Auch Don Giovanni wurde bisher acht Mal am Charlottenburger Opernhaus inszeniert. Die erste unter dem damals gebräuchlichen Titel Don Juan noch im Kaiserreich, aber schon mitten im Krieg. Am 22. September 1916 – die verlustreichen Schlachten um Verdun und an der Somme waren in vollem Gange – feierte die Inszenierung des Intendanten Georg Hartmann Premiere. Holger Börgesen, Erster Bariton des Hauses von 1914 bis 1921, sang die Titelpatie. Auch sonst glänzte das Ensemble mit seinen Spitzenkräften. Hertha Stolzenberg, die Minnie der Erstaufführung des Mädchens aus dem goldenen Westen, sang Donna Elvira, Paul Hansen, Parsifal und Lohengrin vom Dienst, den Don Ottavio, Eduard Kandl, der Buffo des Hauses, den Leporello, Nelly Merz, die nur kurz im Ensemble verweilte, um etwa Elisabeth im Tannhäuser zu singen, die Donna Anna. Am Dirigentenpult stand Rudolf Krasselt, der zusammen mit Eduard Möricke für all die Werke zuständig war, die Ignatz Waghalter aus irgend einem Grund nicht dirigieren konnte. Diese Inszenierung müssen wir uns also als Musikdrama ganz im romantischen Sinn vorstellen. – Seltsamerweise wurde Don Giovanni unter Bruno Walter nicht gespielt. Die Zauberflöte übernahm er von seinen Vorgängern, und Fritz Zweig, dem er auch Die Zauberflöte anvertraute, gab er Così fan tutte auf. Später übernahm er dann selbst auch noch Die Hochzeit des Figaro. Don Juan aber gab es in seiner Zeit nur als Ballett mit der Musik von Gluck. »Glotzt nicht so romantisch«, schien er den Berlinern zuzurufen. – Die Romantik kehrte aber bstimmt ein wenig zurück, als er das Haus verlassen hatte und Wilhelm Furtwängler zwei Neuinszenierungen übernahm. Nach Loherngrin 1929 war das Don Giovanni 1930. Ein illustres Ensemble mit nur einem Gast, nämlich Rose Pauly von Klemperers Krolloper als Donna Anna. Hans Reinmar (Don Giovanni), Hans Fidesser (Don Ottavio), Käte Heidersbach (Donna Elvira), Alexander Kipnis (Leporello), Ludwig Hofmann (Komthur), Maria Ivogün (Zerline), Edwin Heyer (Masetto). Als Bühnenbildner holte man Max Slevogt, der schon 1924 in Dresden einen Don Giovanni ausgestattet hatte, der aber vor allem berühmt ist für seine Porträts des Hofopernsängers Francisco d'Andrade in der Partie des Don Giovanni um die Jahrhundertwende. – Wilhelm Rode setzte die Inszenierung 1934 sofort ab, um eine eigene vorzubereiten, die 1937 auf die Bühne kam. Der »Reichsbühnenbildner« Benno von Arent lieferte dazu die Ausstattung, Karl Schmitt-Walter (und erstaunlicherweise nicht Rode selbst) war Don Giovanni, Walter Ludwig und Elsa Larcen waren Don Ottavio und Donna Anna. Die Premiere war – jetzt wieder unter dem Titel Don Juan – am 30. September. Rode hätte die Stimme für einen Don Giovanni, nicht aber die Beweglichkeit gehabt. Soviel Selbstkritik hätte man ihm gar nicht zugetraut, die ihn davor bewahrte in dieser Partie aufzutreten. – In der zweiten Nachkriegsspielzeit dann ein neuer Don Giovanni. Werner Kelch, der sich zu einem der bedeutendsten Opernregisseure der Nachkriegszeit entwickeln sollte, mit einem Hang zum Realismus, ohne diesen überzubetonen, führte Regie. Artur Rother, ehemaliger Generalmusikdirektor des Deutschen Opernhauses (Wilhelm Rode wollte Karl Böhm haben, aber der zog es vor, in Dresden zu bleiben, schließlich blieb er bei Artur Rother hängen) und künftiger Chef des Rundfunkorchesters, studierte das Werk musikalisch ein. Hans Wocke, der seit 1935 im Ensemble war und zunächst das zweite Fach vertrat mit Nebenrollen oder Rollen, die man für nicht so wichtig hielt wie Sharpless in Madame Butterfly, begann nun seine späte Karriere als Erster Bariton mit der Titelpartie. Außer Katarina Kutz (Donna Anna) besteht das übrige Ensemble aus wenig bekannten Namen. Gottlieb Zeithammer, der sich nach dem Krieg aus Leipzig nach Berlin durchgeschlagen hatte und an der Komischen Oper und an der Städtischen Oper Gastverträge hatte, sang den Leporello. Ich kenne ihn aus seinen letzten Jahren am Zürcher Opernhaus, wo er seit 1948 Ensemblemitglied war. – Hatte Werner Kelch 1946 noch Josef Fennecker, den ehemaligen Ausstatungsleiter des Schillertheaters, als Bühnen-und Kostümbildner zur Seite, so verantwortete er 1953 alles selbst. Natürlich wäre das eine Premiere für Ferenc Fricsay gewesen, aber der hatte seine Stellung als Generalmusikdirektor am Ende der vorangegangenen Spielzeit aufgegeben. So kam nun Karl Böhm wieder nach Berlin ud wieder an die Städtische Oper. Diese Premiere steht für das künstlerische Profil des Hauses in den 50er Jahren. Dietrich Fischer-Dieskau als Don Giovanni führte das Ensemble an: Elisabeth Grümmer (Donna Anna) Martha Musial (Donna Elvira), Lisa Otto (Zerlina), noch einmal Walther Ludwig (Don Ottavio) und Robert Koffmane (Masetto). Als Leporello und der Komthur kamen Gäste aus München und Stuttgart, Benno Kusche und Otto von Rohr. Das war eine scharfe Konkurrenz zur Komischen Oper, die bis dahin von Mozart nur Die Hochzeit des Figaro anzubieten hatte. – Über die nächste Inszenierung, die Eröffnungsvorstellung der Deutschen Oper Berlin am 21. September 1961, ist schon genug gesagt worden. Sie wurde nach zwölf Jahren durch eine Inszenierung von Rudolf Noelte abgelöst. Mit dieser Inszenierung, die exemplarisch die 70er Jahre vertrat, verbinden wahrscheinlich die meisten Don Giovanni und die Deutsche Oper Berlin. Der unvermeidliche Gazeschleier im Bühnenportal, das Bühnenbild nicht durchgägngig gebaut, sondern mit Licht »gemalt«, allerdings mit ganz schummerigem Licht. Viele Besucher glaubten in den 80er und 90er Jahren, das sei noch die Inszenierung von 1961 – so altbacken war die Ästhetik bereits da. Ruggero Raimondi sang den Don Giovanni, Pilar Lorengar war noch immer Donna Elvira, Gundula Janowitz Donna Anna, Graziella Sciutti war als Zerlina verpflichtet worden. Weiter waren dabei: Luigi Alva (Don Ottavio), José van Dam (Leporello) Bengt Rundgren (Il Commendatore) und Manfred Röhrl (Masetto). Ein interantionales Spitzenensemble, angeführt von Lorin Maazel. Bereit für jede Schallplatten- und Filmaufnahme. Raimondi und van Dam waren dann tatsächich auch 1979 dabei als Sony die Tonaufnahme mit dem Pariser Orchester produzierte, die dem Film von Joseph Losey als Grundlage diente. – Spätestens zum Mozart-Jahr 1991 wollte Götz Friedrich eine Neuinszenierung herausbringen. Doch die Verhandlungen mit Regisseuren zogen sich hin, schließlich blieb nichts anderes als eine »Neueinstudierung« der Noelte-Inszenierung durch den Spielleiter Knut Sommer übrig. Und so blieb Noeltes Inszenierung auch noch im nächsten Mozart-Jahr, 2006, im Repertoire. Erst 2010 inszenierte Roland Schwab das Werk neu. Und zwar radikal neu. Es flossen neuere Interprettionsansätze ein, so etwa der von Peter Sellars, der Don Giovanni und Leporello in seinem Film von einem Zwillingspaar spielen ließ. Bei Roland Schwab gleichen sich nun nich nur Don Giovanni und Leporello bis aufs Haar, es kommen noch unzählige weitere Doubles von Don Giovanni auf die Bühne. Außerdem wird die Geschichte so auserzählt und auf den Punkt gebracht, dadss sich das Schluss-Sextett erübrigt, was aber keineswegs zu einer Romantisierung oder Dämonisierung führt. – Nun sind schon wieder elf Jahre vorbei, wir nähern uns dem durchschnittlichen Abstand zwschen zwei Inszenierungen des Don Giovanni. Wird es bald einen neue geben?
Für die Zehlendorfer Kursteinehmer gibt es in der VHS-Cloud nützliche Links zu den Fernsehproduktionen, die auch auf DVD veröffentlicht wurden, und Bilder. Die Sammllung wird laufend ergänzt.
Bis morgen, Curt A. Roesler
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