Amahl und die nächtlichen Besucher vpn Gian Carlo Menotti war die letzte Inszenierung von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin. Wenige Tage nach der Premiere im Dezember 2000 starb er nach nach kurzer schwerer Krankheit, die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern. Amahl und die nächtlichen Bersucher ist eigentlich eine Kammeroper und die Bühne der Deutschen Oper Berlin ist zu groß, zumal die Titelpartie von einem Kind gesungen werden soll. Geschrieben wurde die Oper überhaupt nicht für ein Opernhhaus, sondern für ein Fernsehstudio. Die live aus dem NBC Opera Theatre im Rockefeller Center am 24. Dezember 1951 übertragene Uraufführung läutete eine neue Ära der Operngeschichte ein. Zwar gab es im Fernsehen, das zuerst überhaupt nur live übertragen konnte, von Anfang an auch Opernaufführungen. Und von Anfang an waren auch zeitgenössische Werke dabei. So hatte die BBC weniger Tage nach Beginn des regelmäßigen Sendebetriebs im November 1936 Ausschnitte aus einer kurz vor der Uraufführung stehenden Oper von Albert Coates, Mr. Pickwick, gesendet. Keine Übertragung einer Probe aus Covent Garden, sondern live im Studio nachgestellt. Mit Amahl and the Night Visitors aber wurde ein neues Genre geschaffen, die Fernsehoper. Amahl ist sehr schnell auch von Opernhäusern nachgespielt worden, so dass man heute fast gar nicht mehr daran denkt, dass es keine »gewöhnliche« Oper ist. Bei Owen Wingrave (1971) von Benjamin Britten ist das etwas anders. Diese Oper hat sich, obwohl sie schn zwei jahre danach in Covent Garden aufgeführt wurde, auf den Opernbühnen nicht wirklich etabliert. Bei Owen Wingrave macht sich etwas anderes bemerkbar: Brittens nächste (und letzte) Oper Death in Venice baut musikdramaturgisch auf den Erfahrungen des Vorgängerwerks auf, ist also eigentlich auch eine Fernsehoper, nur nicht für das Fernsehen komponiert. Aber ganz allegemein ist festzustellen, dass es keine scharf zu ziehende Grenze zwischen Oper und Fernsehoper gibt. Amahl war übrigens auch nicht die erste Kinderoper im Fernsehen, da hatte die BBC 1949 mit The Press Gang von Alan Bush die Nase vorn.
Die erste Übertragung aus einem Opernhaus erfolgte in der BBC am 17. Februar 1947. Aber auch jetzt war es noch nicht das Royal Opera House Covent Garden, das die Gegenwart von Kameras erlaubte, sondern das Cambridge Theatre. Dieses 1929/30 im Londoner West End gebaute Theater wird heute als Musical-Bühne benutzt, damals wurden dort auch Opern gespielt. Alberto Erede dirigierte an diesem Abend La Bohème und die BBC schaltete sich zum 3. und 4. Akt hinzu. Es wurden, wie die von Bertz-Dostal gefundenen Kamera-Protokolle einer späteren Übertragung nahelegen, drei Kameras verwendet, die alle im 1. Rang, Mitte, aufgestellt waren und unterschiedliche Objektive hatten. Der Fernsehzuschauer hatte also die Optik eines real in der Aufführung sitzenden Zuschauers, der gelegentlich ein Opernglas verwendet, um sich die Gesichter der Sänger näher heranzuholen.
Manche Regisseure sind der Meinung, dass Sänger grundsätzlich viel zu schlechte Schauspieler seien und man sie am besten durch echte Schauspieler ersetzen sollte. Das ist bei der Studioproduktion einer Oper, wie sie seit den 50er Jahren (egal ob es sich um Film oder Fernsehen handelt) üblich ist, leicht möglich. Da wird nämlich zuerst im Tonstudio der »Soundtrack« aufgenommen und erst danach im Fkilm- bzw. Fernsehstudio das Bild. Der Ton wird dann mit großen Lautsprechern zugespielt und ein Assistent ist ausschließlich dafür zuständig, darauf zu achten, dass die Lippenbewegungen der nur flüsternden Sänger mit der Tonaufnahme übereinstimmen. Selbstverstädnoich kann das auch ein Schauspieler, der vielleicht schon ein wenig Erfahrung mit Synchronsprechen hat, versuchen. Klar ist, dass man damit vielleicht ein breites Kinopublikum, nicht aber den Opernfan ansprechen kann, denn der will natürlich seine Lieblinge nicht nur hören, sondern auch sehen. Gelegentliche gelungene Ausnahmen wie der erwähnte Bajazzo mit Gina Lollobrigida als Nedda bestätigen die Regel. Aber auch hier hat BBC eine gewisse Pionierleistung erbracht. Bei Hänsel und Gretel ist die Skepsis der Regissuere ja schon irgendwie angebracht. Wer die Partien von Hänsel und besonders Gretel stimmlich bewältigen kann, auch wenn er nur in eine Mikrofon singen muss, ist auf jeden Fall deutich älter als sechs bis acht Jahre. BBC hatte diese Oper zu Weihnachten 1937 und 1939 auf dem Programm. Und auf dem Programm heißt, dass live gesendet wird, denn Aufzeichnungsmöglichkeiten gab es zu der Zeit noch nicht. Bertz-Dostal hat nur zu der Aufführung 1939 Aufzeichnungen gefunden und da war es eindeutig, dass in den benachbarten Ton- und Bildstudios, aus denen parallel übertragen wurde unterschiedliche Besetzungen agierten. Die Kinder wurden von Kindern dargestellt, aber von erwachsenen Sängerinnen gesungen. (Hänsel wurde übrigens von einem Mädchen dargestellt, aber achtjährige Mädchen sind ja bekanntlich disziplinierter als achtjährige Jungen, solange wir das nicht hinkriegen, dass es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr gibt.) Das Problem der Lippensynchronität wurde dabei ausgeblendet. Die Schauspieler bewegten ihren Mund gar nicht, sie spielten nur Pantomime. »Mimed opera« nannte man das denn und als nächstes folgte Tristan and Isolde, A Masque to the Music of Richard Wagner. Es wurde in einigen Fällen auch nach dem Krieg noch so gehandhabt, aber bewährt hat es sich offenbar nicht, denn weit verbreiteter sind Opernfilme mit Schauspielern, die durchaus so tun als ob sie singen würden und höchstens an Stellen die besonders von einer »inneren Stimme« geprägt sind, auf reine Pantomime zurückgreifen. Eine große Anzahl an solchen Filmen hat Petr Weigl in den 70er Jahren gedreht.
Mit der Gründung der EBU (European Broadcasting Union) 1950 und der Eurovision 1954 bekam auch die Oper ein Plattform zur Verbreitung über Rundfunk und Fernsehen über ganz Europa. So übernahm die BBC 1956 eine Studioproduktion der Hochzeit des Figaro des Bayerischen Rundfunks. Opernübertragungen etablierten sich dann in den 60er Jahren, eine der ersten in Deutschland war 1961 Don Giovanni, die Eröffnungsvorstellung der Deutschen Oper Berlin. Vorausgegangen war, als wohl erste Übertragung aus einem Opernhaus in Deutschland, Der Rosenkavalier aus Wiesbaden am 1. Mai 1961.
Die Dokumentation einer Bühnenaufführung kann sowohl live mit Publikum, als auch durch Aufzeichnung im leeren Theater oder in der im Studio wiederaufgebauten Dekoration aus dem Theater erfolgen. Der Vorteil bei der Aufzeichnung ohne Publikum ist, die Korreturmöglichkeit, die Lieve-Aufführung bringt unter Umständen weniger Präzision, dafür mehr Atmosphäre. Die meisten Opern, die in den 60er Jahren aus Hamburg übertragen wurden und den interessanten Spielplan von Rolf Liebermann widerspiegeln, wurden im Studio Hamburg und nicht in der Staatsoper produziert. Die Lulu von Wieland Wagner aus der Württembergischen Staatsoper wurde nach seinem Tod im Theater ohne Publikum aufgezeichnet. In Glyndebourne haben sie zum Teil besondere Vorstellungen mit geladenem Publikum aufgezeichnet.
In der zum 100-jährigen Jubiläum aufgelegten DVD-Serie der Deutschen Oper Berlin kann man auf unterschiedliche Weise zustande gekommene Aufnahmen sehen. So ist Don Giovanni, die Eröffnungsvorstellung, natürlich eine Live-Aufnahme mit Publikum, Die tote Stadt wurde in der Sommerpause 1983 im leeren Opernhaus unter Studiobedingungen mit live soielendem Orchester aufgenommen. Preußisches Märchen wurde im Studio aufgenommen zum Playback, also die Tonaufnahme wurde separat vorher erstellt. Nur die vierte Variante, bei der die Sänger in der Bildaufnahme von Schaspielern gedoubelt werden, gibt es hier nicht.
Nun werde ich noch ein paar Beispiele aussuchen und wir sehen uns morgen in der VHS-Cloud.
Herzliche Grüße, Curt A. Roesler
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