Mittwoch, 13. März 2019

Ambroise Thomas: Hamlet

Bald nach dem sensationellen Erfolg mit Mignon an der Opéra-Comique öffneten sich für das Team Carré / Barbier / Thomas auch die Türen der Opéra. Für Michel Carré und Jules Barbier nichts Außergewöhnliches, aber Ambroise Thomas hatte seit über 25 Jahren nichts mehr für das größte und berühmteste Opernhaus von Paris geschrieben. Eine große Oper in fünf Akten, mit einem historischen Stoff, möglichst schon anderweitig auf der Bühne erprobt, mit großen Chortableaus, Bühneneffekten und raffiniertem Orchester. So etwas hatten sie sogar schon in der Schublade. Noch vor Mignon hatten sie einen Hamlet geschrieben, eine Oper in vier Akten, möglicherweise ebenso wie die ersten Entwürfe für Mignon für das Théâtre-Lyrique vorgesehen. Ganz einfach konnte aus dem zweiten Teil des vierten Aktes ein fünfter gestaltet werden. Und das Ballett am Beginnn des 4. Aktes wurde erweitert, so dass es für Julien Petipa (den älteren Bruder des weit berühmteren Marius Petipa) genügend Gelegenheit für eine brillante Choreographie bot. Schon vor der Uraufführung der Mignon hatten Verhandlungen mit der Opéra begonnen. Es war jedoch noch keine Sängerin für Ophélie zu finden. Für Hamlet übrigens auch nicht wirklich, aber da dachte man schon, einen Tenor (!) zu finden. Erst als Thomas 1867 Christine Nilsson, die am Théâtre-Lyrique drei Jahre vorher einen Sensationserfolg als Traviata gefeiert hatte, persönlich kennenlernte und die Opéra sie engagierte, gingen die Vorbereitungen mächtig voran. Der Tenor allerdings war immer noch nicht zu finden, aber es gab einen Bariton im besten Alter, den Thomas noch von de Opéra-Comique kannte und der nun an der Opéra große Erfolge feierte in L'Africaine und Don Carlos. Für ihn, Jean-Baptiste Faure, wurde nun die Tenorpartie des Hamlet schnell zur Baritonpartie umgeschrieben.
Auch bei Hamlet haben wir es mit zwei Fassungen zu tun, einer, bei der der Titelheld überlebt und eine, bei der er am Ende stirbt. Wir kennen heute Shakespeare im Original und wissen natürlich um das Gemetzel am Ende von The Tragicall Historie of Hamlet, Prince of Denmarke, aber das war im 19. Jahrhundert keineswegs so selbstverständlich. Hamlet kannte man im 18.und frühen 19. Jahrhundert in den Spielfassungen von Garrick, Kean und Kemble, aber vor allem eben auch als Opernheld. The New Grove Dictionary of Opera führt zwischen 1706 und 1990 nicht weniger als 32 Opern auf, zehn davon vor 1868. Dass Hamlet vom Geist zum Leben verdammt wird, ist auch Bestandteil der direkten Vorlage für Carré und Barbier. Die stammt von Alexandre Dumas d. Ä. und Paul Meunier und kam 1847 heraus. Erst nach Dumas' Tod (und nach der Oper von Thomas) erstellte Meunier eine neue Fassung mit dem Tod des Helden, da der alte, klassizistische Schluss auf der Schauspielbühne nicht mehr zeitgemäß erschien. Wie Mignon kam auch Hamlet schnell nach London. Und wie für Mignon musste dafür eine italienische Fassung hergestellt werden. Die Übersetzung besorgte Achille de Lauzières, den wir als Übersetzer der italienischen Fassung von Verdis Don Carlo kennen. Für das englische Publikum schien das Überleben des Titelhelden als nicht angemessen, daher gab er eine Variante für den Schluss. Es ist aber nicht einmal sicher, ob diese Fassung wirklich aufgeführt worden ist.
Die fünf Akte gliedern sich in sieben Bilder, die ersten beiden Akte haben jeweils zwei, die letzten drei je eines. Von den 24 musikalischen Nummern sind die Nrn. 10 und 18 die bekanntesten. Nr. 18 ist die Wahnsinnsszene, der Hauptteil des vierten Aktes (neben dem Balett selbstverständlich). Nr. 10 ist ein operntypischer Zusatz, der bei Shakespeare so nicht vorkommt, ein Trinklied des Hamlet, das bis heute von Baritonen gern im Konzert gesungen wird.
Die etwa 30 Personen Shakespeares sind auf 11 Sänger und mindestens vier Pantomimen reduziert. Besonders vermissen wird der Shakespeare-Kenner Rosenkrantz und Güldenstern sowie Fortinbras. Dazu ist allerdings zu sagen, dass so manche »Spielfassung« besonders des 19. Jahrhunderts auf die Nebenhandlung mit dem Krieg mit Norwegen auch verzichtet. Vier Hautpersonen schälen sich heraus: Hamlet, Ophélie, Gertrude, Claudius. Polonius ist auf acht Takte reduziert, Horatio und Marcellus spielen eine wichtige Rolle bei der ersten Erscheinung des Geistes, der wie schon erwähnt auch am Ende noch einmal auftaucht (das geht auf Alexandra Dumas zurück). Laërte hat im ersten Akt eine große Arie, in der er sich von Dänemark verabschiedet. Und die beiden Totengräber haben ihre große Szene am Anfang des fünften Aktes.
1. Akt, 1. Bild, Krönungssaal: Nach einer eher melancholischen instrumentalen Einleitung sehen wir Claudius, den neuen König von Dänemark wie er Gertrude, die Witwe seines getöteten Bruders krönt. Nur Hamlet, der allein zurückbleibt, kann nicht in den Jubel einstimmen, es ging ihm zu schnell mit der Heirat. Ophélie, seine Verlobte, kommt und sie singen ein Liebesduett, das aber schon ein wenig von Hamlets Melancholie eingetrübt ist. Laërte kommt dazu und kündigt seine Abreise mit einer Arie an. Hamlet und Ophélie trennen sich, er will auf keinen Fall an den Feierlichkeiten teilnehmen. Mit der Festgesellschaft kommen auch Horatio und Marcellus, die vom Gespenst berichten und dass sie es unbedingt Hamlet erzählen müssen. 2. Bild, Terrasse: Marcellus und Horatio warten mit Hamlet auf das Gespenst. Als es erscheint, lassen sie Hamlet mit ihm allein. Das Gespenst gibt sich als Hamlets Vater zu erkennen und sagt, dass er von Claudius vergiftet worden sei. Er befiehlt Hamlet, Rache zu nehmen, aber Gertrude zu verschonen. Hamlet schwört Rache.
2. Akt, 1. Bild, Im Garten: Ophélie ist verunsichert, weil Hamlet sie nicht mehr ansieht und berührt. Er kommt vorbei, aber spricht nicht. Gertrude versucht Ophélie in einem Arioso zu beruhigen. Als Ophélie gegangen ist, kommt Claudius. Gertrude vemutet, dass Hamlet etwas ahnt, aber Claudius lässt sich nicht beunruhigen und versucht das Vertrauen von Hamlet zu gewinnen. Doch der will nicht sein Sohn sein. Marcellus bringt die Komödianten, die Hamlet bestellt hat. Hamlet singt ein Trinklied für ihren Auftritt. 2.  Bild, Großer Saal im Schloss: Die Pantomime der Schauspieler erzählt eine ähnliche Geschichte wie die von Hamlet und Claudius. Als der »Mörder« in der Pantomime sich die Krone aufsetzt, wird Claudius blass und befiehlt, dass das Spiel aufhören muss. Hamlet beschuldigt Claudius offen des Mordes an seinem Bruder. Mit einem großen Septett-Finale endet der Akt.
3. Akt, Ein Zimmer in den Räumen der Königin: Hamlet sinniert in seinem berühmten Monolog über seine Aufgabe. Als der König kommt, versteckt er sich. Der König ist von Reue geplagt. Er will beten, aber es gelingt ihm in seiner Arie nicht wirklich. Hamlet nimmt davon Abstand, Claudius zu töten, seine Seele könnte gerettet werden, wenn er beim Beten getötet wird. Polonius kommt und sein Dialog mit Claudius macht klar, dass er ein Mitwisser ist. Als die beiden weg sind, kommen Gertrude und Ophélie. Gertrude will Hamlet zur Heirat überreden, aber er kann nicht die Tochter dessen heiraten, der in den Mord an seinem Vater verstrickt ist. Ophélie gibt ihm den Ring zurück und entfernt sich. In einem großen Duett versucht Hamlet Gertrude zur Reue zu bringen. Das Gespenst erscheint erneut.
4. Akt, Ein offener Platz mit See im Hintergrund: Mehrfach unterbrochen von dem Ballett von Julien Petipa, singt Ophélie ihre große Wahnsinnsszene, an deren Ende sie ins Wasser geht.
5. Akt, Ein Friedhof: Die Totengräber wissen nicht, für wen sie das Grab graben. In einem Arioso bereut Hamlet, was er Ophélie angetan hat, er weiß jedoch noch nicht, dass sie tot ist. Laërte kommt aus Norwegen zurück, weil er vom Tod Ophélies gehört hat. Das Duell mit Hamlet wird durch den Trauerzug unterbrochen; jetzt erst realisiert Hamlet, dass Ophélie tot ist. Der Geist fordert ihn zur Rache auf. Er ersticht Claudius. Das Gespenst verflucht Claudius und schickt Gertrude ins Kloster. Hamlet wird zum König ausgerufen.

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