Mit der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 haben wir uns bereits im Zusammenhang mit Don Carlos von Giuseppe Verdi befasst. Die Opéra war so glücklich, drei Wochen vor Öffnung der Pforten das neueste Werk von Verdi herausgebracht und es auch im Laufe der ersten Aufführungen dem Theatergebrauch angepasst (sprich gekürzt) zu haben. Einige der gekrönten Häupter aus der ganzen Welt, die Paris aus Anlass der Weltausstellung besuchten, konnte sie auch als Besucher empfangen. Buchstäblich alle (mit Ausnahme des österreichisch-ungarischen Kaisers) besuchten aber La Grande-duchesse de Gérolstein im Théâtre des Variétés. Während Don Carlos europäisches Kulturgut par excellence darstellte mit dem für die Opéra typischen historischen Bezug, legte Offenbachs neueste Operette die Gegenwart des zweiten Kaiserreichs schonungslos offen. Zu den Attraktionen der Industrieschau gehörten der Sicherheitsaufzug der Firma Otis und die Telegraphentechnik von Samuel Morse, vor allem aber die »dicke Berta« von Alfred Krupp. Die hätte sich Napoléon III. etwas genauer ansehen sollen und die Operette, die die Folgen eines Krieges zeigt, den man einfach so vom Zaun bricht, bzw. sich dazu provozieren lässt. Das hätte ihn vielleicht vom Untergang im Krieg gegen Deutschland drei Jahre später bewahren können.
Offenbachs Aufstieg als Operettenkomponist war eng verbunden mit der ersten Weltausstellung, die Napoléon III. 1855 ausrichtete. Das erste (nur 300 Zuschauer fassende) Theater der Bouffes-Parisiens stand genau gegenüber dem Eingang der Ausstellung. Die erste Lizenz, die Offenbach erhalten hatte, erlaubte nur Einakter und maximal vier Darsteller in jedem Stück. Das Eröffnungsprogramm am 5. Juli (die Weltausstellung lief da schon drei Monate) enthielt neben einem Prolog von Ludovic Halévy und Joseph Méry eine Parodie des Barbier von Sevilla, eine kurze pastorale opéra comique von Offenbach und als Hauptwerk Les deux aveugles, die erste »Bouffonnerie« von Offenbach. Das zweite Programm, das Offenbach dort im August ausrichtete, enthielt Le violoneux, eine bretonische Legende, in der Hortense Schneider als La Reinette debütierte. »La Snèdre«, wie sie in Paris bald genannt wurde, blieb jedoch nicht lange bei Offenbach, da sie ein weit lukrativeres Angebot vom Théâtre des Variétés bekam. Als sie 1864 ihre Bühnenkarriere aus persönlichen Gründen beenden wollte, war es jedoch Offenbach, der für sie die Rolle der Hélène in La belle Hélène komponierte und sie für die Operette zurück gewann. Die Bouffes-Parisiens hatte Offenbach inzwischen abgeben müssen, nun komponierte er für andere, eben z. B. das Théâtre des Variétés. 1866 entstand eine weitere Operette für Hortense Schneider, Barbe-Bleue, in der sie die Boulotte sang, und nach der Grande-duchesse de Gérolstein noch La Périchole.
Nach 200 Vorstellungen verschwand La Grande-duchesse de Gérolstein in Paris, sie wurde noch in der Provinz gespielt, vor allem aber im Ausland bis Australien und USA. In Frankreich wurde der antimilitaristische Einschlag nach dem verlorenen Krieg 1870/71 nicht mehr gern gesehen bzw. gehört. Fritzi Massary sang die Großherzogin von Gerolstein 1915 im Metropoltheater (dem Gebäude in dem heute die Komische Oper ist), die kaiserlichen Zensurbeamten hatten offenbar auch nicht gemerkt, dass Offenbachs Marschmusik Kriegbegeisterung immer im Halse stecken lässt. 1931 inszenierten Artur Maria Rabenalt und Wilhelm Reinking in der Volksbühne am Bülowplatz (ein Theater mit 2000 Plätzen!) Die Großherzogin von Gerolstein mit Schauspielern und Tänzern. Käthe Dorsch, die drei Jahre zuvor an der Seite von Richard Tauber in der Uraufführung von Franz Lehárs Friederike aufgetreten war, sang die Titelpartie. Die (von den Regisseuren nicht besonders geliebte) Übersetzung und Textbearbeitung stammte von Walter Mehring, die musikalische Einrichtung von Theo Mackeben. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nahm der Dirigent René Leibowitz, der schon Orphée aux enfers und La belle Hélène aufgenommen hatte, die Operette (genauer gesagt die »opéra bouffe«) für die Schallplatte auf, 1977 folgte eine Gesamtaufnahme unter Michel Plasson mit Régine Crespin in der Titelpartie; daraus wurde 1980 eine Fernsehproduktion, von der ich bei YouTube nur zwei Ausschnitte gefunden habe. Im gleichen Jahr wurde Die Großherzogin von Gerolstein an der Deutschen Oper Berlin gespielt, es war eine Low-Budget-Produktion, die sehr bald wieder von Spielplan verschwand. Patricia Johnson war eine beeindruckende Großherzogin, die Dekoration war aus abgespielten Opern und Balletten zusammengestückelt. 2004 wurde in Paris die Originalfassung nach der Neuausgabe von Jean-Christophe Keck produziert, Marc Minkowski dirigierte und Felicity Lott war die Großherzogin. Diese Aufführung ist bei YouTube hier zu finden.
Bis Mittwoch, Curt A. Roesler
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