1934 fasste HMV den Entschluss, eine Gesamtaufnahme der Walküre herauszubringen. Bruno Walter sollte der Dirigient sein, der nicht mehr in Deutschland auftreten konnte, aber in Wien war es noch möglich. Den Anfang der Aufnahme des 1. Aktes mit Lotte Lehmann, Lauritz Melchior und Emanuel List haben wir uns zusammen im Kurs angehört haben und zu der habe ich in diesem Blog schon einen YouTube-Link angegeben, den ich aber gern hier wiederhole. Im zweiten Akt blieb das Projekt stecken. Nur dritte und die fünfte Szene wurden noch 1935 in Wien aufgenommen. Die Produktion zog sich hin und 1938 konnte Bruno Walter auch in Wien nicht mehr wirken, daher wurden die fehlenden Szenen des zweiten Aktes in Berlin mit einem anderen Dirigenten (und auch mit anderer Sängerbesetzung) aufgenommen. Hier dirigierte nun der Schallplattenpionier und Spezialist für Studio-Aufnahmen, Bruno Seidler-Winkler. Zu Lotte Lehmann, Lauritz Melchior und Emanuel List waren in Wien Alfred Jerger als Wotan und Ella Flesch als Brünnhilde getreten, eine Fricka gab es noch nicht, da die ja nur in der erste Szene auftritt. Lauritz Melchior sang auch in Berlin den Siegmund. Marta Fuchs und Margarete Klose, die beide zum Ensemble der Staatsoper gehörten, sangen Brünnhilde und Fricka. Als Wotan trat in Berlin ein noch nicht einmal dreißigjähriger Jungstar auf, Hans Hotter, der zwanzig Jahre später der Wotan werden sollte und die Partie auch noch in der Gesamtaufnahme des Rings von Solti singt. 1939 wurde der komplette zweite Akt auf 10 78-er Schallplatten veröffentlicht. Hier kann man ihn hören; angesichts der Entstehungsgeschichte wirkt er erstaunlich geschlossen. Der Dritte Akt wurde von HMV erst nach dem Krieg hinzugefügt. Er wurde dann in New York mit den dortigen Philharmonikern unter deren Chefdirigenten Artur Rodzinski aufgenommen. Die Met-Stars Helen Traubel und Herbert Janssen sind Brünnhilde und Wotan. Die Aufnahme ist etwas schwieriger zu finden, aber hier ist der Link. Der Ton beginnt erst nach über einer Minute, also bitte nicht zu früh den Lautsprecher aufdrehen.
Schon 1927 hatte die Schallplattengesellschaft Victor ein »nearly complete recording« der Walküre in seinen Katalog aufgenommen, die allerdings unter vier verschiedenen Dirigenten standen und dies auch mit verschiedenen Besetzungen. Große Teile wurden mit der Berliner Staatskapelle unter Leo Blech aufgenommen, Wotans Abschied, »Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind«, sogar zwei Mal, zuerst 1926 mit Alexander Kipnis und dann 1927 noch einmal mit Friedrich Schorr; diese Aufnahme wurde zumeist als Teil des Albums mit 14 78-er Schallplaten angeboten. Auf YouTube findet man hier eine Auswahl von insgesamt 71 Minuten, also etwa sieben oder acht Schallplatten. Dabei sind fast alle Aufnahmen mit Leo Blech, darunter Wotans Abschied mit Friedrch Schorr; nur zwei Platten (vier Seiten) mit Sir John Barbirolli, nämlich die Szene mit Wotan und Fricka aus dem zweiten Akt; es sind gar keine von den Aufnahmen unter Lawrence Collingwood und unter Albert Coates enthalten; so fehlt der erste Akt ganz, vom zweiten und dritten ist jeweils knapp die Hälfte vorhanden. Vom ersten Akt, der mit Göta Ljungberg und Walter Widdop als Sieglinde und Siegmund aufgenommen wurde, ist etwas in der Sammlung »Wagner in Stockholm« gelandet. Das von Albert Coates geleitete Orchester ist aber wohl kein schwedisches, sondern ein Londoner ad-hoc-Orchester. Die Sammlung findet man natürlich auch wieder bei Spotify & Co. Es gibt da noch anderes zu entdecken, etwa eine ganz frühe Aufnahme vom Anfang des dritten Aktes mit Birgit Nilsson unter Sixten Ehrling (und nicht des zweiten Aktes, wie YouTube hier angibt). »Schläfst du, Gast« aus der Aufnahme von 1926/1927 findet man hier, »Winterstürme« (und nicht die zweite Schallplattenseite »Du bist der Lenz«, die als Titel angegeben ist) hier. Als Dirigent ist hier Lawrence Collingwood (geschrieben Lawrance Collingwood) angegeben. Beide Schallplattenseiten sind aber hier zu finden, als Dirigent und Orchester wird hier die Staatskapele Berlin und Leo Blech angegeben. Die Teile aus dem 1. Akt, die mit Louise Trenton als Sieglinde und Howard Fry als Hunding aufgenommen worden sind, habe ich nirgendwo gefunden.
Tomislav Neralić, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin von 1955 bis 1996, konnte von sich behaupten, den Wotan in mindestens drei Sprachen auf der Bühne gesungen zu haben, kroatisch, italienisch und deutsch, während Rolf Kühne, ebenfalls langjähriges Mitglied der Deutschen Oper Berlin, von sich behaupten konnte, jede Partie im Ring gesungen zu haben, die im Baßschlüssel notiert ist. Seinen Alberich kann man etwa in der Ring-Gesamtaufnahme von Hans Swarowsky hören (auch leicht bei Spotify & Co. zu finden). Zum Schluss daher noch zwei Kuriosa: Die Walküre auf Italienisch. »Winterstürme wichen dem Wonnemond« (»Cede il verno«) hat Benjamino Gigli einst für einen Film aufgenommen. Und hier gibt es Wotans Abschied in einer Aufnahme des italienischen Rundfunks von 1942 mit Luciano Neroni. Die beiden Ausschnitte geben einen Eindruck davon, dass Die Walküre durchaus eine Oper ist, die zwar nicht direkt mit Rigoletto ode Un ballo in maschera zu vergleichen ist, aber doch auch vom Gesang lebt.
Viel Vergnügen beim Hören wünscht Curt A. Reosler.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.