Oper und Film haben viel gemeinsam, aber es trennt sie auch Einiges. Keine Frage, dass die romantische Oper und speziell das Wagnersche Konzept vom »Gesamtkunstwerk« die frühen Filmschaffenden inspiriert haben. Wie sich die Stummfilmstars bewegen, ist kaum denkbar ohne die Anregungen aus der musikblgeleiteten Pantomime wie wir sie etwa vom Beckmesser in der Schusterstube des Hans Sachs kennen. Das ist Slapstick pur, und wenn der Regisseur nicht höllisch aufpasst, wird aus dem Spiel leicht »Micky-Mousing«, das völlige Parallelgehen von Musik und Bewegung – was immer auch Lacher erzielt (daher sind Werbefilme bis heute meist voll von »Micky-Mousing«), aber letztlich langweilig ist, weil sich Musik und Bühne nicht mehr ergänzen, also eines von beidem überflüssig ist. Oper und Film trennt jedoch grundsätzlich, dass der Film in jeder Vorstellung gleich ist, Oper aber nicht nur für den Zuschauer ein Live-Erlebnis ist, sondern auch für die Ausführenden.
Auffällig ist, dass sich frühe abendfüllende Stummfilme oft Opernthemen widmen. Über die Carmen von 1915 mit dem Opernstar Geraldine Farrar in der Hauptpartie haben wir sicher schon einmal gesprochen, hier der YouTube-Link. Die Kameliendame (=La Traviata) von 1921 mit Rudolph Valentino und Alla Nazimova ist hier und hier Salome von 1923, noch einmal mit Alla Nazimova. Vielleicht, so vermutet Helga Bertz-Dostal 1970 in ihrem Buch Oper im Fernsehen, liegt es daran, dass die Filmschaffenden den Beweis, dass es sich jetzt nicht mehr um eine Jahrmarktbelustigung, sondern um ernsthafte Kunst handelt, damit erbringen wollten, dass sie die Oberschicht, die auch in die Oper geht, anlockten. Sogar »Dick und Doof«, Stan Laurel und Oliver Hardy, das Komikerduo der frühen Tonfilmzeit, nahm sich 1933 noch einmal eine Oper vor, die damals noch häufig gespielte opéra comique Fra Diavolo von Auber.
Auf das Buch von Helga Bertz-Dostal beziehe ich mich hier hauptsächlich. Und weil ich es so lange nicht gefunden habe, hat es auch so lange gedauert, bis hier wieder ein Post erscheint. Sie ist in der zweiten Hälfte der 60er Jahre durch die Welt gefahren und hat bei unzähligen Fernsehanstalten in den Archiven geforscht. Heute haben wir sehr viel mehr Informationen zur Verfügung, vor allem im Internet. Und so kommen wir auch Irrtümern auf die Spur. Bertz-Dostal schreibt von einem Zusammentreffen, das es so doch nicht gegeben hat. Im Jahr 1926 wurde in der Dresdner Semperoper ein Stummfilm uraufgeführt, über den wir hier auch gesprochen haben, Der Rosenkavalier von Robert Wiene mit Live-Musik von Richard Strauss. Im gleichen Jahr verortet Bertz-Dostal die Uraufführung eines Tonfilms in New York, der als erste Opernverfilmung gelten sollte, Don Giovanni, gedreht mit Stummfilmstars wie John Barrymore und nachvertont mit dem New York Philharonic Orchestra und Solisten der Met. Sie zitiert eine begeisterte Kritik aus der New York Times: »Das New York Philharmonic Orchestra schien vollzählig im Saal anwesend zu sein.« Heute können wir, ohne irgendwohin reisen zu müssen, bei Wikipedia nachlesen, was genau am 5. August 1926 im Warners' Theatre in New York zur Aufführung kam. Ich empfehle die englische Seite, weil dort die einzelnen Filme des Abends genauer aufgelistet sind. Hauptsache war tatsächlich ein Film mit John Barrymore als Don Juan, der nachvertont worden ist, aber nicht mit Musik von Mozart und die New Yorker Philharmoniker wurden mit einem eigenen Film bedacht, in dem sie die Tannhäuser-Ouvertüre spielten und mit den Solisten der Met wurden einzelne Opernarien produziert. Außerdem kam dort an dem Abend auch ein Film zur Aufführung, den wir uns beim Beethoven-Kurs zusammen angeschaut haben: Mischa Elman und Efrem Zimbalist spielen einen Satz aus der Kreutzer-Sonate.
Eine Oper wie ein Film ist La fanciulla del West von Giacomo Puccini. Quasi der Ur-Spaghetti-Western. 1905 ist das Schauspiel von David Belasco in New York uraufgeführt worden und Puccini, der schon ein anderes Stück von ihm zur Oper umgestaltet hate, Madame Butterfly, wählte The Girl of the Golden West für seinen ersten Auftrag von der Met; 1910 wurde die Oper uraufgeführt. Und 1915 gab es die erste Verfilmung, der noch weitere folgten, darunter eine Filmoperette it Jeanette MacDonald und Nelson Eddy. Puccini, der ein großer Bewunderer – aber nicht Nachahmer – von Wagner war hat aber schon in seinen früheren Opern eine Art Filmdramaturgie verfolgt. So etwa in Manon Lescaut, deren Schlussakt er abweichend von der Vorlage in die amerikanische Wüste verlegte. Als der Schauspieler und Autor Herbert Hall Winslow 1914 den Stummfilm Manon Lescaut drehte, übernahm er nicht nur das Ende in Übersee (von uns aus gesehen), sondern als Hauptdarsteller auch zwei der berühmtesten Interpreten der Oper von Puccini (und auch der von Massenet), das zeitweilige Ehepaar Lina Cavalieri und Lucien Muratore.
Als erste echte Filmoper wird I Pagliacci von Fortune Gallo betrachtet. Er war der Impresario der Tournee-Operntruppe San Carlo Opera Company und drehte den Film 1930 mit heute eher unbekannten Sängern (es waren eben nicht die, die an der Met sangen). Die Regie überließ er Joe W. Coffman, von dem aber sonst auch nicht viel bekannt ist. 1931 war die Uraufführung und 1932 machte sich ein weit berühmterer Filmregisseur daran, eine Oper zu verfilmen, Max Ophüls. Wie es Gallo und Coffman mit der Tonproduktion hielten, weiß ich nicht. Von Max Ophüls aber weiß ich, dass er für die Außenaufnahmen der Verkauften Braut auch ein Orchester (das aber nicht zu sehen ist) auffahren ließ, die Sänger singen also live in diesem Film, was eher ungewöhnlich ist. Dieser Film ist – wie die meisten frühen Kinofilme – eine Mischung aus Film und Oper. Die verkaufte Braut ist nicht nur stark gekürzt (auf 77 Minuten) sondern von der durchkomponierten Oper zum Singspiel geworden und es gibt ausführliche Schauspielszenen, insbesondere mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt als Zirkusdirektor und seine (hinzuerfundene) Frau. Den Hans hat Ophüls nach Typ und nicht nach Stimmlage besetzt, es ist Willi Domgraf-Fassbaender. Kezal ist gar kein Sänger, sondern der aus M und Das Testament des Dr. Mabuse bekannte Schauspieler Otto Wernicke. Aber Marie ist Jarmila Novotna, die diese Partie auch viele Male auf der Bühne gesungen hat. Hier kann man den Film sehen, der Ton scheppert ein wenig, aber immerhin, ein Film von Ophüls bei YouTube.
In den dreißiger und vierziger Jahren sind viele Filmopern gedreht worden, meist in ähnlicher Weise, also stark gekürzt und bearbeitet, meist ist der Ton separat aufgenommen worden, was es ermöglicht, dass eine Schauspielerin wie Gina Lollobrigida plötzlich eine wunderbare Opernstimme hat. Sie war nämlich 1948 Nedda in einer der vielen weiteren Bajazzo-Filmen, die Stimme lieh ihr Onelia Fineschi. Tito Gobbi singt und spielt darin Tonio und Silvio! Hier zu sehen und zu hören. Die Kürzungen halten sich hier in Grenzen, I pagliacci ist ja ohnehin nicht sehr lang. Erst in den fünfzigern kam man offensichtich auf die Idee, eine exemplarische Bühnenaufführung im Film festzuhalten. Und das geschah zunächst zwei Mal bei den Salzbutger Festspielen. Paul Czinner dokumentierte 1954 den von Wilhelm Furtwängler dirigierten Don Giovanni und 1960 den von Herbert von Karajan dirigierten Rosenkavalier. Und damit sind wir schon fast bei der Fernsehübertragung, die dan im nächsten Beitrag dran ist.
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