Freitag, 27. September 2019

Die letzte Tragödie von Euripides auf der Opernbühne

Seine letzten zwei Lebensjahre verbrachte Euripides (ca. 480 v. Chr – 406 v. Chr.) in Makedonien, wo er aber weiter Tragödien schrieb, die in Athen aufgeführt wurden. Alkmaion, Iphigenie in Aulis und Die Bakchen wurden erst 405 aufgeführt und brachten dem gefeierten Dichter posthum noch einmal, zum 5. Mal, den Sieg im Tragödienwettbewerb ein. Preiswürdig war für die Juroren sicher nicht nur die emotionale Sprache und die zwingende Dramaturgie des Werks, sondern auch der Umstand, dass der Gott, der mit den Dionysien gefeiert werden sollte, im Zentrum des Dramas stand. Euripides kam gewissermaßen auf die Ursprünge des Dramas zurück, das aus den Chorgesängen zu Ehren des Dionysos hervorgegangen war. Nicht nur, dass der Gott nun zur Hauptfigur eines Dramas wurde, der Chor bekam auch wieder eine viel größere Bedeutung, etwa dadurch, dass sich Dionysos – in Verkleidung – an dessen Spitze stellt.
Alkmaion ist nicht erhalten, aber Iphigenie in Aulis (leider auch nicht erhalten ist Iphigenie auf Tauris von Euripides) gehört zusammen mit Medea (431) Elektra (413) zu den bekanntesten Stücken des antiken Dichters und zu denen, die unzählige Male vertont wurden, von Gluck, Cherubini, Strauss, um nur jeweils einen zu nennen.
Die Bakchen wurden seltsamerweise erst im 20. Jahrhundert für Komponisten attraktiv. Karol Szymanowski (1882–1937) begann 1913 mit einer Kantate Agawe, Egon Wellesz (1885–1974) schrieb 1928–1930 die Oper Die Bacchantinnen, die 1990 von John Dew in Bielefeld herausgebracht worden war und später in der Reihe »Musica Rediviva« von Orfeo für die CD produziert wurde. Le baccanti von Giorgio Federico Ghedini (1892–1965) kamen 1948 in Mailand zu Uraufführung, ein Jahr vor dem Oratorium Billy Budd, über das wir anlässlich der Oper nach dem gleichen Stoff von Benjamin Britten sprachen.
1963 erhielt Hans Werner Henze von den Salzburger Festspielen den Auftrag für eine Oper für das Große Festspielhaus. Schnell kamen Henze und seine Librettisten Wystan Hugh Auden und Chester Kalman überein, Die Bakchen von Euripides in einer modernisierten Form herauszubringen als The Bassarids (Die Bassariden). In siebten Kapitel seiner Autobiografie Reiselieder mit böhmischen Quinten (ISBN 3-10-032605-9) beschreibt Henze sehr literarisch seinen Weg zur Komposition eines solchen Mammutwerkes. Etwa wie er von seinen Librettisten gezwungen wurde, nun endlich einmal eine Oper von Wagner – Die Götterdämmerung – von Anfang bis zum Ende anzusehen. Es war die Produktion von Herbert von Karajan an der Wiener Staatsoper, die in fast vollständiges Dunkel gehüllt war. Henze schaute also fünf Stunden lang unverwandt auf Herbert von Karajan.
Die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen am 8. August 1966 war einer der bis dahin größten Erfolge Henzes als Opernkomponist wenngleich sich die Oper nicht so schnell verbreitete wie Der junge Lord. Der amerikanische Komponist und Musikwissenschaftler Everett Helm verfasste eine ausführliche Kritik mit Werkanalyse für die Fachzeitschrift The Musical Quarterly. Nach ein paar Seitenhieben auf die stiefmütterliche Behandlung der zeitgenössischen Komponisten durch die Salzburger Festspiele (seit fünf Jahren waren Die Bassariden die erste Opernuraufführung, während noch in der ersten Hälfte der 50er Jahre jedes Jahr eine Oper aus der Taufe gehoben worden war) lobt er die Aufführung über die Maßen und bescheinigt Henze, dass er eine wirkliche Festival-Oper geschrieben habe.
Die Salzburger Festspiele kooperierten bei der Uraufführung mit der Deutschen Oper Berlin. Es sangen ausschließlich Solisten der Deutschen Oper Berlin und die ersten Proben fanden auch hier statt. Nur Chor und Orchester waren wie üblich von der Wiener Staatsoper. Schon am 28. September 1966 folgte die Erstaufführung in Berlin, nun natürlich mit dem Chor und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin, aber ebenfalls dirigiert von Christoph von Dohnanyi. Mailand, Santa Fe, Los Angeles, London und Frankfurt folgten im Laufe eines Jahrzehnts. Nur ein kleineres Theater, Oldenburg, wagte 1978 eine Aufführung, danach wurden Aufführungen seltener. 20 Jahre nach der Uraufführung gab es wenigstens wieder eine von Gerd Albrecht dirigierte konzertante Aufführung in der Philharmonie. 1989 folgte darauf eine szenische Aufführung in der Stuttgarter Staatsoper, mit der sich das Werk endgültig durchsetzte. Seither haben viele große Häuser das Werk wieder auf den Spielplan genommen, zuletzt kam bei den Salzburger Festspielen (in der Felsenreitschule) eine Neuproduktion heraus. In diesem YouTube-Video begründet Barrie Kosky (in englischer Sprache), warum er die Oper nun an der Komischen Oper neu inszeniert.

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