Montag, 10. Februar 2020

Idomeneo

Als die Mozarts im Sommer 1780 von ihrem Landesherrn, dem bayerischen (meist noch bairisch geschrieben) Kurfürst den Auftrag bekamen, eine Karnevalsoper für den Münchner Hof zu schreiben, war das eine Ehre und eine Herausforderung zugleich. Zur Erklärung des »Landesherrn«: Salzburg gehörte zu der Zeit noch zum Herzogtum Baiern, erst nachdem dieses sich im Laufe der napoleonischen Kriege zum Königreich erklärt hatte, kam es mit seinem Fürstbischof nach einigem Hin und Her zum Erzherzogtum Österreich. Natürlich ging der Auftrag an Wolfgang Amadeus Mozart, aber Leopold hatte wie immer die Hände im Spiel und führte sich so auf, als wäre er der Vertragspartner. Fast zehn Jahre waren vergangen seit der noch jugendliche Komponist in jährlicher Reihenfolge hochbeachtete Opern für die Hauptstadt der österreichisch-habsburgischen Lombardei, Mailand, geschrieben hatte, Lucio Silla, Ascanio in Alba, Mitridate re di Ponto, 1770–1772. Danach waren noch 1775 die zwei Werke herausgekommen, die in der Literatur allgemein als die ersten wirklichen Meisterwerke bezeichnet werden, La finta giardiniera in München und Il re pastore in Salzburg, aber seither nichts Neues, nur das als Bewerbung für den Wiener Hof geschriebene und nie vollendete Singspiel Zaide.
Zu gerne hätte Mozart, der im Winter 1777/78 mit seiner Mutter auf dem Weg nach Paris längere Zeit in Mannheim Rast machte, für das Ensemble des dortigen Kurfürsten Karl Theodor eine Oper geschrieben. Das Orchester schien das weltbeste, zumindest das innovativste zu sein. Die »Mannheimer Schule« jedenfalls mit dem kultivierten Crescendo und Decrescendo ist eine feste Größe in der Musikgeschichte. Das soll nicht Paris schmälern (für das er 1778 die »Pariser Sinfonie« schrieb, die den »Premier coup d'archet«, die Attacke der den gleichen Bogenstrich verwendenden Violinen auf die Schippe nahm. Und das soll auch nicht London schmälern, wo der Junge Mozart einst in den Bach-Abel-Konzerten die Sinfonie kennenlernte.
Nun kam zu diesem ersehnten Auftrag, denn Karl Theodor war inzwischen Kurfürst von Baiern und mit seinem kompletten Hofstaat nach München umgezogen. Die Sopranistin Dorothea Wendling gehörte dazu und der Tenor Anton Raaff, die nun selbstverständlich die Hautpartien in Mozarts Oper singen sollten. Wer genau den Stoff Idomeneo vorgeschlagen hat, ist nicht bekannt, es haben viele mitgeredet, der Münchner Intendant Graf Seeau und seine Umgebung, die Mozarts in Salzburg, aber möglicherweise auch der Kurfürst selbst, der – schon seine Mannheimer Aktivitäten zeigten es – eine starke Affinität zum Französischen hatte. Ja, es ist ein Stoff aus der griechischen Sagenwelt, aber er ist durch französische Überlieferung vermittelt; diese wird aber stark verändert im Sinne deutscher Moralvorstellungen, was wiederum nicht ganz losgelöst von der italienischen »opera seria« zu sehen ist. Das betrifft vor allem den stark veränderten Schluss. Während in der Sage (und in der entsprechenden französischen Oper) das grausame Opfer vollzogen wird, bietet Mozarts Oper eine Schluss zwischen der biblischen Geschichte von Abraham und Isaak und den Libretti von Metastasio, wo der Herrscher am Ende zugunsten der nachfolgenden Generation abdankt.
Das ist die Geschichte des Idomeneus, König von Kreta, der mit den Griechen in den Trojanische Krieg gezogen ist gemäß Homer und anderer Überlieferer der Sage: Auf dem Heimweg geriet Idomeneus in einen Sturm. Der Meeresgott Neptun errettete ihn gegen das Versprechen, den ersten Menschen zu opfern, dem er in seiner Heimat begegnen wird. Das ist sein Sohn, Idamante heißt er in den Opernfassungen. Das Versprechen muss jedoch eingehalten werden.
Sofort fühlen wir uns an eine biblische Geschichte erinnert, an Abraham und Isaak. Das war ein beliebtes Motiv für Opern und Oratorien im 17. Jahrhundert. Aber dort gibt es eine gnädige Lösung. Nachdem Abraham bewiesen hat, dass er sich dem Willen Gottes unterziehen will, findet sich ein Opfertier, das statt des Sohnes geschlachtet werden kann. Eine solche Lösung gibt in der griechischen Sage nicht. Und auch nicht in den unmittelbaren Vorlagen Mozarts und seines Librettisten, des Salzburger Hofkaplans Giovanni Varesco (1735–1805). Das ist nämlich nicht direkt die Odyssee, sondern eine französische Nachdichtung der griechischen Sagen, Les Aventures de Télémaque, 1699 anonym veröffentlicht von François Fénélon (1651–1715), dem Hugenottenmissionar und Erzbischof von Cambrai. So wie im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert Die schönsten Sagen des klassischen Altertums von Gustav Schwab (1792–1850) die Quelle des Bildungsbürgertums waren, war im »ancien régime« der Fénélon die Quelle der gebildeten Adligen und Künstler für das Altertum. Jeder kannte die Aventures und Antoine Danchet (1671–1748) verfasste eine »tragédie lyrique«, ein Opernlibretto, das André Campra (1660–1744) in Musik setzte und am 12. Januar 1712 in Paris zur Uraufführung brachte. Das Libretto (wohl kaum die Musik) war dem Mannheimer und Münchner Hof bekannt, aber man hielt es eben wegen des unversöhnlichen Schlusses für nicht verwendbar. Anders als Libretti von Metastasio, die bedenkenlos (siehe Il re pastore) einem jungen Komponisten zur mehr oder weniger unveränderten erneuten Vertonung vorgelegt werden konnte, musste also mehr als ein Übersetzer daran gesetzt werden. In München wurde in der Regel italienisch gesungen – in Mannheim hatte es auch deutsche Opern gegeben. Aus der französischen »tragédie lyrique« musste ein italienisches Opernlibretto mit »lieto fine«, also glücklichem Ausgang werden. Für diese Bearbeitung schlugen die Mozarts Varesco vor, der auch schon bei Il re pastore behilflich gewesen war.
Die Zusammenarbeit ist sehr gut dokumentiert (viel besser als die eigentlich viel interessantere von Mozart mit Lorenzo da Ponte), weil Varesco noch die ganze Zeit in Salzburg blieb, als Mozart schon zu Proben nach München gefahren war. Zum Ende hin gab es einige Unstimmigkeiten, die u. a. dazu führten, dass im Libretto Texte abgedruckt werden mussten, die gar nicht gesungen wurden.
Idomeneo ist ein Singulär in Mozarts Schaffen. Sein Mischstil von deutscher, französischer und italienischer Oper, der auch in seinem letzten Meisterwerk, der Zauberflöte heraussticht, ist hier schon voll ausgebreitet. Das französische Vorbild etwa mit dem abschießenden Ballett, das noch auch Louis XIV. zurückgeht, ist evident. Aber einige der Arien konnten aus einer »opera seria« stammen, etwa die der Elettra (wie ja auch die der Königin der Nacht). Und manches hat eine deutliche Nöte zu den frühen deutschen Opern etwa Ignatz Holzbauers (1711–1783) Günther von Schwarzburg, 1777 in Mannheim uraufgeführt.

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