Wer in der Schule Französisch gelernt hat kennt das Kinderlied bestimmt, »Au clair de la lune / mon ami pierrot«. Freund Pierrot wird darin im Mondenschein um eine Feder gebeten, damit der Sänger etwas aufschreiben kann. Vorausgesetzt, dass mit Pierrot nicht irgend ein Peterchen gemeint ist, sondern der Pierrot aus dem Theater, so haben wir hier schon die Affinität der Figur zur nächtlichen Szenerie, denn offensichtlich wird er ja im Mondschein aufgesucht. Dass der Mond im Französischen wie in fast allen Sprachen, nur eben nicht in der deutschen, weiblich ist, sollte hier kurz erwähnt werden; es ist also eine Frau, die er anschmachtet. Was allerdings bei der queeren Konnotation des Pierrot keine große Rolle spielt.
Paul Verlaine, einer der bedeutendsten symbolistischen Lyriker, hatte um 1860 den Gedichtzyklus Les fleurs du mal (Die Blumen des Bösen) von Stéphane Mallarmé kennengelernt, die Urzelle des französische Symbolismus. Im Louvre ließ er sich von den Bildern Watteaus zu Gedichten inspirieren, die ab 1867 in verschiedenen Zeitschriften erschienen. 22 dieser Gedichte fasste er 1869 in dem Bändchen Fêtes galantes (Galante Feste) zusammen. Das Gedicht Clair de lune (Mondschein) war auch das erste, das er veröffentlicht hatte, allerdings hate es da noch den Titel, der später der ganzen Sammlung den Namen gab, Fêtes galantes. Claude Debussy hat ab 1891 zwei Mal drei dieser Gedichte unter dem gleichen Titel vertont; die Veröffentlichung erfolgte 1903 und 1904. Clair de lune steht dabei in der ersten Sammlung an dritter Stelle. Vor Debussy hatte dieses aber schon Gabriel Fauré vertont, es ist das zweite der zwei Lieder op. 46. Debussy kante diese Vertonung, denn er zitiert sie in seiner Suite bergamasque für Klavier, deren dritter Satz ebenfalls mit Clair de lune betitlet ist. Fauré kam noch einmal auf das für einen Tenor komponierte Lied zurück, als er 1919 für Raoul Gunsbourg das Bühnenstück (ein »Divertissement«) Masques et Bergamasques komponierte. In der Orchestersuite unter diesem Titel ist es allerdings nicht enthalten. Die Titel von Debussy und Fauré sprechen den Rahmen der »Commedia dell'arte« an mit den Dienern, die Bergamasker Dialekt reden, und den Masken, die die meisten von ihnen tragen, wie es in der zweiten Zeile des Gedichtes ausgedrückt wird. Pierrot wird als Person in Clair de lune nicht beim Namen genannt, dennoch ist er die Hauptperson, über die Albert Giraud dann seine ganze Sammlung symbolistischer Gedichte schreibt.
Die 50 Gedichte in Pierrot lunaire folgen einem strengen Versschema, Giraud nennt es »rondel« also »Rondo«. Zwei Strophen mit vier Zeilen folgt eine abschließende mit fünf. Die ersten beiden Zeilen werden als dritte und vierte Zeile in der zweiten Strophe wiederholt und die erste Zeile kommt auch als allerletzte, fünte, Zeile in der dritten Strophe noch einmal vor, das ergibt die Rondoform. Die Verslänge ist unterschiedlich in den verschiedenen Gedichten, so gibt es dennoch kürzere und längere Gedichte, allerdings in sehr engem Rahmen. Giraud, der französisch dichtete, kannte sich in der deutschen Literastur sehr gut aus, und holte sich dort auch Anregung. Davon zeugt, dass er etliche der Gedichte in Pierrot lunaire Dichtern wie Herrmann Bahr, Ernst von Wolzogen oder Julius Hart widmete.
In der Übersetzung von Otto Erich Hartleben verbreitete sich die Gedichtsammlung im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum. Die formale Strenge der Gedichte und der symbolistische Gehalt musste Komponisten wie Schönberg besonders ansprechen. Er suchte sich drei Mal sieben Gedichte aus und gestaltete sie für eine Diseuse und ein kleines Ensemble. Dabei wandte er erstmals in großem Umfang seine neu entwickelte Methode des Sprechgesangs an, bei dem Tonhöhen festgelegt werden, die jedoch nicht sklavisch einzuhalten sind, die den Sprecher aber auch nicht verleiten sollen, in Singsang zu verfallen. Genaueres dazu im nächsten Beitrag.
Bis bald, Curt A. Roesler
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