Montag, 27. Januar 2020

Der Rosenkavalier

Eine der erfolgreichsten  Opern des 20. Jahrhunderts kam bereits 1910 in Dresden heraus: Der Rosenkavalier von Richard Strauss mit einem Text von Hugo von Hofmannsthal und einem weiteren ungenannten (dessen Nachfahren bis zuletzt keine Tantiemen sahen). Seit dem 1. Januar 2020 können nur noch Leihgebühren für das Aufführungsmaterial erhoben werden. Der Unbekannte st natürlich kein Unbekannter, sondern Harry Graf Kessler, mit dem Strauss und Hofmannsthal einen »Deal« gemacht haben. Er wurde Widmungsträger der »Komödie für Musik« und beim schon ins Auge gefassten nächsten Werk, das sie in Dreiergemeinschaft verfassen wollten, sollte dann nur er und nicht Hofmannsthal als Autor auf der Partitur erscheinen. Natürlich gingen alle drei davon aus, dass dieses neue Werk ein ebenso großer Erfolg werden würde. Nur leider floppte die Josephslegende ungemein und wird bis heute kaum aufgeführt. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Alle großen Handlungsballette haben selbstverständlich ein Libretto, auch wenn darin (mit wenigen Ausnahmen bei Tschaikowsky oder Strawinsky) nicht gesungen wird. Im Libretto steht der genaue Handlungsablauf ebenso wie Andeutungen zum Bühnenbild oder Handlungsmotivationen für die Darsteller.
Schon vor der Uraufführung der Elektra machten sich Strauss und Hofmannsthal Gedanken zu einem weiteren gemeinsamen Werk. Hofmannsthal bot erst Christinas Heimreise an, eine Komödie, an der er gerade arbeitete, und die schließlich auch 1910 veröffentlicht wurde. Allerdings machte Strauss schnell klar, dass er sich eine andere Zusammenarbeit wünschte als bei Elektra, wo er ja tatsächlich einen schon für Schauspieler existierenden Text vertonte – und damit die »Literaturoper« des 20. Jahrhunderts nach Salome weiterentwickelte. An Christinas Heimreise soll Kessler übrigens auch beteiligt gewesen sein. Nehmen wir einmal an, als Graf konnte er es sich leisten, auf Tantiemen zu verzichten. Christinas Heimreise nach einer Episode aus den Memoiren von Casanova 55 Jahre später in Deutschland zu einem sogenannten Fernsehklassiker mit Johanna Matz.
Die Memoiren des Casanova deuteten schon in die richtige Richtung. Hofmannsthal und Strauss hielten Ausschau nach einem erotischen Roman des 18. Jahrhunderts. Gefährliche Liebschaften (oder auch Gefährliche Freundschaften) von Choderlos de Laclos (1741– 1803) waren gerade 1905 in zwei neuen Übersetzungen herausgekommen, darunter eine von Heinrich Mann unter dem alternativen Titel. Les Amours du Chevalier Faublas war da im deutschen Sprachgebiet eine echte Rarität, erst ab 1910 erschienen neuere Übersetzungen. Der Autor Jean-Baptiste Louvet de Couvray (1760–1797) war ein bedeutender französischer Politiker der Revolutionszeit, der »la terreur« im Schweizer Exil überlebte und nach der Rückkehr an der Direktorialverfassung mitschrieb. Leider starb er sehr früh an der Tuberkulose.
Der Roman selbst eignet sich nicht wirklich als Vorlage für eine Oper, obwohl das 1873 ein Komponist versucht hat. Sogar auch noch hier in Berlin. Die komische Oper Faublas ist eine der wenigen Opernuraufführungen der wilhelminischen Hofoper vor Strauss' Zeiten. Aber nichts ist geblieben von dem Komponisten Richard Wüerst (1824–1881), einem Schüler von Rungenhagen und Mendelssohn. Die Figur des Oktavian ist der Titelfigur aus dem Roman von Louvet de Couvray nachgebildet, und auch die darin vorkommende Marquise mag Ähnlichkeiten mit der Feldmarschallin haben. Drei Kapitel übrigens, in denen ein Freund des Vaters von Faublas, ein geflohener Pole, seine Geschichte erzählt, bieten den Stoff einer Oper von Cherubini, Lodoiska.
Für den Baron Ochs aber fand das Autorentrio eine Vorlage in einer der deftigen Komödien von Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV., also noch etwas früher als die intendierte Zeit der »ersten Regierungsjahre der Kaiserin Maria Theresia«. Monsieur de Pourceaugnac von Molière kam 1669 im Schloss Chambord zur Uraufführung und wurde im gleichen Jahr auch im Palais-Royal in Paris gespielt. Es handelte sich um eine »Ballett-Komödie«, also Musik spielte schon hier ein große Rolle und Hofmannsthal und Strauss fanden hier auch gleich Anregungen für ein weiteres Werk, Ariadne auf Naxos, die zunächst als Nachspiel zur Komödie Le Bourgeois gentilhomme, ebenfalls von Molière (und ebenfalls ursprünglich mit Musik von Jean-Baptiste Lully) vorgesehen war.
Durch sorgfältig zusammengetragene  Briefe und autographe Dokumente von Strauss, Hofmannsthal und Kessler ist die Entstehungsgeschichte des Rosenkavaliers sehr detailliert nachvollziehbar. Schon 1971 gab der Schweizer Musikwissenschaftler Willi Schuh das Libretto mit allen Fassungen, Szenarien, Briefen und auch dem Drehbuch des Films heraus (ISBN: 3-10-031533-2, zu finden in jeder Musikbibliothek).

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