Ich hatte versprochen, zu den 13 klassischen russischen Opernfilmen (in den drei Blogbeiträgen im Oktober beschrieben) Alternativen aufzuspüren. Neuere Aufnahmen, meist ursprünglich Fernsehübertragungen, die die Opern in der Regel vollständiger wiedergeben und bei denen der Soundtrack mit modernerer Technik aufgenommen ist. Wir bleiben bei der Reihenfolge der sechs russischen Regisseure, beginnend mit Grigori Roschal, dem ältesten, der eine heute sehr selten gespielte Oper aufgenommen hat, Aleko, das Erstlingswerk von Sergej Rachmaninow. Die Oper ist 2015 in Nancy und in Brüssel aufgeführt worden; 2018 stand sie in Rennes zusammen mit Iolanta von Tschaikowsky auf dem Spielplan. Die Aufführubng von Nancy gibt es hier mit französischen Untertiteln zu sehen. Der rumänische Regisseur Silviu Purcărete erarbeitete die Insznierung mit zur Hauptsache russischsprachigen Sängern. Er lässt die Handlung im Zirkusmilieu spielen. Am gleichen Abend wurde auch Francesca da Rimini von Rachmaninow gespielt, darauf werden wir später vielleicht im Zusammenhang mit Zandonais gleichnamiger Oper kommen.
Boris Godunow und Chowanstschina, als Filme realisiert von Wera Strojewa, gibt es in zahlreichen neueren Versionen. Bei Boris Godunow ist die Frage der Fassung bedonders interessant. Wir fangen an mit einer Aufführung des Bolschoi-Theaters zwei Jahrzehnte später; Boris Khaikin dirigiert die Inszenierung von Leonid Baratow 1978. Jewgeni Nesterenko singt die Titelpartie, Irina Arkhipova ist Marina. In dieser Aufführung werden die beiden sich eigentlich ausschließenden Bilder vor der Wassily-Blashenny-Kathedrale (aus der Fassung von 1869) und in der Waldlichtung bei Kromy (das ist in der Fassung von 1872/74 der Schluss der Oper) unmittelbar nacheinander gespielt. Der Gottesnarr singt sein Lied so zwei Mal, aber man wollte nicht auf die unmittelbare Begegnung mit Boris verzichten; andererseits sollte die Oper unbedingt mit dem Tod des Boris enden, wie es sich seit den legendären Aufführungen weltweit mit Fedor Schaljapin eingebürgert hatte. Eine weitere Aufführung des Bolschoi-Theaters von 2007 gibt vor, die »1872« Fassung zu sein, endet jedoch wie Rimsky-Korsakow mit dem Tod des Boris und verzichtet auf das Bild vor der Kathedrale, satt dessen steht dort das eigentliche Schlussbild. Der Genuss ist durch stark übersteuerten Ton etwas getrübt. Wer eine »saubere« Endfassung (auch in der originalen Instrumentation von Mussorgsky) sehen möchte, greift also besser zu der Aufführung der Salzburger Festspiele 1998. Claudio Abbado dirigiert die Inszenierung von Herbert Wenicke. Anatoli Kotscherga singt die Titelpartie. Wer eine »saubere« Erstfassung von 1869 (ohne den Akt der in Polen spielt) sehen möchte, findet sie hier. Valery Gergiev dirgierte 2012 die Co-Produktion des Mariinski-Theaters mit dem Festival von Baden-Baden, die Inszenierung ist von Graham Vick, den Boris singt Evgeni Nikitin. 22 Jahre früher hatte er eine Co-Produktion mit Covent-Garden dirigiert. Der Filmregisseur Andrei Tarkovsky führte Regie mit Robert Lloyd in der Titelpartie. Hier ist die Aufführung zu sehen; das ist wieder eine konventionellere Fassung mit Kathedrale- und Kromy-Bild, aber wenigstens in der richtgen Reihenfolge. Die Oper endet als »Volksoper« (wie Mussorgsky das Werk bezeichnet haben wollte) mit dem Volk und nicht mit dem sterbenden Zar. Noch einmal die Fassung von 1869 ist hier aus der Bayerischen Staatsoper zu sehen; Kent Nagano dirigiert, die Inszenierung ist von Calixto Bieito. Eine kleine, aber feine Aufführung habe ich noch hier gefunden, sie kommt auch aus St. Petersburg, dort aber aus dem Eremitage-Theater. Eine fast spartanische Ausstattung von Valeri Lewental (er hat auch immer mal wieder an der Komischen Oper und an der Staatsoper gearbeitet), konventionell irgendwie, aber sehr authentisch. Die musikalische Leitung hat der Litauische Dirigent Gintaras Rinkevičius. Es ist die Fasssung von 1869, das hatte Kupfer in den 1980ern an der Komischen Oper auch gemacht – ohne Pause, was ein gewisse Herausforderung war für das Publikum.
Deutlich übersichtlicher ist das Angebot bei Chowanschtschina. Hier kommt man auch an Claudio Abbado nicht vorbei. Er hat das Werk 1989 an der Wiener Staatsoper herausgebracht, Regisseur war Alfred Kirchner. Die Produktion ist auch auf DVD veröffentlicht, es ist also möglich, dass dieser Link bald wieder entfernt wird. Chowanschtschina ist ein unvollendetes Werk. Im Gegensatz zu Boris Godunow gibt es hier nicht einmal eine Instrumentierung von Mussorgsky selbst. Am weitesten verbreitet ist her die Fassung von Rimsky-Korsakow, der das Werk 1886, knapp fünf Jahre nach dem Tod des Komponisten zur Uraufführung brachte. Als Diaghilev Chowanschtschina 1913 in Paris herausbrachte, erstellte Maurice Ravel eine neue Instumentation, an der auch Strawinsky beteiigt war. Zusammen komponierten sie ein Finale, das Abbado in seiner Auffüerhung auch verwendet. Ansonsten greift er auf die Ausgabe von Dmitri Schostakowitsch von 1960 zurück die »russischer« klingt als Ravels, aber auch Rimsky-Korsakows Fassung. Eine Alternative wäre diese Aufführung des Bolschoi-Theaters von 1979, Inszenierung von Leonid Baratow mit langen Bärten und langen Kleidern, aber mit großartigem Chorklang. Oder das gleiche 2013 aus St. Petersburg mit Valery Gergiev am Pult. Natürlich mit modernerer Kameraführung und besserer Tonübertragung. Und die Bärte sind auch etwas kürzer. Eine weitere Aufführung gibt es von 2018 aus Rostov am Don, also der sogenannten russischen Provinz. Die Regie ist von Pavel Sorokin, Andrey Ivanov dirigiert. Die Sänger waren mir vorher nicht bekannt, aber es wird auf sehr hohem Niveau musiziert und gespielt. Die drei Akte sind in einzelnen Viodeos: 1. Akt, 2. Akt, 3. Akt. Die Tonaufnahme ist leider nicht sehr ausgeglichen, manchmal stechen einzelne Instrumente hervor, die nur Farbe sein sollten.
Demnächst geht es weiter mit Schostakowitsch und Tschaikowsky.
Bis dann, Cuzrt A. Roesler
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.