Dienstag, 2. Februar 2021

Don Carlos und Otello in Chalottenburg

Während Rigoletto, La Traviata und Il trovatore seit ihrer jeweiligen deutschsprachigen Erstaufführung Mitte der 1850er Jahre durchgehend im Repertoire blieben, wurden die Werke, die Giuseppe Verdi vor und nach diesem »Dreigestirn« schrieb, bald vergessen. Fast alle sind durchaus in ganz Europa gespielt worden, aber eben nicht mit nachhaltigem Erfolg. Es bedurfte also einer »Verdi-Renaissance« in den 1920er und 1930er Jahren, an deren Spitze Dirigenten wie Fritz Busch und Bruno Walter standen, unterstützt von Regisseuren wie Carl Ebert und Walther Brüggmann. Dass letzterer heute schon wieder vergessen ist, steht auf einem anderen Blatt. Franz Werfel nahm sich damals eines Werks an, das in Deutschland besonders unter dem Vorwurf eines angeblich unsinnigen Librettos litt, La forza del destino, Die Macht des Schicksals. Die Neufassung wurde 1926 zuerst in Altenburg gespielt und im Jahr darauf holte sich Fritz Busch das Werk als Neuentdeckung nach Dresden. Carl Ebert, dessen erste Inszenierung 1931 als Intendant der Städtischen Oper Berlin Macbeth galt, holte im Jahr darauf Fritz Busch aus Dresden, um Un ballo in maschera herauszubringen. Auch Otello und Don Carlo gehörten zu den Werken, für die es in jenen Jahren galt, eine Aufführungsrtradition aufzubauen. Beide Werke nahm Bruno Walter 1928 in seinen Spielplan an der Städtischen Oper auf, wobei er nur Otello selbst dirigierte, Don Carlo überließ er seinem Stellvertreter György Sebestyén (George Sebastian, bzw später Georges Sébastian). Otello inszenierte Karlheinz Martin von der Volksbühne und für Don Carlo holten sie Walther Brüggmann aus Leipzig, wo er mit der Uraufführung von Jonny spielt auf Furore gemacht hatte (und zwei Jahre später die Sensation mit Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny wiederholen sollte). Alle bis hier genannten Künstler (außer Verdi natürlich) mussten nach der Machtübernahme der Nazis Deutschland verlassen oder das Berufsverbot hier irgendiwe überleben wie Karlheinz Martin.

Die Titelpartien sang 1928 in beiden Opern der schwedische Tenor Carl Martin Oehmann, einer der herausragendsten Sänger seiner Zeit. (Später unterrichtete er u. a. Nicolai Gedda, der vor allem das unglaubliche Piano in den höchsten Lagen von ihm ererbte, und Martti Talvela.) Elsa Jülich de Vogt war Elisabetta, Maria Müller von der Staatsoper Desdemona. Wilhelm Guttman (Rodrigo), Alexander Kipnis (Filippo II) und Sigrid Onégin (Eboli) ergänzten das illustre Ensemble im Don Carlos. Jago, den Bösewicht im Otello sang Wilhelm Rode, der später auf Hitlers Wink Intendant des wieder »Deutsches Opernhaus« genannten Theaters wurde.

Für Don Carlo war die Zeit offenbar noch nicht wirklich reif. Die Inszenierung bieb nur zwei Spielzeiten im Repertoire und kam auf insgesamt 17 Aufführungen. 1936 wagte die Staatsoper in Berlin einen neuen Versuch; Josef Gielen inszenierte, der nach einer Denunziation in Dresden durch Vermittlung von Clemens Krauss hierhergekommen war, ehe er dann zuerst nach Wien und dann nach Südamerika emigrierte. Seine Inszenierung des Schauspiels von Schiller zur Wiedereröffnung des Burgtheaters mit Oskar Werner und Werner Krauß war in den 50er Jahren in Wien legendär. Werner Egk dirigierte 1936 die Premiere in der Staatsoper, Franz Völker und Herbert Janssen waren das Freundespaar, Margarete Klose die Prinzessin Eboli. Der Dramaturg der Staatsoper, Julius Kapp, bereitete eine Neuübersetzung vor, die 1944 im Druck erschien und die 1948 zur Grundlage seiner eigenen Inszenierung an der Städtischen Oper Berlin wurde, auf die wir gleich kommen.

Zuerst zurück zu Otello. Gab es in den von Nationalismus geprägten späten Jahren des Kaiserreichs seitens der Theaterleitungen eine ausgeprägte Zurückhaltung gegenüber dem italienischen Repertoire, so richtete sich die Ablehnung »falscher, wälscher Kunst« im Hitlerreich fast ausschließlich gegen französische Werke. Italienisches, insbesondere Verdi und Puccini waren hoch angesehen und es fand spätestens seit der engen Allianz mit Mussolini auch ein reger Kulturaustausch mit Italien statt. Die Scala und die römische Oper gastierten in Berlin und es gab Gegeneinladungen. Und junge italienische Künstler wurden engagiert Mario Rossi vom Maggio Musicale Foirentino, der 1942 eine Otello-Premiere am Deutschen Opernhaus dirigierte. Regie führte der berühmte Wagner-Tenor Gotthelf Pistor. Constanze Nettesheim, Günther Treptow und Hans Reinmar verkörperten die Hauptpartien.

Schon in der ersten Nachkriegsspielzeit, am 3. Februar 1946 (vor fast genau 75 Jahren) kam Otello an der Städtischen Operheraus. Wieder hatte ein Sänger am Regiepult Platz genommen, ein Sänger, der gleichzeitig Intendant war: Michael Bohnen. Und wie Gotthelf Pistor verzichtete er darauf, selbst als Sänger mitzuwirken, obwohl er für eine Partie wie geschaffen war. Er überließ den Jago Josef Metternich, den er aus der zweiten Reihe der Sänger im Ensemble hervorholte und damit einer größeren Karriere zuführte. Ludwig Suthaus, seit 1941 an der Berliner Staatsoper engagiert, sang die Titelpartie, drei Jahre nach dieser Premiere wechselte er endgültig in den Westteil der Stadt. Helma Prechter sang die Desdemona, sie gehörte 1950 zum Gründungskollegium der Hochschule für Musik, die heute den Namen Hanns Eisler trägt.

Don Carlos von 1948 gehört zu den legendären Inszenierungen der Städtischen Oper, sie wurde in den folgenden zehn Jahren über 100 Mal gespielt. Es kam die erwähnte Neufassung von Julius Kapp zur Aufführung, der selbst Regie führte. Aber den musikalischen Stempel trug erst einmal Ferenc Fricsay auf, der kommende Generalmusikdirektor. Boris Greverus, dem wir schon als Florestan begenet sind, sang die Titelpartie, Dietrich Fischer-Dieskau und Josef Greindl, die für Jahrzehnte das West-Berliner Opernleben prägen sollten, gaben ihren Einstand als Rodrigo und Filippo II. Johanna Blatter, die von Heinz Tietjen an das Haus geholt worden war, sang die Eboli. Das Ganze ist vom Rundfunk aufgezeichnet worden und heute als CD verfügbar; Sie können die DC kaufen oder es sich bei Spotify und anderen Streamingdiensten anhören.

Fischer-Dieskau und Greindl waren auch 16 Jahre später dabei, als Gustav Rudolf Sellner die Oper im neuen Haus inszenierte und später vom Fernsehen aufzeichnen ließ. Zwei Mal noch kam es seit 1964 zu einer Neuinszenierung des Don Carlo. Beide Male dirigierte der jeweilige Generalmusikdirektor (ein solchen hatte die Deutsche Oper Berlin 1964 nicht, es dirigierte Wolfgang Sawallisch als regelmäßiger Gast): 1992 stellte sich Rafael Frühbeck de Burgos damit vor, 2011 war es schon der heutige, Donald Runnicles. Giacomo Aragall, der über 20 Jahre die Partie in aller Welt sang und für fast unvermeidlich galt, war 1992 Don Carlos, 2011 war es Massimo Giordano. Julia Varady (Elisabetta), Mariana Cioromila (Eboli), Andreas Schmidt (Rodrigo) und Matti Salminen (Filippo II.) waren 1992 noch dabei, 2011 war Anja Harteros als Elisabetta vorgesehen, die kurzfristig erkrankte und durch Lucrezia Garcia ersetzt wurde, die weiteren Solisten waren in entsprechender Reihenfolge Anna Smirnova, Boaz Daniel und Roberto Scandiuzzi. Die Regisseure waren: Hugo de Ana (1991) und Marco Arturo Maerelli (2011)

Otello hatte nach dem improvisierten Gastspiel von Renata Tebaldi, das als DVD vorliegt, noch drei Inszenierungen bis heute: 1967 (Lorin Maazel und Gustav Rudolf Sellner), 1991 (Giuseppe Sinopoli und Graham Vick) und 2010 (Patrick Summers und Andreas Kriegenburg). Die ersten beiden Produktionen waren natürlich von den Dirigenten geprägt, die letzte vom Regisseur. 

Diese Woche sind Winterferien in Berlin, wir treffen uns also wieder am 10. Februar in der VHS-Cloud. Bleiben Sie gesund; bis bald,

Curt A. Roesler

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