Mittwoch, 13. Februar 2019

Der Zwerg

Acht Opern komponierte Alexander von Zemlinsky, sechs von ihnen wurden zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Mit größtem Erfolg die vorletzte, Der Kreidekreis nach Klabund – ganz anders als Brechts Bearbeitung. Der Uraufführungserfolg, im Herbst 1933 in Zürich, blieb jedoch folgenlos. In Deutschland konnten seine Werke bald gar nicht mehr aufgeführt werden. Seine letzte Oper Der König Kandaules blieb unvollendet. Der Zwerg, uraufgeführt mit recht gutem Erfolg 1922 durch Otto Klemperer in Köln, war die letzte vor dem Kreidekreis und sie leitete in gewisser Weise die letzte Schaffensperiode ein, zu der die Lyrische Symphonie und vor dem Kreidekreis zwei bedeutende Psalmvertonungen gehören. Die Harmonik und die polyphone Struktur ist hier schon deutlich komplexer als in der Florentinischen Tragödie, der fünf Jahre früher aufgeführten ersten Oper nach Oscar Wilde.
19 Jahre alt war der spätere Drehbuchautor und Filmregisseur Georg C. Klaren, als er mit Zemlinsky zusammen am Zwerg zu arbeiten begann. Für seine Interpretation des Märchens von Wilde war die Philosophie Otto Weiningers und besonders die Lektüre seines Hauptwerks Geschlecht und Charakter entscheidend. Die Prinzipien des Männlichen und des Weiblichen spielen bei ihm eine viel größere Rolle als in der Vorlage. Die Infantin, die Wilde gegenüber dem Bild von Velázquez schon um sieben Jahre älter gemacht hat, machte er nun noch einmal sechs Jahre älter – es handelt sich im Zwerg dezidiert um den 18. Geburtstag, also um die Grenze zwischen Pubertät und Erwachsensein. Der Zwerg ist nun eindeutig männlich (auf dem Bild gibt es ja eine weibliche und einen männlichen Kleinwüchsigen). Andere Veränderungen mögen den Ursprung darin haben, aus dem Zwerg eine Identifikationsfigur für Zemlinsky selbst zu machen, der nicht sehr groß war und jedenfalls nicht als das galt, was die Allgemeinheit für hübsch oder gar schön hielt und hält. Nicht von ungefähr war Zemlinsky es, der die »Tragödie des hässlichen Mannes« als Opernstoff entdeckte – und an Schreker weitergab, der Die Gezeichneten schrieb, über die wir hier auch gesprochen haben. Bei Wilde ist der Zwerg der Sohn eines Köhlers aus der Umgebung, bei Klaren ein Adliger aus dem Orient (wie Zemlinsky, wobei allerdings niemand so recht weiß, woher das »von« kommt), und ein Sänger. Zemlinsky ist zwar nicht als Sänger aufgetreten, seine spätere Frau Luise (in Wien und international: Louise) hat er aber in Gesang unterrichtet, und zwar genau in dieser Zeit.
Nicht weniger als 21 Vertonungen des Märchens von Oscar Wilde zählt die Website THE OSCHOLARS auf. Andere einschlägige Nachschlagewerke beschränken sich auf Schreker (über seine Ballettpantomime sprachen wir schon anlässlich der Gezeichneten) und Zemlinsky. Unter den 21 sind allerdings auch Ballette, für die keine neue Musik geschrieben wurde, sondern bestehende Kompositionen, etwa von Ravel oder Harry Partch (Vorsicht, der Name ist dort – wie einige andere auch – falsch geschrieben) verwenden.
Die »Handlung« in Kürze: Exposition Orchestervorspiel – Introduktion Ghita, die Lieblingszofe Donna Claras, und der Haushofmeister bereiten zusammen mit drei weiteren Zofen das Zimmer vor, in dem der 18. Geburtstag der Infantin gefeiert werden soll, die auch alsbald erscheint. Die neugierigen Gespielinnen Donna Claras können mit Mühe davon abgehalten werden, die Geschenke zu früh auszupacken. Als sie zum Spielen hinausgegangen sind, deutet der Haushofmeister den Zofen das wertvollste Geschenk an, das der Sultan geschickt hat, einen singenden Zwerg, der nichts davon weiß, dass er missgestaltet ist. Daher müssen alle Spiegel abgehängt werden. – Zwischenspiel Pantomime, in der die Geschenke präsentiert werden. – Wendepunkt Auftritt des Zwergs Die Infantin fordert ihn auf, ein heiteres Lied zu singen. Als er zögert, droht ihm der Haushofmeister Schläge an. – Lied des Zwergs Schließlich singt er doch, aber ein trauriges Liebeslied. – Spott des Hofes Die Hofgesellschaft macht sich lustig über den Zwerg. – Duett Donna Clara / Zwerg Auf den ersten Blick hat sich der Zwerg in die Infantin verliebt. Er erzählt ihr sein Leben. Sie geht auf das Spiel ein und fordert ihn auf, tanzen zu gehen. – Dialog Donna Clara / Ghita Ghita soll den Zwerg über seine Missgestalt aufklären. – Zwischenspiel Tanz außerhalb der Szene. – Katastrophe Duett Ghita | Zwerg Ghita bringt es fast nicht über sich, den Zwerg über seine Gestalt aufzuklären, aber er hört auch gar nicht zu als er wiederkommt mit einer weißen Rose, die er von der Infantin bekommen hat. – Der Zwerg allein Ghita ist klar geworden, dass der Zwerg der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen kann, daher verlässt sie ihn. Allein gelassen träumt er vor sich hin und reißt zufällig einen Vorhang herunter, der den großen Spiegel bedeckte. Allmählich begreift er, dass das Monster, das ihn anschaut, er selber ist. – Die Infantin kehrt zurück Der Zwerg schreit der Infantin seine Liebe entgegen und krümmt sich vor Kummer. Coda Ghita kehrt zurück Geschenkt und schon verdorben! Der Zwerg stirbt.

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