Die Welt der »Commedia dell'arte« hat uns immer wieder beschäftigt. Die Stegreifkomödie des 17. und 18. Jahrhunderts hat die Oper nicht nur mit zahlreichen Stoffen versorgt, sondern die Entwicklung des Genres auch ästhetisch beeinflusst. Die berühmteste Figur aus der »Commedia dell'arte« ist der Arlecchino, der Harlekin. Goldoni hat eine Komödie geschrieben Arlecchino, servitore di due padroni (Arlecchino, der Diener zweier Herren). Vielleicht erinnert sich der einen oder andere noch an die berühmte Inszenierung von Giorgio Strehler, die um die ganze Welt getourt ist, wenn nicht: hier kann man die Erinnerung bei YouTube auffrischen. Arlecchino kommt auch in I Pagliacci von Leoncavallo vor und Ferruccio Busoni hat eine ganze Oper, einen nicht abendfüllenden Einakter, geschrieben, Arlecchino oder Die Fenster. Arlecchino ist ein Zanni (venezianischer Diminutiv für Giovanni), also ein Diener, verschlagen, auf den eigenen Vorteil aus, seine Sprache ist stark gefärbt mit dem Bergamasker Dialekt. Er trägt bunte Kleider und als Theaterfigur trägt er eine Maske (die aus Leder gefertigten Masken sind auch bei Strehler zu sehen). Er ist der einzige, der bei Colombina landen kann, die anderen haben das Nachsehen, die anderen, das sind Brighella, Truffaldino, Pedrolino im venezianischen Raum, Pulcinella im neapolitanischen.
Pedrolino gewinnt in der französischen Variante der »Commedia dell'arte« an Bedeutung als Pierrot. Ende des 17. Jahrhunderts ziehen die ersten (italienischen) Darsteller des Pierrot durch Frankreich. Pedrolino / Pierrot trug auf der Bühne im Gegensatz zu den anderen Dienern keine Maske, sondern er war weiß geschminkt. Seine Kleider waren nicht bunt und eng wie die des Arlecchinno, sondern ebefalls weiß und weit. In Frankreich verlor die Figur des Pierrot die Hinterhältigkeit des Zanni und wurde melancholisch und zum Mondanbeter. Ein berühmtes Gemälde von Antoine Watteau zeigt diese Figur, Gilles. Hier der Wikipedia-Artikel dazu. Das Bild ist in die Mediathek zu unserem Volkshochschulkurs kopiert.
Der berühmteste Pierrot im 19. Jahrhundert war Jean-Gaspard Deburau (1796–1846), auch kein Franzose von Geburt, sondern aus Kolín in der heutigen Tschechischen Republik stammend. Er spielte den Pierrot im Théâtre des Funambules ab 1826. Das aus Holz gebaute Theater am Boulevard du Temple stand direkt neben dem alten Théâtre de la Gaîté, und musste wie dieses 1862 der Vergrößerung der Boulevards weichen. Bei Filmfreunden dürfte der Name dieses Theaters bekannt sein. Es ist das Theater, dem Marcel Carné in Les enfants du paradis (Die Kinder des Olymp) ein Denkmal gesetzt hat. Für den Film wurde der Straßenzug und das Theater komplett wiederaufgebaut. Die Figur des Baptiste, verkörpert von Jean-Louis Barrault, ist Deburau (manchmal auch fälschlich Debureau geschrieben) nachempfunden. Niemand hat den Film bisher auf YouTube hochgeladen, oder er wurde wieder gelöscht, aber eine unbdenkliche Quelle ist das Internet Archive. Hier findet man ihn in der französischen Originalfassung natürlich, mit portugiesischen Untertiteln. Weniger bekannt als das Meisterwerk von Carné ist ein deutscher Film von 1938, in dem Gustaf Gründgens den Pantomimen spielt. Umso bekannter dafür ein Schlager daraus, »Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da«. Erstaunlich, dass Goebbels das in die Kinos gelassen hat.
Ein Buch des nachmals sehr einflussreichen Theater-und Literaturkritikers Jules Janin beförderte 1832 die Karriere Deburaus: Deburau. Histoire du Théâtre à quatere sous pour faire suite à l'histoire du théâtre-français. Nach dem Tod Deburaus übernahm sein Sohn Charles die Rolle des Pierrot und später Paul Legrand, den Nadar mit einer Fotoserie beehrte. Auch hiervon finden Sie ein Dokument auf Ihrem Schreibtisch in der VHS-Cloud.
Nach der gescheiterten Revolution von 1848 entwickelte sich Pierrot zu einer Leitfigur erst der Pessimisten in der Nachfolge Schopnhauers, dann der Symbolisten und schließlich der Modernisten als der Künstler an sich. Heute ist er eine Leitfigur der queeren Bewegung. Der Belgier Albert Emile Albert Kayenbergh veröffentichte 1885 unter seinem Künstlernamen Albert Giraud 50 Gedichte unter dem Titel Pierrot lunaire: Rondels bergamasques. 1892 veröffentlichte Otto Erich Hartleben seine Übersetzung. Schönberg ist nicht der einzige Komponist, der Gedichte aus Pierrot lunaire komponierte, aber er ist der eizige, der heute noch Bedeutung hat und er hat mit 21 auch eine sehr große Anzahl von Gedichten vertont. Wie er das getan hat, demnächst.
Herzlich grüßt,
Curt A. Roesler
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.