Mittwoch, 27. Februar 2019

Wilhelm Meisters musikalische Sendung

Michel Carré, der 1859 einen großen Erfolg mit dem Umwandlung seines Vorstadt-Spektakels Faust et Marguerite zur »opéra comique« im Théâtre-Lyrique feiern konnte, suchte zusammen mit seinem Libretto-Partner nach einer Fortsetzung. Er hatte sich für Faust – unter diesem Titel kennen wir die Oper heute, nachdem die deutsche Übersetzung Margaret(h)e obsolet geworden ist – erneut mit dem Kollegen Jules Barbier zusammengetan, um das Libretto für Charles Gounod zu schreiben. Es entstand daraus eines der bedeutendsten Autorengespanne, Carmen, Les Contes d'Hoffmann und unzählige weitere Opern stammen aus ihrer Feder. Eben auch Mignon, für die sie nicht sogleich einen Komponisten fanden. Giacomo Meyerbeer, mit dem sie einen Monat später Le Pardon de Ploërmel (bekannter unter dem Titel Dinorah, davon gab es auch schon eine konzertante Aufführung der Deutschen Oper Berlin) herausgebracht hatten, interessierte sich zuerst dafür, schrieb sogar, dass er lange davon geträumt habe, eine Mignon-Oper zu schreiben. Schließlich nahm er doch Abstand, ebenso wie Gounod, den sie als zweiten fragten. Als nächstes kamen sie auf Ernest Reyer (hierzulande höchstens bekannt durch Sigurd), der schon 1854 mit seinem Einakter Maître Wolfram um einen Bonner Kantor zwischen Dom und Biergarten Interesse für deutsche Thematik gezeigt hatte. Doch auch der winkte ab. Statt dessen schrieben sie für ihn La statue nach Motiven aus Tausendundeine Nacht. Schließlich kamen sie auf Ambroise Thomas, für den sie schon 1857 Psyché geschrieben hatten.
Es sollte aber noch fünf Jahre dauern, bis Mignon in der ersten Fassung auf die Bühne kam. Ob der Stoff für eine »opéra comique« mit der damals noch gültigen Konvention eines Happy Endings geeignet ist, mag Goethe-Anhänger beschäftigen. Dass der Roman mit seiner Theater-Affinität, und mit seiner permanenten Diskussion, welche Gefühle echt und welche gespielt sind, sich für die Bühne anbietet, wird kaum bestritten werden. Interessant ist dabei, dass die Autoren, die doch nur Wilhelm Meisters Lehrjahre in französische Übersetzung kannten, fast näher an der erst 1910 aufgefundenen Urfassung Wilhelm Meisters theatralische Sendung sind als am bekannten Original. Dass die darin enthaltenen Lieder komponiert werden wollen ist auch selbsterklärend. Und deshalb wollen wir uns, bevor wir die vier verschiedenen Fassungen mit unterschiedlichen Finali betrachten, einen Blick auf Kompositionen der Mignon-Lieder von Ludwig van Beethoven bis Hugo Wolf werfen.
»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?« ist zweifellos das bekannteste Lied aus dem Roman, es eröffnet das erste Buch des dritten Kapitels und anschließend wird genau kommentiert, wie es von Mignon gesungen, bzw. von Wilhelm wahrgenommen wurde. Man kann die Kompositionen, die sich darauf gründen, gar nicht alle aufzählen. Eine Sonderstellung darin nimmt natürlich die Vertonung von Ambroise Thomas ein, von ihr gibt es die meisten Interpretationen im Netz. Es ist aber auch das einzige genaue Zitat aus dem Roman in der Oper. Vor diesem Lied, im zweiten Buch, aber erklingen schon drei Gesänge des Harfners (der in der Oper mit Lothario zusammenfließt), darunter »Wer nie sein Brot mit Tränen aß«. »Erstling der Jugend in unserm Kreise…« ist eine Chorszene am Ende des Romans, ein Requiem für Mignon, vertont zuerst 1851 von Robert Schumann. Spätere Vertonungen stammen von Aton Rubinstein und Hans Gál.
Der erste Komponist, der sogar mit Wissen und Genehmigung von Goethe Lieder aus dem Roman vertont hat, ist Carl Friedrich Reichardt. Einige frühe Drucke enthielten seine Vertonungen sogar als Notenbeilage. Franz Schubert und Robert Schumann sind die bekanntesten Komponisten der »Gesänge des Harfners« bzw. der »Mignon-Lieder«, hunderte Interpretationen findet man bei YouTube und anderswo im Netz. Auch Ambroise Thomasse ist gut vertreten, allerdings kaum mit Gesamtaufnahmen der Mignon, aber mit zahlreichen Einzelinterpretationen der Arien Mignons, Philines und Wilhelms.


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