Premiere von ihm selbst dirigiert und von Karlheinz Martin inszeniert, mit Choreografien von Lizzie Maudrik und mit hochkarätiger Besetzung, brachte es in vier Spielzeiten auf immerhin 26 Aufführungen. Sigrid Onégin (Orfeo), Maria Müller (Euridice) und Marguerite Perras (Amore – dazu Irma Beilke und Helly Bischan als selige Geister) sangen in der Premiere; später, als Robert F. Denzler dirigierte, wurde das Liebespaar von Maria Olszewska und Berta Kiurina gesungen. Kaum weniger prominent war die Besetzung 1953: Margarete Klose, Elisabeth Grümmer, Lisa Otto. Die vierte und bisher letzte Inszenierung kam 1982 und brachte das Sensationsdebüt von Florence Quivar als Orfeo, die noch im gleichen Jahr in der Philharmonie debütierte und von Götz Friedrich als Erda in seiner kommenden Inszenierung des Rings des Nibelungen verpflichtet wurde. Helen Donath sang Euridice und Carol Malone Amore, Achim Freyer inszenierte, der Generalmusikdirektor Jesús López Cobos dirigierte. Die französische Fassung mit einem Tenor als Orphée ist in Charlottenburg jedoch bisher nie erklungen.

Zwei Opern von Georg Friedrich Händel nahm Bruno Walter in seinen Spielplan auf, er dirigierte sie jedoch nicht selbst. Otto und Theophano, die Oper Ottone, einer der ersten großen Erfolge Händels in London, in einer deutschen Bearbeitung von Oskar Hagen, dirigierte Fritz Zweig, Ezio Robert F. Denzler. In den 1920er Jahren wurden die Opern von Händel gerade erst für das Reprtoire erschlossen. Eine zweite »Händel-Renaissance« vollzog sich in den 1950er Jahren; in beiden Perioden spielten auch die Oratorien eine große Rolle. In den Oratorien des Barockzeitlaters musste die Musik das ersetzen, was in der Fastzeit nicht gezeigt werden durfte, sie enthalten daher viel mehr beschreibende Musik wie wir sie aus den Opern des 19. Jahrhunderts gewohnt sind. Das trägt heute zu ihrer Attraktivität für die Bühne bei. Nach dem Krieg, im Theater des Westens kamen 1947 Acis und Galathea und 1959 Belshazzar zur Premiere, und 1985 wurde Händels 300. Geburtstag in der Deutschen Oper Berlin mit Messias gefeiert. Zum ersten Mal stand damals ein Orignalklang-Spezialist am Dirigentenpult, Christopher Hogwood. Es wurde jedoch nicht – wie damals schon in Zürich, seit 1992 auch in der Berliner Staatsoper – auf Originalistrumenten gespielt. Also nicht »historische« sondern «historisch informierte« Aufführungspraxis.

Das alles hat kaum etwas mit Il matrimonio segreto zu tun, denn es sind – mit Ausnahme von Acis und Galathea – alles andere als Komödien. Aber es hat auch einen Versuch mit dem Ursprung der Opera buffa gegeben, mit Giovanni Battista Pergolesis La serva padrona. Und es war wiederum Bruno Walter, der sich persönlich darum kümmerte. Am 29. März 1929 war die Premiere, kurz bevor Bruno Walter Berlin verließ. Kombiniert wurde das Werk, das ja deutliche weniger als eine Stunde dauert, mit einem Singspiel von 1796, Der Dorfbarbier von Johann Schenk. Fünf Aufführungen hat der Doppelabend gehabt, zwei davon hat wohl Bruno Walter dirigiert, den Rest George Sebastian, Maria Ivogün war die Solistin in beiden Werken. Und auch ein zumindest unterhaltendes Opernwerk des 17. Jahrhunderts hat einmal den Weg auf die große Bühne der Deutschen Oper Berlin gefunden: L'incoronazione die Poppea von Claudio Monteverdi. Margherita Wallman inszenierte es 1963 als große Ausstattungsoper in einer modernen Bearbeitung von Hans Ferdinand Redlich und in einer Überetzung von Hans Swarowsky. Mit der Serva padrona, kombiniert mit Il maestro di capella von Domenico Cimarosa, aber versuchte es auch die Deutsche Oper Berlin noch einmal, 1990 als »Oper im Foyer«, ein Provisorium, das dokumentieren sollte, dass das Haus unbedingt eine Studiobühne braucht. Die negtive Nebenwirkung war, dass man – solange wie die Dekoration aufgebaut blieb – in den Rang oder in die Garderobenhalle musste, wenn man in der Pause einer normalen Aufführung von der rechten nach der linken Seite oder umgekehrt wollte. Ähnliche Ziele verfolgten in den siebziger Jahren Produktionen des Opernstudios in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses, wo unter anderem Die Dorfsängerinnen von Valentino Fioravanti und Don Quichotte von Giovanni Paisiello, noch einmal zwei selten gespielte Opern des 18. Jahrhunderts, zur Aufführung gelangten.

Daher ist und bleibt Il matrimonio segreto ein Solitär in der Geschichte der Deutschen Oper Berlin: eine musikalische Komödie des 18. Jahrhunderts auf der großen Bühne – und sie ist nicht von Mozart! Bis 1974 gab es 44 Auffhrungen davon.

Die Winterferien sind vorbei, am Mittwoch geht es wieder weiter im VHS-Kurs. Ich weiß inzwischen, was die Ursache des Doppelpfiffs ist, unter dem einige Teilnehmerinnen das letzte Mal litten, und wir werden das gleich am Anfang gemeinsam bereinigen können. Bis dann,

Curt A. Roesler

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