Sonntag, 1. November 2020

Mithridates VI.

Den Namen eines der mächtigsten Könige der Antike kennt man fast nur noch aus der Literatur. Durch Jean Racine wurde Mithridates VI. 1672 zur Bühnenfigur, knapp hundert Jahre später durch Vittorio Amedeo Cigna-Santi, einen getrreuen Schüler von Pietro Metastasio, zur Titelfigur einer Oper. Sein Königreich war Pontus. Pontos heißt auf griechisch nichts anderes als Meer, gemeint ist ein besonderes Meer, der Pontos Euxeinos. Dieser Ausdruck scheint schon etwas euphemistisch zu sein, dahinter steckt Pontos Axeinos, »ungastliches Meer«. Heute nennen wir es das Schwarze Meer. Ausgehend von der Krim, wo Mithridates I. im 3. Jh. v. Chr. die Herrschaft seines Geschlechts begründete, dehnte es sich um das ganze Meer herum aus und umfasste auf seinem Höhepunkt im 1. Jh. v. Chr. auch die gesamte heutige Türkei. Dreimal griff Mithridates VI. die Römer an, nur beim ersten Mal war er einigermaßen erfolgreich. Der letzte der Kriege, die sich über drei Jahrzehnte streckten endete mit dem Untergang des Pontischen Reiches. Wie immer, wenn ein Krieg verloren ist, dauert es nicht lang, bis entsprechende »Dolchstoßlegenden« aufkommen. Davon gibt es bei Mithridates reichlich. Dafür weniger gesichertes historisches Material. Die Quellen, auf die sich Racine und Cigna-Santi stützten waren die römischen Geschichtsschreiber Appian und Cassius Dio. Appian berichtet, dass Mithridates sich zu vergiften versuchte und als das misslang sich von einem Getreuen mit dem Schwert umbringen ließ. Cassius Dio hingegen lässt ihn von zu seinem Sohn übergelaufenen untreuen Truppenmitgliedern ermorden. Von beidem ist etwas in den Literarischen Mithridates eingeflossen. Das Gift ist für die Verlobte des Mithridates bestimmt, die nämlich insgeheim dessen jüngeren Sohn Xipharès liebt. Doch als sich herausstellt, dass der wirkliche Verräter der ältere Sohn  Pharnakes II. ist, nimmt Mithridates den Befeh zurück und stürzt sich selbst in das Schwert. Sterbend segnet er die Liebenden und rät ihnen zur Flucht.

Pharnakes II. machte sich später die Wirren des römischen Bürgerkriegs zunutze, um die Römer noch einmal aus Kleinasien zu vertreiben, war damit aber nicht langfristig erfolgreich, die Stellung Roms als Weltmacht war nicht mehr zu brechen.

Wiewohl die Handlung der Tragödie zum größten Teil erfunden ist, bestand Racine darauf, dass er alles historisch genau abgefasst habe. Es entspann sich ein kleiner Disput mit seinen Kritikern, der aber durch den Erfolg des Stücks schnell gegenstandslos wurde. Ludwig XIV. war sogar so begeistert, dass er sich zehn Jahre später noch daran erinnerte und eine Wiederholung anordnete.

Wenn man einmal davon absieht, dass eine »opera seria« nach dem Schema Pietro Metastasios in der Regel mit einem friedichen Thronverzicht zugunsten der nächsten Generation endet und Tote nur auf den auf der Bühne nicht gezeigten Schlachtfeldern zu beklagen sind, entspricht Mithridate ziemlich genau den Anforderungen an einen Opernstoff. Nur Metastasio ist selbst nicht auf den Stoff gekommen, sonst gäbe es viel mehr Opern mit diesem Stoff. Ein Zeitgenosse von Metastasio (1698–1782), Benedetto Pasquaglio (aktiv 1706–1732) schrieb 1723 ein Libretto Mitridate re di Ponto vincitore di se stesso, das in Venedig veröffentlicht und von Giovanni Maria Capelli vertont wurde; 1738 kam es mit Musik von Bernardo Aliprandi noch einmal in München zur Aufführung. Auch Apostolo Zeno (1668–1750), Metastasios Vorgänger als Wiener Hofdichter schrieb 1728 für Antonio Caldara einen Mitridate Eupatore. Auch Nicola Porpora, der Konkurrent Händels in London schrieb in den 1730er Jahren zwei Opern nach diesem Stoff. Keine von diesem Opern allerdings wird man heute noch irgendwo hören können. Und auch die Oper von Mozart ist erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wieder zum Vorschein gekommen. Die Uraufführung 1770 soll etwa sechs Studen gedauert haben. Bei YouTube gibt es u. a. diese Aufführung aus Brüssel 2016. Sie dauert knapp unter drei Stunden.

Weiteres zur Oper von Mozart demnächst hier, eine schöne Woche wünscht Curt A. Roesler

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