Zur Darstellung der Geschichte der Musik taugt ein Modell von aufeinanderfolgenden Stilepochen. Eine davon wird gern als »Wiener Klassik« bezeichnet, doch der Begriff ist umstritten, wie wir gleich sehen werden.
Die älteste Epoche umfasst mehrere Tausend Jahre, was allerdings nicht bedeutet, dass über einen solch langen Zeitraum die immer gleiche Musik gemacht wurde. Es ist ohnehin nur wenig bekannt, und es ist schwer, zu rekonstruieren, wie die Musik der Ägypter oder der Griechen oder der Römer geklungen hat. Es gibt zwar seit dem 7. Jh. v. Chr. eine Art der Notation von Tonhöhen und Tondauern im antiken Griechenland, aber die Dokumente sind viel zu selten, dass man daraus eine Musizierpraxis entwickeln könnte. Um 3300 v. Chr. wurde in Mesopotamien die Keilschrift entwickelt. Ein paar hundert Jahre später wurden die ältesten bekannten Darstellungen von Musikinstrumenten gemalt. Etwas mehr als 5000 Jahre also umfasst der Zeitraum, über den man eine Musikgeschichte schreiben könnte. Einige wenige solcher Gesamtdarstellungen gibt es. Das Standardwerk von Karl H. Wörner Geschichte der Musik haben die meisten Bibliotheken in ihrem Präsenzbestand, es kostet 80 € und muss man deswegen nicht unbedingt selbst anschaffen, z. Zt. ist es ohnehin nicht lieferbar. Es gibt aber bei Reclam eine Kleine Geschichte der Musik von Michael Heinemann, für 9,80 € z. B. bei jpc zu bestellen oder noch besser beim Buchhändler um die Ecke, wenn er wieder geöffnet hat. Heinemann folgt zwar auch dem Fluss der Musikgeschichte, also über die Musik, die bei der griechischen Tragödie erklang erfährt man am Anfang des Buches etwas, über die heutige Musik eher am Ende. Er vermeidet aber eine Einteilung in musikalische Epochen. So findet man kein Kapitel über die »Wiener Klassik«, sondern erfährt etwas über Haydn, Mozart und Beethoven im Kapitel »Kompositorische Strategien und musikalische Formenlehre«. Heinemann zeichnet die Geschichte der Musik nicht mechanisch nach, sondern versteht sie als Teil der Geistesgeschichte und verbindet historische und systematische Musikwissenschaft zu einem Ganzen.
Hier sei trotz aller Problematik eine Einteilung der Musikgeschichte in Stilepochen versucht.
Die Antike umfasst den größten Zeitraum, völlig unterschiedliche Funktionen der Musik wie Götter-Kult oder Vertreibung von Schädlingen von den Feldern gehören dazu. Die Zentren sind aus Sicht der späteren »westlichen« Musik Mesopotamien, Ägypten, Griechenland. Aber natürlich gibt es auch Zeugnisse von Musikausübung im asiatischen Raum, Indien und China insbesondere.
Für die westliche Musik hat Papst Gregor der Große, gestorben 604, eine Zäsur gesetzt. Der nach ihm benannte Gregorianische Choral, der systematisierte von Mönchen ausgeübte Kirchengesang beherrschte für Jahrhunderte nicht nur die Praxis mit der Entwicklung einer Notenschrift, die als Ursprung unserer heutigen gelten kann, sondern auch die Musiktheorie. Die verwendeten »Kirchentonarten« bauen auf den von griechischen Theoretikern überlieferten antiken Tonsystemen auf. Der gregorianische Choral ist einstimmig.
Der Begriff Ars antiqua (Die alte Kunst) bezeichnete im Nachhinein die ersten Gehversuche einer mehrstimmigen Musik, als nämlich von einem Komponisten und Theoretiker eine »Neue Kunst« verkündet wurde. Die bis zu drei Stimmen in dieser vor allem in Paris entwickelten Vokalmusik sind noch keineswegs unabhängig voneinander. Die als vollkommen erachteten Intervalle der Quote, der Oktave und der Quarte werden bevorzugt. Paris etablierte sich als Zentrum der Musikausübung parallel zum Beginn des Baus der Kathedrale Notre-Dame um 1160. Leoninus (um 1150 – um 1201) und sein Nachfolger als Leiter der Choralschule Perotinus (zwischen 1150 und 1165 – zwischen 1200 und 1225) sind die bedeutendsten Komponisten der Ars antiqua. Zu der Epoche gehört auch der Gesang der Troubadoure, deren bedeutendster französischer Vertreter Adam de la Halle (1237 –1287) ist, dem wir Le jeu de Robin et de Marion verdanken, ein szenisches Werk mit Musik, das neben der antiken Tragödie als Vorbild für die Entwicklung der Kunstform Oper gelten kann.
Die Ars nova (Die neue Kunst) ist durch die gleichnamige Abhandlung des Komponisten und Musiktheoretikers Philippe de Vitry zu ihrem Namen gekommen. Die Abhandlung erschien 1322 oder 1323. Wichtigster Vertreter dieser neuen Musik, in der die Singstimmen wesentlich unabhängiger (und auch zahlreicher) wurden, und in der die Rhythmik differenzierter wurde ist Guillaume de Machaut, dessen vierstimmige Messe de Nostre Dame als das erste komponierte Ordinarium gilt. Die Stilepoche der Ars Nova dauert bis zum Ende des 14. Jahrhunderts mit einigen Nachklängen im 15. Jahrhundert.
Alle Bezeichnungen folgender musikalischer Stilepochen haben ihren Ursprung in anderen Künsten, der Malerei, der Dichtkunst oder der Architektur. Die Renaissance, eine »Wiedergeburt« der Kunst aus dem Geist der Antike verdankt ihren Namen ebenfalls einem zeitgenössischen Kunsttheoretiker. Giorgio Vasari bezeichnete die Rückbesinnung der Bildhauer, Maler und Architekten auf die Ideale der Antike »Rinascimento«. Diese Bewegung begann bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts, in der Musik jedoch umfasst die Renaissance das gesamte 15 und 16. Jahrhundert. Es handelt sich um eine extrem reiche Epoche mit unglaublich vielen gleichzeitigen Formen und Techniken. Erstmals spielt auch die reine Instrumentalmusik eine große Rolle. Polyphonie und Homophonie existieren gleichwertig nebeneinander. Lieder von Johannes Ockeghem (zwischen 1420 und 1425 – 1497), Heinrich Isaac (um 1450 – 1517) und Ludwig Senfl (um 1490 – 1543, er komponierte Innsbruck, ich muss dich lassen) gehören ebenso dazu wie vielstimmige Messen und Instrumentalstücke von Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1525 – 1594) und Giovanni Gabrieli (1554/57 – 1612). Das Konzil von Trient fällt in diese Periode, auf dem Palestrina angeblich die polyphone Vokalmusik gerettet hat vor dem Verbot durch die Geistlichkeit, die das Stimmengewirr durch klare homophone Vertonungen der geistlichen Texte ersetzt haben wollte, damit man »den Text verstehen kann«.
Mit der Entwicklung des »Generalbasses«, einer einfachen akkordischen Begleitung auf einer dominierenden Basslinie, wurde der Weg für die Oper frei. Ein Sänger, der so begleitet wird, bekommt die Flexibilität zum Bühnengesang. Die Epoche des Barock (dessen Beginn in der Architektur und Malerei schon etwas früher anzusetzen ist) beginnt damit ziemlich genau im Jahr 1600. Zu dieser Epoche gehört auch die Entwicklung einer Vielzahl von Instrumentalformen, der Triosonate (Bsp. Arcangelo Corelli, 1653–1713) und des Instrumentalkonzerts (Bsp. Antonio Vivaldi, 1678–1741) Nach dem frühen Meister und Vollender der Kunstform Oper Claudio Monteverdi (1567–1643) entwickelt sich eine Blütezeit der Oper zu deren Vertretern neben Vivaldi auch Georg Friedrich Händel (1685–1759) zählt. Auf dem Gebiet der geistlichen Musik ist der Zeitgenosse Monteverdi Heinrich Schütz (1585–1672) zu nennen, und vor allen anderen als Vollender des Barock schlechthin Johann Sebastian Bach (1685–1750). Mit dem Tod Bachs beginnt eine Übergangszeit, machmal als Rokoko, manchmal als Vorklassen bezeichnet, die zur Klassik führt.
Womit wir nun bei der Klassik oder sogar bei der »Wiener Klassik« wären. Entscheidend für die Individualisierung in der Musik ist die Erfindung des Hammerklaviers, das die Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber den bis dahin bekannten Tasteninstrumenten vervielfacht. Die dynamische Freiheit wird auch in der Orchestermusik der Mannheimer Schule, in Paris und London erkundet. Die meisten Versuche einer zeitlichen Definition der Klassik setzen den Beginn auf 1770 – zufälligerweise (?) das Geburtsjahr Beethovens. Der Begriff Klassik nimmt Bezug auf den parallel verlaufenden Klassizismus in der Malerei. In der deutschen Literatur wird in der gleiche Weise von der »Weimarer Klassik« gesprochen, die allerdings erst um 1800 beginnt und bis zu Goethes Tod 1832 geht.
Die »Wiener Klassik« nun wurde früher oft auf 1770–1803 oder 1770–1806 datiert, und gleichzeitig ein Übergang in Beethovens Werk zur Romantik festgelegt (1803 komponierte er seine 3. Sinfonie, die »Eroica«, 1806 wurde sie uraufgeführt). Von den normalerweise zuerst genannten drei Komponisten der »Wiener Klassik« ist keiner in Wien geboren, Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) zog 1782 nach Wien, Ludwig van Beethoven (1770–1827) zehn Jahre später. Joseph Haydn (1732–1804) lebte die meiste Zeit, wenn nicht auf Reisen durch ganz Europa, auf den Residenzen der Fürsten Esterhazy. Zu den Wiener Komponisten, die das Klassische verkörpern, gehört aber auch Franz Schubert (1797–1828), man höre sich nur seine Sinfonien an. Andererseits kann Schubert durchaus auch als Romantiker gesehen werden, besonders seine Lieder stehen im Gegensatz etwa zu den von dem »Klassiker« Goethe bevorzugten Vertonungen seiner Altersgenossen. Setzt man aber das Ende der Klassik auf 1830, hat das zur Folge, dass ein Komponist der ganz eindeutig der Romantik zuzuzählen ist, komplett in die klassische Periode fällt, Carl Maria von Weber (1786–1826). Carl Dahlhaus etwa sprach deshalb lieber als von der »Wiener Klassik« von einer klassisch-romantischen Epoche.
Die Romantik ist ein Begriff aus der Literatur. Das ist zunächst das, was im Roman beschrieben wird, und der Roman ist die Literatur in der Volkssprache im Gegensatz zu den lateinischen Heldengedichten etwa des Vergil. In musikalischem Zusammenhang hat Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822) zum ersten Mal 1810 in einer Abhandlung über Beethoven und ein 5. Sinfonie von Romantik gesprochen. Auch Mozarts Don Giovanni bezeichnete er als romantisch. Er meinte damit modern, zeitgenössisch. Genauso verwendete später Wagner den Begriff, wenn er seinen Tannhäuser ins romantische Oper nannte. In der Oper ist das Jahr 1816 ein Schlüsseljahr für die Romantik. In Berlin wurde da Undine von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann uraufgeführt, die Oper klingt wirklich etwas nach Don Giovanni. Und in Prag Faust von Ludwig/Louis Spohr (1784–1859), diese Oper hat nichts mit Goethes Faust zu tun, sondern folgt dem alten Puppenspiel. Der erste Vollender der Romantik in der Oper ist zweifellos Carl Maria von Weber, dessen Freischütz 1821 den Nerv der Zeit traf. Alles, was das 19. Jahrhundert noch vorzuweisen hat, gehört der Romantik an, man kann in Frühromantik, Hochromantik und Spätromantik differenzieren.
Sie wird erst abgelöst von der Moderne (Neue Musik), die wiederum in Wien ihren Ausgang nahm. Richard Strauss (1864–1949) weitete die Spätromantische Harmonik in Elektra (1908) bis zur Atonalität aus. Begierig nahmen das Arnold Schönberg (1874–1951) und sein Kreis auf, die darauf ihre Reihenkomposition aufbauten. Gleichzeitig zertrümmerte in Paris Igor Strawinsky (1882–1971) mit seinem Sacre du Printemps die festgefahrenen Traditionen, bewundert von Claude Debussy (1882–1918) und Erik Satie (1866–1925), die den Weg dahin bereitet hatten. Die Moderne hatte ihre Blütezeit in den 20er Jahren, die 30er waren überall von einer Sehnsucht nach früher geprägt, in Diktaturen wie Deutschland, Italien, Spanien und der Sowjetunion wurde die Moderne sogar verboten. Der Neuanfang 1945 bedeutete zumindest im Westen eine Rückkehr zu den Idealen der Moderne vor dem Krieg. Wenn es auch einzelne Komponisten gab, die andere Wege gingen, so blieb die Neue Musik im Sinne der Schönberg-Enkel vorherrschend bis um 1970. Ob die Epoche inzwischen beendet ist, wird erst die zukünftige Musikgeschichtsschreibung festlegen.
Jedenfalls ist auch die Musik von der Postmoderne beeinflusst, als Begriff in der Architektur seit den späten 70er Jahren etabliert. Die Postmoderne ist geprägt von Stilvielfalt (»Diversity«). Die amerikanischen Minimalisten haben viel dazu beigetragen, dass wieder andere Hörformen akzeptiert werden. Phil Glass (*1937) mit seinem mit dem Regisseur Robert Wilson zusammen entwickelten neuen Musiktheaterformen ist zu nennen. Aber auch Arvo Pärt (*1935), der in Estland, dem Land der Chöre, Musik wieder mit Wohlklang zu vereinen wusste, gehört dazu.
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