Mit »Uraufführung« bezeichet man heute die allererste Aufführung eines dramatischen Kunstwerks, also eines Schauspiels, einer Oper, eines Balletts, eines Film. »Wold Premiere« heißt es in Englisch, diesem Nachgebildet ist der Pleonasmus »Welturaufführung«. Als die Globalisierung der Kunst noch nicht so weit fortgeschritten war, wurde gelegentlich auch das, was wir heute »Erstaufführung« nennen, als Uraufführung bezeichnet. In Kritiken früher Janáček-Aufführungen in Deutschland etwa kann man mitunter lesen, es habe sich um eine »Deutsche Uraufführung« gehandelt. Und noch am 11. September 1951 wurde in der Städtischen Oper die Premiere der Phantasien um Callot von Gian Francesco Malipiero als Uraufführung bezeichnet, obwohl I Capricci di Callot schon 1942 in Rom uraufgeführt worden waren. Der Widerspruch war mir sofort aufgefallen, als ich vor bald vierzig Jahren eine interne Statistik der Premieren seit 1912 in die Hand bekommen hatte. Als mir Detlef Meyer zu Heringdorf seine Dissertation zum Lesen gab, machte ich ihn darauf aufmerksam und in der Druckfassung ist das bereinigt. Dass es auch bei der Dame Kobold 1916 einen solchen Widerspruch gibt, fällt mir erst jetzt auf. Die Oper wurde am 23. Februar in Darmstadt zur Uraufführung gebracht und kam am 17. März am Deutschen Opernhaus in Charlottenburg eben nicht zur Uraufführung, sondern nach heutigem Verständnis zur Erstaufführung. Das wird in der Powerpoint-Präsentation, die für Kursteilnehmer in der VHS-Cloud zur Verfügung stehen, bald noch entsprechend geändert.
Es bleiben also noch neun Opern-Uraufführungen am Deutschen Opernhaus in seiner ersten Phase, dfie wir hier kurz betrachten wollen. Es beginnt 1913 mit dem musikalischen Drama Wieland der Schmied. Den Stoff hat schon Wagner interessiert und bekanntlich wollte Adolf Hitler in seiner Rienzi-Begeisterung eine Oper nach dem Entwurf von Wagner schreiben. Das Libretto, das Wagner seinem Kunstwerk der Zukunft als Anhang beigab, dachte er sich von Hector Berlioz vertont, notfalls auch von ihm selbst, was aber beides nicht erfolgte. Ein wenig bekannter slowakischer Komponist, Ján Levoslav Bella (1843–1936), komponierte zwischen 1880 und 1890 eine Einrichtung des Librettos durch Oskar Schlemm, der nicht zu verwechseln ist mit dem 1888 geborenen Bauhauskünstler Oskar Schlemmer. Uraufgeführt wurde die Oper aber erst 1926, mit ebensowenig durchschlagendem Erfolg wie die von Kurt Hösel. Siegmund von Hausegger schrieb außerdem 1904 eine Sinfonische Dichtung mit dem Titel Wieland der Schmied.
Die Hügelmühle des Berliner Komponisten und Kompositionslehrers Friedrich Ernst Koch führt uns zu einem vergessenen Literaturnobelpreistrräger. Karl Gjellerup bekam den Preis 1917 zusammen mit seinem dänischen Kollegen Henrik Pontoppidan (wer kennt den?) zugesprochen. Groß gefeiert wurde wegen des Krieges nicht, die Preise wurden per Post zugesandt, am 10. Mai 1918, als Die Hügelmühle am Deutschen Opernhaus uraufgeführt wurde, hatte Gjellerup die Medaille und das Geld noch nicht in der Hand, aber bald sollten sie kommen und er kaufte sich die Villa Baldur in Dresden-Klotzsche, wo er seit über 30 Jahren mit Unterbrechungen lebte. Die Villa konnte er allerdings nur kurz genießen, er starb 1919. Die Hügelmühle, ein Roman in 5 Büchern (kann man antiquarisch kaufen) war 1896 der erste in deutscher Sprache geschriebene Roman. Liebe und Eifersucht sind die bestimmenden Handlungselemente des an der Prosa Emile Zolas orientierten und in der dänischen Heimat des Dichters angesiedelten Werkes (dänischer Titel: Møllen). Außer in Dänisch und Deutsch schrieb Gjelerup auch noch in Französisch und Griechisch. Seine Wagnerbegeisterung führte ihn von den Anfängen im Geist des Naturalismus zum Symbolismus seiner späten Dichtungen.
Franz, oder genauer: František, Neumann kennt man wie Weingartner eher als Dirigenten. Er dirigierte nämlich u. a. die Uraufführung der Katja Kabanowa von Janáček, mit dem er seit Studententagen verbunden war. Der Herbststurm (1919) fußt auf dem 1895 in Zagreb uraufgeführten Drama Equinox des kroatischen (oder serbischen, bei Wikipedia wird heftig gestritten, richtig wäre vielleicht: dalmatinischen) Dichters Ivo Vojnovic, das später auch noch von dem slowenischen Komponisten Marjan Kozina vertont wurde. Es ist eine Geschichte von Liebe, Hass und Fremdenhass. Der Amerikaner – den die Hauptfigur Anica, im Deutschen Opernhaus von Hertha Stolzenberg gesungen, am Ende heiraten wird – heißt Niko, was in Serbisch und Kroatisch Niemand heißt.
Biblisches Terrain betreten wir – man ahnt es schon, wenn man den Titel liest – bei Magdalena (1919) von Fritz Koennecke (eigentlich Christian Friedrich Koennecke, 1876–1960). Eine entsprechende Inhaltsangabe habe ich in einem Opernführer von 1922 gefunden, in späteren Auflagen desselben ist die Oper nicht mehr enthalten, sie war eben nicht so erfolgreich, dass sie noch gespielt wurde. Die Geschichte der Maria Magdalena ist darin wüst erweitert um ein Eifersuchtsdrama mit Pontius Pilatus, der sie verfolgt und glaubt, dass sie einen anderen liebt; nein, nicht Jesus, das wäre schon schlimm genug, aber den lässt er um ihrer Bitten Willen erst einmal frei. Dann aber scheint ein römischer Soldat sein Rivale zu sein. Da lässt er den »König der Juden« dann doch umbringen und erkennt zu spät sein historisches Vergehen. Uff!
Kammermusik, das Lustspiel von Heinrich Ilgenstein, das dem Hofkonzert von Paul Scheinpflug (1922) zugrundeliegt, wurde 1925 auch für einen Stummfilm mit Henny Porten verwendet. Beides scheint aber nichts mit dem berühmten Tonfilm von 1936 mit Marta Eggerth und Johannes Heesters mit dem gleichen Titel zu tun zu haben, der Tonfilm fußt auf einer Operette von Edmund Nick.
Soviel für heute, am Mittwoch sehen wir uns in der VHS-Cloud, bleiben Sie gesund,
Curt A. Roesler
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