Dienstag, 2. April 2019

»Delirio amoroso«

Mit Händel sind wir noch nicht fertig. Auch die Deutsche Oper Berlin widmet sich diesem Komponisten in dieser Spielzeit. Im Juni kommt in der Tischlerei Delirio zur Aufführung, eine Überschreibung der Kantate Da quel giorno fatale (Delirio amoroso) HWV 99 von Georg Friedrich Händel durch den im Libanon geborenen und in Frankreich ausgebildeten Komponisten Zad Moultaka (*1967). Während wir in Poro, Re dell'Indie eine Oper Händels aus der Zeit seines höchsten Ruhms sehen können, handelt es sich mit der Kantate Delirio amoroso um ein Werk seiner ersten Jahre als Komponist. Die im Februar 1707 in Rom uraufgeführte Kantate ist zwar nicht seine erste dramatische Komposition. Er hatte davon für Hamburg bereits vier Opern komponiert, aber sie repräsentiert sein Frühwerk.
Der Librettist, Kardinal Benedetto Pamphilj, gehörte dem Kreis der »Arkadier« an, den wir im Zusammenhang mit Metastasio und dessen Musterlibretti kennen gelernt haben. Im Rahmen einer »Conversazione« dieses Kreises fand die Uraufführung statt. Da in Rom die Oper immer wieder mit Verboten belegt wurde, selbst »private« Aufführungen wurden gelegentlich vom Papst bekämpft, erfreuten sich Kantaten großer Beliebtheit. Hier traten die berühmtesten Kastraten auf und sie sangen Musik, die direkt aus Opern stammen konnte. Zwei Entlehnungen aus existierenden (dem dortigen Publikum aber sich nicht bekannten) Opern erlaubte sich Händel, dem nicht viel Zeit für die Komposition blieb seit seiner Ankunft in Rom am Anfang des Jahres.
Die weitaus meisten Kantaten aus dieser Zeit (diese weltliche Form der Kammermusik sollte nicht verwechselt werden mit den Kirchenkantaten, die in der Zeit vor allem in der lutherischen Kirche eine große Bedeutung hatten, und in denen immer der Chor bzw. er Gemeindegesang eine große Bedeutung hatten) sind Solokantaten. Es gibt aber auch einige »Duetti da camera«, die in Hannover aufgeführten von Agostini Steffani hatte Händel genauestens studiert. Die drei- vier- oder fünfstimmigen »Madrigale« aus denen diese Kunstform (wie musikalisch auch die Oper selbst) hervorgegangen war, galten als unzeitgemäß und wurden nicht mehr aufgeführt.
Ein Kantate ist nichts anderes als eine Opernszene. Das zeigt sich schon in der musikalischen Form, die aus einem Wechsel von Rezitativen und Arien besteht, der eine Art Ouvertüre vorangehen kann. Die Arien folgen – wie in der Oper – dem Schema des »Da capo«, was bereits durch die Dichtung vorgegeben ist (ebenfalls wie in der Oper). Anders allerdings als in der Oper, wo jede Szene durch eine Arie, jeder Akt ebenfalls durch eine Arie, seltener auch durch ein Duett beendet wird, beginnt und endet eine Kantate in der Regel mit einem Rezitativ. Manche Komponisten leisteten sich aber eine Freiheit mit der Gestaltung des letzten Rezitativ, indem sie dessen letzte Zeilen »herauszogen« und in einer neuen Art als Arie behandelten, als »cavata« (=»herausgezogen«), eine Arie ohne »da capo«. Daraus entwickelte sich später die »Kavatine«, wir kennen da vor allem »Und ob die Wolke sie verhülle« aus dem Freischütz. Händel macht etwas Ähnliches. Er fügt dem Schlussrezitativ ein »Minuet« an, das die Musik der »Arietta« vor dem Schlussrezitativ wieder aufnimmt.
In der Halleschen Händel-Ausgabe von 1995 wird noch der Kastrat Pasqualino Tiepolo als Sänger der Uraufführung genannt, der in Rom bis zur Schließung der Theater 1701 ein gefeierter Opernsänger war, aber für diese Musik wohl nicht mehr genug Virtuosität besaß. Nach neuester Forschung hat der berühmte junge Kastrat Francesco Besci, »detto Checchino«, bei der Uraufführung des Delirio amoroso gesungen. Auch die anderen Beteiligten waren erstklassige Solisten, Händel selbst leitet die Aufführung von Cembalo aus, Antonio Montanaro, ein Schüler Arcangelo Corellis spielte den virtuosen Violinpart. Auch der Solobläser Ignazio Rion (er hatte die Oboe und auch die Blockflöte zu spielen) gehört zu den berühmtesten Instrumentalisten der Zeit.
Der Stoff der Kantate ist eine Verdrehung des Orpheus-Stoffs. Die junge Clori beweint den Tod ihres Geliebten Tirsi und folgt ihm in den Hades. Der weist sie aber ab und will gar nicht zurück. Dann stellt sich heraus, dass sie das Ganze nur geträumt hat.

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