Sonntag, 10. Mai 2020

Beethoven und die Französische Revolution

Das Jahr 1789 begann in Bonn mit der Eröffnung des Opernhauses. Beethoven spielte im Orchester Bratsche, etwa in Die Entführung aus dem Serail von Mozart. 18 ½ Jahre ist er, als die Revolutionäre in Paris die Bastille stürmen. In ganz Europa herrscht eine Umbruchstimmung, bei der es nicht unbedingt um die Abschaffung des feudalen Systems geht, sondern um die Beseitigung von Ungerechtigkeit. Um Befreiung von Politischen Gefangenen, um Abschaffung von Sklaverei jeder Art, um Freiheit in einem abstrakten Sinn. In der Oper etablierte sich auf der Basis der französischen Opéra comique ein Genre, das man heute meist »Rettungsoper« (engl. »rescue opera«) nennt, alternativ »Revolutionsoper« oder auch – weniger plausibel – »Schreckensoper«. Dabei geht es um die Rettung von zu Unrecht Verfolgten. Zwei Opern von Luigi Cherubini waren besonders  erfolgreich, Lodoïska und Les deux journées ou Le porteur d'eau (deutsch nur Der Wasserträger).
Eine Oper dieser Zeit, die angeblich auf einer wahren Begebenheit fußte, hieß Léonore, ou L'Amour conjugal (Leonore oder Die Gattenliebe). Den Text schrieb einer der großen Theaterpraktiker und -theoretiker der Zeit, Nicolas Bouilly. Ein Regimegegner, Florestan, wird darin von seiner Frau Leonore befreit. Seiner Spur folgend schleicht sie sich in Männerkleidern in das Gefängnis ein, in dem er seit zwei Jahren eingekerkert ist. Der Komponist Pierre Gaveau, ein Tenor, der sich die Rolle des Florestan selbst auf den Leib schrieb, ist heute nahezu vergessen. Zwei sehr gegensätzliche Komponisten eigneten sich das Libretto in italienischer bzw. deutscher Übersetzung an: der Dresdner Hofkomponist Ferdinando Paër und Musikdirektor des Theaters an der Wien, Ludwig van Beethoven. Am 3. Oktober 1804 kam Leonora ossia L'amore coniugale in Dresden heraus, am 20. November 1805 Fidelio in Wien. Beethoven überarbeitete die Oper zwei Mal gründlich, gut vier Monate nach der ersten kam die zweite Fassung heraus und 23. Mai 1814 die endgültige. Insgesamt vier Ouvertüren schrieb Beethoven dazu, die endgültige Fidelio-Ouvertüre wurde nicht rechtzeitig fertig, was für eine Ouvertüre bei der Uraufführung 1814 gespielt wurde, ist nicht ganz klar. Jedenfalls war es nicht eine der drei als »Leonoren-Ouvertüren« gerne im Konzert gespielten. Der Titel der Oper war 1804 Fidelio, 1805 hieß die Oper dann Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe, um in der endgültigen Fassung 1814 wieder zu Fidelio zu werden. Zur Unterscheidung ist es üblich geworden, die frühen Fassungen Leonore zu nennen, deswegen auch die drei Leonoren-Ouvertüren, die sämtlich zu frühen Aufführungen gehören (die 1. zu einer nicht zustande gekommenen 1806 in Prag). Die Aufführung im Theater an der Wien vor einigen Wochen wich davon ab: sie wurde als Fidelio angekündigt und übertragen, gespielt wurde aber eine frohe Fassung.
Nicht wenige Künstler und Intellektuelle in ganz Europa sympathisierten mit den Revolutionären in Paris, auch wenn sie in Diensten des Adels standen. Einen bedeutenden Dämpfer allerdings bekam die Bewegung 1793. Die Hinrichtung von Louis XVI. und Marie-Antoinette wurde als grausam und unnötig empfunden. Die »Schreckensherrschaft« Robespierres entfremdete dann vollends viele Sympathisanten der Revolution. Neue Bewegung brachte die Ernennung Napoleons zum französischen Oberbefehlshaber und sein zuerst erfolgreicher Italienfeldzug 1796/97. Nun keimte doch wieder Hoffnung auf, dass die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit von Frankreich ausgehend sich über ganz Europa ausbreiten könnten. Dass Napoleon später, nach dem Staatsstreich, sich selbst erst zum Ersten Konsul der Republik auf Lebenszeit und dann zum Kaiser der Franzosen erhob, brachte wieder Skepsis. Diese Skepsis allerdings ist wohl nicht der Grund, dass Beethoven auf eine Widmung seiner 3. Sinfonie an Napoleon verzichtete. Seine Geldgeber, insbesondere der Fürst Lobkovitz, in dessen Privatkreis die Sinfonie mehrmals aufgeführt wurde und dem sie schließlich gewidmet ist, waren ausgesprochene Gegner Napoleons. Ob die im im Titel genannte »große Persönlichkeit« (»composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo« – »komponiert, um die Erinnerung an einen Großen Menschen zu feiern«) dennoch Napoleon ist, darüber kann man lange streiten.
Beethoven und Napoleon wurden schon zu Lebzeiten mit ähnlichen Attributen versehen. Napoleon wurde als »Meteor« bezeichnet, die am Himmel der Völker aufleuchtet und eine gewisse Zeit alles beeinflusst, um dann wieder zu verglühen. Anton Schindler, der Sekretär Beethovens ab 1822, benutzt in seiner 1840 erstmals erschienenen Biografie ebenfalls den Begriff des Meteors, aber es ist nicht ganz klar, ob er Beethoven meint oder die geniale Interpretation seiner Sinfonien am Klavier durch Franz Liszt. Auch Ludwig Nohl verwendet den Begriff im 1877 erschienenen dritten Band seiner Beethoven-Biografie. Beethoven und Napoleon wurden und werden auch beide als »Titan« bezeichnet.
Aus der Revolution wurde im Wiener Kongress eine Neuordnung Europas, Restauration und Vormärz begannen damit. Ein halbes Jahr nach der Uraufführung der letzten Fassung des Fidelio begann der Kongress. Mehrere Staatsoberhäupter sahen eine Aufführung am 26. September. Beethoven komponierte für den Einzug der Delegationen eine sehr kurze Kantate Ihr weisen Gründer glücklicher Staaten, die vermutlich gar nicht zur Aufführung kam, und die unterschätzte Kannte Der glorreiche Augenblick, die wie eine Fingerübung für die 9. Sinfonie anmutet. Sie beginnt mit einem mächtigen Chor »Europa steht«. Die Kantate wurde in einer Akademie am 29. November 1814 uraufgeführt. Zwei weitere aktuelle Werke von Beethoven standen auf dem Programm: Wellington's Sieg, eine Komposition für einen Musikautomaten, die die entscheidende Schlacht gegen Napoleon beim spanischen Vittoria beschreibt, und die 7. Sinfonie, beides im Jahr davor uraufgeführt.

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